Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zweimal an einem Tage sich wiederholenden Vorfall sehr verlegen; er legte ihm eine Wechselwirkung unter, von der er nur nicht wußte, wo er ihre lenkenden Kräfte suchen sollte. Kamen sie von Madlena? Er hatte diesen Gedanken gleich erfaßt. Oder hatte sie ein Anderer aus dem Dorfe ersonnen, um ihm einen Schimpf anzuthun? Er lebte ja sonst mit den Leuten in Frieden und Einigkeit; er drückte Niemanden, und wenn auch keine Freunde, so glaubte er wenigstens keinen Feind im Dorfe zu besitzen. Je mehr er darüber nachdachte, desto unerklärlicher waren ihm jene von den Knaben zugerufenen Worte: er sah darin nicht mehr biblische Unkenntniß, er legte ihnen die verworrensten Erklärungen unter, die aber nicht im Entferntesten dazu paßten! Zuletzt wunderte er sich über sich selbst, warum er die Sache nicht los werden konnte. Als Josseph so in Gedanken über die eigenthümliche Lage dastand, in die ihn drei Worte gestürzt hatten, wurde er durch einen rauhen Morgengruß, der über die Gasse herüberschallte, aufgeweckt. Dieser Gruß lautete nicht wie der gewöhnliche aus dem Lande: Gebe Gott einen guten Morgen; was Josseph vernahm, waren die Worte: Gott gebe dir Freiheit und Ruhe von allen Teufeln. An dieser sonderbaren Sprechweise erkannte Josseph eine Person aus dem Dorfe, die ihm in diesem Augen- zweimal an einem Tage sich wiederholenden Vorfall sehr verlegen; er legte ihm eine Wechselwirkung unter, von der er nur nicht wußte, wo er ihre lenkenden Kräfte suchen sollte. Kamen sie von Madlena? Er hatte diesen Gedanken gleich erfaßt. Oder hatte sie ein Anderer aus dem Dorfe ersonnen, um ihm einen Schimpf anzuthun? Er lebte ja sonst mit den Leuten in Frieden und Einigkeit; er drückte Niemanden, und wenn auch keine Freunde, so glaubte er wenigstens keinen Feind im Dorfe zu besitzen. Je mehr er darüber nachdachte, desto unerklärlicher waren ihm jene von den Knaben zugerufenen Worte: er sah darin nicht mehr biblische Unkenntniß, er legte ihnen die verworrensten Erklärungen unter, die aber nicht im Entferntesten dazu paßten! Zuletzt wunderte er sich über sich selbst, warum er die Sache nicht los werden konnte. Als Josseph so in Gedanken über die eigenthümliche Lage dastand, in die ihn drei Worte gestürzt hatten, wurde er durch einen rauhen Morgengruß, der über die Gasse herüberschallte, aufgeweckt. Dieser Gruß lautete nicht wie der gewöhnliche aus dem Lande: Gebe Gott einen guten Morgen; was Josseph vernahm, waren die Worte: Gott gebe dir Freiheit und Ruhe von allen Teufeln. An dieser sonderbaren Sprechweise erkannte Josseph eine Person aus dem Dorfe, die ihm in diesem Augen- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0057"/> zweimal an einem Tage sich wiederholenden Vorfall sehr verlegen; er legte ihm eine Wechselwirkung unter, von der er nur nicht wußte, wo er ihre lenkenden Kräfte suchen sollte.</p><lb/> <p>Kamen sie von Madlena?</p><lb/> <p>Er hatte diesen Gedanken gleich erfaßt. Oder hatte sie ein Anderer aus dem Dorfe ersonnen, um ihm einen Schimpf anzuthun? Er lebte ja sonst mit den Leuten in Frieden und Einigkeit; er drückte Niemanden, und wenn auch keine Freunde, so glaubte er wenigstens keinen Feind im Dorfe zu besitzen. Je mehr er darüber nachdachte, desto unerklärlicher waren ihm jene von den Knaben zugerufenen Worte: er sah darin nicht mehr biblische Unkenntniß, er legte ihnen die verworrensten Erklärungen unter, die aber nicht im Entferntesten dazu paßten!</p><lb/> <p>Zuletzt wunderte er sich über sich selbst, warum er die Sache nicht los werden konnte.</p><lb/> <p>Als Josseph so in Gedanken über die eigenthümliche Lage dastand, in die ihn drei Worte gestürzt hatten, wurde er durch einen rauhen Morgengruß, der über die Gasse herüberschallte, aufgeweckt. Dieser Gruß lautete nicht wie der gewöhnliche aus dem Lande: Gebe Gott einen guten Morgen; was Josseph vernahm, waren die Worte: Gott gebe dir Freiheit und Ruhe von allen Teufeln.</p><lb/> <p>An dieser sonderbaren Sprechweise erkannte Josseph eine Person aus dem Dorfe, die ihm in diesem Augen-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
zweimal an einem Tage sich wiederholenden Vorfall sehr verlegen; er legte ihm eine Wechselwirkung unter, von der er nur nicht wußte, wo er ihre lenkenden Kräfte suchen sollte.
Kamen sie von Madlena?
Er hatte diesen Gedanken gleich erfaßt. Oder hatte sie ein Anderer aus dem Dorfe ersonnen, um ihm einen Schimpf anzuthun? Er lebte ja sonst mit den Leuten in Frieden und Einigkeit; er drückte Niemanden, und wenn auch keine Freunde, so glaubte er wenigstens keinen Feind im Dorfe zu besitzen. Je mehr er darüber nachdachte, desto unerklärlicher waren ihm jene von den Knaben zugerufenen Worte: er sah darin nicht mehr biblische Unkenntniß, er legte ihnen die verworrensten Erklärungen unter, die aber nicht im Entferntesten dazu paßten!
Zuletzt wunderte er sich über sich selbst, warum er die Sache nicht los werden konnte.
Als Josseph so in Gedanken über die eigenthümliche Lage dastand, in die ihn drei Worte gestürzt hatten, wurde er durch einen rauhen Morgengruß, der über die Gasse herüberschallte, aufgeweckt. Dieser Gruß lautete nicht wie der gewöhnliche aus dem Lande: Gebe Gott einen guten Morgen; was Josseph vernahm, waren die Worte: Gott gebe dir Freiheit und Ruhe von allen Teufeln.
An dieser sonderbaren Sprechweise erkannte Josseph eine Person aus dem Dorfe, die ihm in diesem Augen-
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