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Mommsen, Theodor: Auch ein Wort über unser Judenthum. Berlin, 1880.

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ich meiner Heimath nicht entfremdet, daß nicht auch ich oft schmerz-
lich empfände, was ich gehabt habe und was meinen Kindern fehlen wird.
Aber Kinderglück und Männerstolz sind nun einmal unvereinbar.
Ein gewisses Abschleifen der Stämme an einander, die Her-
stellung einer deutschen Nationalität, welche keiner bestimmten Lands-
mannschaft entspricht, ist durch die Verhältnisse unbedingt geboten
und die großen Städte, Berlin voran, deren natürliche Träger.
Daß die Juden in dieser Richtung seit Generationen wirksam ein-
greifen, halte ich keineswegs für ein Unglück, und bin überhaupt
der Ansicht, daß die Vorsehung weit besser als Herr Stöcker be-
griffen hat, warum dem germanischen Metall für seine Ausge-
staltung einige Procent Jsrael beizusetzen waren.

Dies sind Ansichten über historische Vorgänge, die Andern zum
Theil anders erscheinen werden; wenn der Fanatismus noch ein
neutrales Gebiet anerkennt, sollten Meinungsverschiedenheiten über
das Mehr oder Minder des Thatsächlichen nicht die Gemüther zerrütten
und die Herzen entzweien. Worauf es ankommt, ist aus der Ver-
wirrung und der Spaltung heraus zu sicheren Grundsätzen des
praktischen Handelns zu kommen; und ich will aussprechen, was
mir in dieser Hinsicht als Pflicht der Deutschen. erscheint. Die
Regierung kann hier wenig thun, auch wenn sie es will; es liegt
jedem Einzelnen ob zu beweisen, daß wir ein freies Volk sind,
fähig, sich selbst und seine Stimmungen zu beherrschen und be-
gangene Fehler zu verbessern.

Die gute Sitte und noch eine höhere Pflicht gebieten, die
Besonderheiten der einzelnen Nationen und Stämme mit Maß und
Schonung zu discutiren. Je namhafter ein Schriftsteller ist, desto
mehr ist er verpflichtet, in dieser Hinsicht diejenigen Schranken ein-
zuhalten, welche der internationale und der nationale Friede er-
fordert. Eine Charakteristik der Engländer und der Jtaliener von
einem Deutschen, der Pommern und der Rheinländer von einem
Schwaben ist ein gefährliches Unternehmen: bei aller Wahrhaftigkeit
und allem Wohlwollen hört der Besprochene doch von allem nur
den Tadel. Das unvermeidliche und unvermeidlich ungerechte Gene-
ralisiren wirkt verstimmend und erbitternd, während es selbst-
verständlich eine Lächerlichkeit sein würde von solchen Schilderungen

ich meiner Heimath nicht entfremdet, daß nicht auch ich oft ſchmerz-
lich empfände, was ich gehabt habe und was meinen Kindern fehlen wird.
Aber Kinderglück und Männerſtolz ſind nun einmal unvereinbar.
Ein gewiſſes Abſchleifen der Stämme an einander, die Her-
ſtellung einer deutſchen Nationalität, welche keiner beſtimmten Lands-
mannſchaft entſpricht, iſt durch die Verhältniſſe unbedingt geboten
und die großen Städte, Berlin voran, deren natürliche Träger.
Daß die Juden in dieſer Richtung ſeit Generationen wirkſam ein-
greifen, halte ich keineswegs für ein Unglück, und bin überhaupt
der Anſicht, daß die Vorſehung weit beſſer als Herr Stöcker be-
griffen hat, warum dem germaniſchen Metall für ſeine Ausge-
ſtaltung einige Procent Jsrael beizuſetzen waren.

Dies ſind Anſichten über hiſtoriſche Vorgänge, die Andern zum
Theil anders erſcheinen werden; wenn der Fanatismus noch ein
neutrales Gebiet anerkennt, ſollten Meinungsverſchiedenheiten über
das Mehr oder Minder des Thatſächlichen nicht die Gemüther zerrütten
und die Herzen entzweien. Worauf es ankommt, iſt aus der Ver-
wirrung und der Spaltung heraus zu ſicheren Grundſätzen des
praktiſchen Handelns zu kommen; und ich will ausſprechen, was
mir in dieſer Hinſicht als Pflicht der Deutſchen. erſcheint. Die
Regierung kann hier wenig thun, auch wenn ſie es will; es liegt
jedem Einzelnen ob zu beweiſen, daß wir ein freies Volk ſind,
fähig, ſich ſelbſt und ſeine Stimmungen zu beherrſchen und be-
gangene Fehler zu verbeſſern.

