Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER. Staatsmann, der nun seit neunundzwanzig Jahren die Sache derFreiheit in guter und böser Zeit vertreten, für sie den Dolchen der Mörder und den Henkern der Aristokratie, den Schwertern der Deutschen und den Fluthen des unbekannten Oceans Trotz geboten hatte ohne je zu weichen und zu wanken, der die sulla- nische Verfassung zerrissen, das Regiment des Senats gestürzt, die wehr- und waffenlose Demokratie in dem Kampfe jenseit der Alpen beschildet und bewehrt hatte; und er sprach nicht zu dem clodianischen Publicum, dessen republikanischer Enthusiasmus längst zu Asche und Schlacken niedergebrannt war, sondern zu den jungen Mannschaften aus den Städten und Dörfern Nordita- liens, die den mächtigen Gedanken der bürgerlichen Freiheit noch frisch und rein empfanden, die noch fähig waren für Ideale zu fechten und zu sterben, die selbst das Bürgerrecht erst von Cae- sar empfangen hatten und für ihre Landschaft es von ihm zu empfangen hofften, die Caesars Sturz den Ruthen und Beilen abermals preisgab und die die thatsächlichen Beweise bereits da- von besassen (S. 333), wie unerbittlichen Gebrauch die Oligarchie davon gegen die Transpadaner zu machen gedachte. Vor solchen Zuhörern legte ein solcher Redner die Thatsachen dar: den Dank für die Eroberung Galliens, den der Adel dem Feldherrn und dem Heer bereitete, die geringschätzige Beseitigung der Comitien, die Terrorisirung des Senats, die heilige Pflicht das vor einem halben Jahrtausend von den Vätern mit den Waffen in der Hand dem Adel abgezwungene Volkstribunal mit gewaffneter Hand zu schir- men, den alten Schwur zu halten, den jene für sich wie für die Enkel ihrer Enkel geleistet, für die Tribunen der Gemeinde Mann für Mann einzustehen bis in den Tod (I, 177). Als dann er, der Führer und Feldherr der Popularpartei, die Soldaten des Vol- kes aufrief jetzt, nachdem der Güteversuch erschöpft, die Nach- giebigkeit an den äussersten Genzen angelangt war, jetzt ihm zu folgen in den letzten, den unvermeidlichen, den entscheidenden Kampf gegen den ebenso verhassten wie verachteten, ebenso per- fiden wie unfähigen und bis zur Lächerlichkeit unverbesserlichen Adel -- da war kein Offizier und kein Soldat, der sich zurück- gehalten hätte. Der Aufbruch ward befohlen; an der Spitze sei- nes Vortrabs überschritt Caesar den schmalen Bach, der seine Provinz von Italien schied und jenseit dessen die Verfassung den Proconsul von Gallien bannte. Indem er nach neunjähriger Ab- wesenheit den Boden des Vaterlandes wieder betrat, betrat er zugleich die Bahn der Revolution. ,Die Würfel waren geworfen.' DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER. Staatsmann, der nun seit neunundzwanzig Jahren die Sache derFreiheit in guter und böser Zeit vertreten, für sie den Dolchen der Mörder und den Henkern der Aristokratie, den Schwertern der Deutschen und den Fluthen des unbekannten Oceans Trotz geboten hatte ohne je zu weichen und zu wanken, der die sulla- nische Verfassung zerrissen, das Regiment des Senats gestürzt, die wehr- und waffenlose Demokratie in dem Kampfe jenseit der Alpen beschildet und bewehrt hatte; und er sprach nicht zu dem clodianischen Publicum, dessen republikanischer Enthusiasmus längst zu Asche und Schlacken niedergebrannt war, sondern zu den jungen Mannschaften aus den Städten und Dörfern Nordita- liens, die den mächtigen Gedanken der bürgerlichen Freiheit noch frisch und rein empfanden, die noch fähig waren für Ideale zu fechten und zu sterben, die selbst das Bürgerrecht erst von Cae- sar empfangen hatten und für ihre Landschaft es von ihm zu empfangen hofften, die Caesars Sturz den Ruthen und Beilen abermals preisgab und die die thatsächlichen Beweise bereits da- von besaſsen (S. 333), wie unerbittlichen Gebrauch die Oligarchie davon gegen die Transpadaner zu machen gedachte. Vor solchen Zuhörern legte ein solcher Redner die Thatsachen