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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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und Lehrer verdrängt. Der kindliche Glaube und Aber¬
glaube wird durch eine kindische Altklugheit ersetzt,
und die reichen phantastischen Spiele machen einer
reflectirenden Wohlanständigkeit und Ziererei Platz.
Wie kann dies anders seyn, wenn in tausend und
aber tausend Kinderbüchern die Schwächen der Alten
so gut als die der Kinder Preis gegeben werden,
und der natürliche Witz der Kinder nothwendig auf¬
gefordert wird, gegen die Pedanterei der Docenten
sich geltend zu machen, wenn den Kindern immer
und immer von der Thorheit des Aberglaubens vor¬
gepredigt und Herz und Phantasie derselben abge¬
stumpft wird, und wenn sie als das höchste Gut je¬
nen Anstand preisen hören, der ihre natürliche, aber
unschuldige Eitelkeit in eine Bahn weist, wo sie zur
Unnatur werden muß. Überall sind es Begriffe, er¬
lernte und mechanisch aufgefaßte Begriffe, die dem
Kinde eingezwängt werden, die ein unreifes Denken
in ihm thätig machen, das alle Blüthen des Gemüths
und der Einbildungskraft früh verdorren macht.

Wie mannigfaltig auch die Gegenstände des Ju¬
gendunterrichts seyn mögen, so vermissen wir doch
darunter zwei der wichtigsten, Musik und Gymnastik.
Die erstere ist noch weit entfernt, zu dem ihr ge¬
bührenden Rang unter den Mitteln der Erziehung
erhoben zu werden, und die letztere ist sogar verbo¬
ten. Die Alten erkannten sehr richtig Musik und Gym¬
nastik als die wesentlichen Grundpfeiler der Erzie¬
hung, weil sie in Leib und Seele den Rhythmus

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und Lehrer verdraͤngt. Der kindliche Glaube und Aber¬
glaube wird durch eine kindiſche Altklugheit erſetzt,
und die reichen phantaſtiſchen Spiele machen einer
reflectirenden Wohlanſtaͤndigkeit und Ziererei Platz.
Wie kann dies anders ſeyn, wenn in tauſend und
aber tauſend Kinderbuͤchern die Schwaͤchen der Alten
ſo gut als die der Kinder Preis gegeben werden,
und der natuͤrliche Witz der Kinder nothwendig auf¬
gefordert wird, gegen die Pedanterei der Docenten
ſich geltend zu machen, wenn den Kindern immer
und immer von der Thorheit des Aberglaubens vor¬
gepredigt und Herz und Phantaſie derſelben abge¬
ſtumpft wird, und wenn ſie als das hoͤchſte Gut je¬
nen Anſtand preiſen hoͤren, der ihre natuͤrliche, aber
unſchuldige Eitelkeit in eine Bahn weist, wo ſie zur
Unnatur werden muß. Überall ſind es Begriffe, er¬
lernte und mechaniſch aufgefaßte Begriffe, die dem
Kinde eingezwaͤngt werden, die ein unreifes Denken
in ihm thaͤtig machen, das alle Bluͤthen des Gemuͤths
und der Einbildungskraft fruͤh verdorren macht.

Wie mannigfaltig auch die Gegenſtaͤnde des Ju¬
gendunterrichts ſeyn moͤgen, ſo vermiſſen wir doch
darunter zwei der wichtigſten, Muſik und Gymnaſtik.
Die erſtere iſt noch weit entfernt, zu dem ihr ge¬
buͤhrenden Rang unter den Mitteln der Erziehung
erhoben zu werden, und die letztere iſt ſogar verbo¬
ten. Die Alten erkannten ſehr richtig Muſik und Gym¬
naſtik als die weſentlichen Grundpfeiler der Erzie¬
hung, weil ſie in Leib und Seele den Rhythmus

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[267/0277] und Lehrer verdraͤngt. Der kindliche Glaube und Aber¬ glaube wird durch eine kindiſche Altklugheit erſetzt, und die reichen phantaſtiſchen Spiele machen einer reflectirenden Wohlanſtaͤndigkeit und Ziererei Platz. Wie kann dies anders ſeyn, wenn in tauſend und aber tauſend Kinderbuͤchern die Schwaͤchen der Alten ſo gut als die der Kinder Preis gegeben werden, und der natuͤrliche Witz der Kinder nothwendig auf¬ gefordert wird, gegen die Pedanterei der Docenten ſich geltend zu machen, wenn den Kindern immer und immer von der Thorheit des Aberglaubens vor¬ gepredigt und Herz und Phantaſie derſelben abge¬ ſtumpft wird, und wenn ſie als das hoͤchſte Gut je¬ nen Anſtand preiſen hoͤren, der ihre natuͤrliche, aber unſchuldige Eitelkeit in eine Bahn weist, wo ſie zur Unnatur werden muß. Überall ſind es Begriffe, er¬ lernte und mechaniſch aufgefaßte Begriffe, die dem Kinde eingezwaͤngt werden, die ein unreifes Denken in ihm thaͤtig machen, das alle Bluͤthen des Gemuͤths und der Einbildungskraft fruͤh verdorren macht. Wie mannigfaltig auch die Gegenſtaͤnde des Ju¬ gendunterrichts ſeyn moͤgen, ſo vermiſſen wir doch darunter zwei der wichtigſten, Muſik und Gymnaſtik. Die erſtere iſt noch weit entfernt, zu dem ihr ge¬ buͤhrenden Rang unter den Mitteln der Erziehung erhoben zu werden, und die letztere iſt ſogar verbo¬ ten. Die Alten erkannten ſehr richtig Muſik und Gym¬ naſtik als die weſentlichen Grundpfeiler der Erzie¬ hung, weil ſie in Leib und Seele den Rhythmus 12 *

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/277>, abgerufen am 23.11.2024.