Die gute Sitte und noch eine höhere Pflicht gebieten, die
Beſonderheiten der einzelnen Nationen und Stämme mit Maß und
Schonung zu discutiren. Je namhafter ein Schriftſteller iſt, deſto
mehr iſt er verpflichtet, in dieſer Hinſicht diejenigen Schranken ein-
zuhalten, welche der internationale und der nationale Friede er-
fordert. Eine Charakteriſtik der Engländer und der Jtaliener von
einem Deutſchen, der Pommern und der Rheinländer von einem
Schwaben iſt ein gefährliches Unternehmen: bei aller Wahrhaftigkeit
und allem Wohlwollen hört der Beſprochene doch von allem nur
den Tadel. Das unvermeidliche und unvermeidlich ungerechte Gene-
raliſiren wirkt verſtimmend und erbitternd, während es ſelbſt-
verſtändlich eine Lächerlichkeit ſein würde von ſolchen Schilderungen

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[10/0010] ich meiner Heimath nicht entfremdet, daß nicht auch ich oft ſchmerz- lich empfände, was ich gehabt habe und was meinen Kindern fehlen wird. Aber Kinderglück und Männerſtolz ſind nun einmal unvereinbar. Ein gewiſſes Abſchleifen der Stämme an einander, die Her- ſtellung einer deutſchen Nationalität, welche keiner beſtimmten Lands- mannſchaft entſpricht, iſt durch die Verhältniſſe unbedingt geboten und die großen Städte, Berlin voran, deren natürliche Träger. Daß die Juden in dieſer Richtung ſeit Generationen wirkſam ein- greifen, halte ich keineswegs für ein Unglück, und bin überhaupt der Anſicht, daß die Vorſehung weit beſſer als Herr Stöcker be- griffen hat, warum dem germaniſchen Metall für ſeine Ausge- ſtaltung einige Procent Jsrael beizuſetzen waren. Dies ſind Anſichten über hiſtoriſche Vorgänge, die Andern zum Theil anders erſcheinen werden; wenn der Fanatismus noch ein neutrales Gebiet anerkennt, ſollten Meinungsverſchiedenheiten über das Mehr oder Minder des Thatſächlichen nicht die Gemüther zerrütten und die Herzen entzweien. Worauf es ankommt, iſt aus der Ver- wirrung und der Spaltung heraus zu ſicheren Grundſätzen des praktiſchen Handelns zu kommen; und ich will ausſprechen, was mir in dieſer Hinſicht als Pflicht der Deutſchen. erſcheint. Die Regierung kann hier wenig thun, auch wenn ſie es will; es liegt jedem Einzelnen ob zu beweiſen, daß wir ein freies Volk ſind, fähig, ſich ſelbſt und ſeine Stimmungen zu beherrſchen und be- gangene Fehler zu verbeſſern. Die gute Sitte und noch eine höhere Pflicht gebieten, die Beſonderheiten der einzelnen Nationen und Stämme mit Maß und Schonung zu discutiren. Je namhafter ein Schriftſteller iſt, deſto mehr iſt er verpflichtet, in dieſer Hinſicht diejenigen Schranken ein- zuhalten, welche der internationale und der nationale Friede er- fordert. Eine Charakteriſtik der Engländer und der Jtaliener von einem Deutſchen, der Pommern und der Rheinländer von einem Schwaben iſt ein gefährliches Unternehmen: bei aller Wahrhaftigkeit und allem Wohlwollen hört der Beſprochene doch von allem nur den Tadel. Das unvermeidliche und unvermeidlich ungerechte Gene- raliſiren wirkt verſtimmend und erbitternd, während es ſelbſt- verſtändlich eine Lächerlichkeit ſein würde von ſolchen Schilderungen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Auch ein Wort über unser Judenthum. Berlin, 1880, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_judenthum_1880/10>, abgerufen am 25.04.2024.