dar: den Dank für die Eroberung Galliens, den der Adel dem Feldherrn und dem Heer bereitete, die geringschätzige Beseitigung der Comitien, die Terrorisirung des Senats, die heilige Pflicht das vor einem halben Jahrtausend von den Vätern mit den Waffen in der Hand dem Adel abgezwungene Volkstribunal mit gewaffneter Hand zu schir- men, den alten Schwur zu halten, den jene für sich wie für die Enkel ihrer Enkel geleistet, für die Tribunen der Gemeinde Mann für Mann einzustehen bis in den Tod (I, 177). Als dann er, der Führer und Feldherr der Popularpartei, die Soldaten des Vol- kes aufrief jetzt, nachdem der Güteversuch erschöpft, die Nach- giebigkeit an den äuſsersten Genzen angelangt war, jetzt ihm zu folgen in den letzten, den unvermeidlichen, den entscheidenden Kampf gegen den ebenso verhaſsten wie verachteten, ebenso per- fiden wie unfähigen und bis zur Lächerlichkeit unverbesserlichen Adel — da war kein Offizier und kein Soldat, der sich zurück- gehalten hätte. Der Aufbruch ward befohlen; an der Spitze sei- nes Vortrabs überschritt Caesar den schmalen Bach, der seine Provinz von Italien schied und jenseit dessen die Verfassung den Proconsul von Gallien bannte. 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DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER.
Staatsmann, der nun seit neunundzwanzig Jahren die Sache der
Freiheit in guter und böser Zeit vertreten, für sie den Dolchen
der Mörder und den Henkern der Aristokratie, den Schwertern
der Deutschen und den Fluthen des unbekannten Oceans Trotz
geboten hatte ohne je zu weichen und zu wanken, der die sulla-
nische Verfassung zerrissen, das Regiment des Senats gestürzt,
die wehr- und waffenlose Demokratie in dem Kampfe jenseit der
Alpen beschildet und bewehrt hatte; und er sprach nicht zu dem
clodianischen Publicum, dessen republikanischer Enthusiasmus
längst zu Asche und Schlacken niedergebrannt war, sondern zu
den jungen Mannschaften aus den Städten und Dörfern Nordita-
liens, die den mächtigen Gedanken der bürgerlichen Freiheit noch
frisch und rein empfanden, die noch fähig waren für Ideale zu
fechten und zu sterben, die selbst das Bürgerrecht erst von Cae-
sar empfangen hatten und für ihre Landschaft es von ihm zu
empfangen hofften, die Caesars Sturz den Ruthen und Beilen
abermals preisgab und die die thatsächlichen Beweise bereits da-
von besaſsen (S. 333), wie unerbittlichen Gebrauch die Oligarchie
davon gegen die Transpadaner zu machen gedachte. Vor solchen
Zuhörern legte ein solcher Redner die Thatsachen dar: den Dank
für die Eroberung Galliens, den der Adel dem Feldherrn und dem
Heer bereitete, die geringschätzige Beseitigung der Comitien, die
Terrorisirung des Senats, die heilige Pflicht das vor einem halben
Jahrtausend von den Vätern mit den Waffen in der Hand dem
Adel abgezwungene Volkstribunal mit gewaffneter Hand zu schir-
men, den alten Schwur zu halten, den jene für sich wie für die
Enkel ihrer Enkel geleistet, für die Tribunen der Gemeinde Mann
für Mann einzustehen bis in den Tod (I, 177). Als dann er, der
Führer und Feldherr der Popularpartei, die Soldaten des Vol-
kes aufrief jetzt, nachdem der Güteversuch erschöpft, die Nach-
giebigkeit an den äuſsersten Genzen angelangt war, jetzt ihm zu
folgen in den letzten, den unvermeidlichen, den entscheidenden
Kampf gegen den ebenso verhaſsten wie verachteten, ebenso per-
fiden wie unfähigen und bis zur Lächerlichkeit unverbesserlichen
Adel — da war kein Offizier und kein Soldat, der sich zurück-
gehalten hätte. Der Aufbruch ward befohlen; an der Spitze sei-
nes Vortrabs überschritt Caesar den schmalen Bach, der seine
Provinz von Italien schied und jenseit dessen die Verfassung den
Proconsul von Gallien bannte. Indem er nach neunjähriger Ab-
wesenheit den Boden des Vaterlandes wieder betrat, betrat er
zugleich die Bahn der Revolution. ‚Die Würfel waren geworfen.‘
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