Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Messias. Funfzehnter Gesang.
Meine Mutter! der Herr geleite dich, melne Mutter!
Himmlische Freundinn, laß bald mich wieder die Mutter umarmen!
Und sie verliessen die Arme, die weinend ihnen nachsah.
Als sie die Höhen erstiegen, und Cidli vor Staunen kaum fragte,
Sahe sie fern in den Cederschatten Semida kommen
Mit dem Pilger, der nun in seinem Schimmer auch glänzte.
Semida sah auch sie. Die beyden Sterblichen standen,
Gingen, und bebten, und ruhten. Auf jeder Seite begannen
Strahlengestalten um sie zu schweben, und ihnen zu lächeln.
O wie glänzten, noch Unerkannte, der Greis, und der Blinde,
Und der verwundete Mann, und seine kommenden Brüder!
Jmmer wurden der Himmlischen mehr, und leuchtender immer.
Wer vermag die Entzückungen alle mit Namen zu nennen,
Welche die beyden ergriffen. Wie sie mit gefalteten Händen,
Staunend sich umsahn, wieder den Blick zu der Erde senkten!
Fragen wollten, und in der bebenden Frage verstummten!
Wie von den Strahlen umgeben der nahen Unsterblichen, wie sie
Dann von dem Schimmer, und sanftzulispelndem Segnen umgeben,
Freudig waren, und bang! ... Sie kamen sich näher. ... Da schwanden
Jhre Gedanken! und sie, die beyden Glücklichen wurden
Schnell verklärt! Sie schwebten daher, und umarmten einander,
Ach das erstemal dort, und nicht in den Hütten der Trennung.
Wiedersehen, o du der Liebenden Wiedersehen,
Wenn bey dem Staube des Einen nun auch des Anderen Staub ruht,
Selbst der Gedank' an dich ist nur ein Traum von Cidli's
Freuden, nun weinten sie andere Thränen, und Semida's Freuden!


Der Meſſias. Funfzehnter Geſang.
Meine Mutter! der Herr geleite dich, melne Mutter!
Himmliſche Freundinn, laß bald mich wieder die Mutter umarmen!
Und ſie verlieſſen die Arme, die weinend ihnen nachſah.
Als ſie die Hoͤhen erſtiegen, und Cidli vor Staunen kaum fragte,
Sahe ſie fern in den Cederſchatten Semida kommen
Mit dem Pilger, der nun in ſeinem Schimmer auch glaͤnzte.
Semida ſah auch ſie. Die beyden Sterblichen ſtanden,
Gingen, und bebten, und ruhten. Auf jeder Seite begannen
Strahlengeſtalten um ſie zu ſchweben, und ihnen zu laͤcheln.
O wie glaͤnzten, noch Unerkannte, der Greis, und der Blinde,
Und der verwundete Mann, und ſeine kommenden Bruͤder!
Jmmer wurden der Himmliſchen mehr, und leuchtender immer.
Wer vermag die Entzuͤckungen alle mit Namen zu nennen,
Welche die beyden ergriffen. Wie ſie mit gefalteten Haͤnden,
Staunend ſich umſahn, wieder den Blick zu der Erde ſenkten!
Fragen wollten, und in der bebenden Frage verſtummten!
Wie von den Strahlen umgeben der nahen Unſterblichen, wie ſie
Dann von dem Schimmer, und ſanftzulispelndem Segnen umgeben,
Freudig waren, und bang! … Sie kamen ſich naͤher. … Da ſchwanden
Jhre Gedanken! und ſie, die beyden Gluͤcklichen wurden
Schnell verklaͤrt! Sie ſchwebten daher, und umarmten einander,
Ach das erſtemal dort, und nicht in den Huͤtten der Trennung.
Wiederſehen, o du der Liebenden Wiederſehen,
Wenn bey dem Staube des Einen nun auch des Anderen Staub ruht,
Selbſt der Gedank’ an dich iſt nur ein Traum von Cidli’s
Freuden, nun weinten ſie andere Thraͤnen, und Semida’s Freuden!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0270" n="254"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias. Funfzehnter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
          <lg n="167">
            <l>Meine Mutter! der Herr geleite dich, melne Mutter!</l><lb/>
            <l>Himmli&#x017F;che Freundinn, laß bald mich wieder die Mutter umarmen!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="168">
            <l>Und &#x017F;ie verlie&#x017F;&#x017F;en die Arme, die weinend ihnen nach&#x017F;ah.</l><lb/>
            <l>Als &#x017F;ie die Ho&#x0364;hen er&#x017F;tiegen, und Cidli vor Staunen kaum fragte,</l><lb/>
            <l>Sahe &#x017F;ie fern in den Ceder&#x017F;chatten Semida kommen</l><lb/>
            <l>Mit dem Pilger, der nun in &#x017F;einem Schimmer auch gla&#x0364;nzte.</l><lb/>
            <l>Semida &#x017F;ah auch &#x017F;ie. Die beyden Sterblichen &#x017F;tanden,</l><lb/>
            <l>Gingen, und bebten, und ruhten. Auf jeder Seite begannen</l><lb/>
            <l>Strahlenge&#x017F;talten um &#x017F;ie zu &#x017F;chweben, und ihnen zu la&#x0364;cheln.</l><lb/>
            <l>O wie gla&#x0364;nzten, noch Unerkannte, der Greis, und der Blinde,</l><lb/>
            <l>Und der verwundete Mann, und &#x017F;eine kommenden Bru&#x0364;der!</l><lb/>
            <l>Jmmer wurden der Himmli&#x017F;chen mehr, und leuchtender immer.</l><lb/>
            <l>Wer vermag die Entzu&#x0364;ckungen alle mit Namen zu nennen,</l><lb/>
            <l>Welche die beyden ergriffen. Wie &#x017F;ie mit gefalteten Ha&#x0364;nden,</l><lb/>
            <l>Staunend &#x017F;ich um&#x017F;ahn, wieder den Blick zu der Erde &#x017F;enkten!</l><lb/>
            <l>Fragen wollten, und in der bebenden Frage ver&#x017F;tummten!</l><lb/>
            <l>Wie von den Strahlen umgeben der nahen Un&#x017F;terblichen, wie &#x017F;ie</l><lb/>
            <l>Dann von dem Schimmer, und &#x017F;anftzulispelndem Segnen umgeben,</l><lb/>
            <l>Freudig waren, und bang! &#x2026; Sie kamen &#x017F;ich na&#x0364;her. &#x2026; Da &#x017F;chwanden</l><lb/>
            <l>Jhre Gedanken! und &#x017F;ie, die beyden Glu&#x0364;cklichen wurden</l><lb/>
            <l>Schnell verkla&#x0364;rt! Sie &#x017F;chwebten daher, und umarmten einander,</l><lb/>
            <l>Ach das er&#x017F;temal dort, und nicht in den Hu&#x0364;tten der Trennung.</l><lb/>
            <l>Wieder&#x017F;ehen, o du der Liebenden Wieder&#x017F;ehen,</l><lb/>
            <l>Wenn bey dem Staube des Einen nun auch des Anderen Staub ruht,</l><lb/>
            <l>Selb&#x017F;t der Gedank&#x2019; an dich i&#x017F;t nur ein Traum von Cidli&#x2019;s</l><lb/>
            <l>Freuden, nun weinten &#x017F;ie andere Thra&#x0364;nen, und Semida&#x2019;s Freuden!</l>
          </lg>
        </lg>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[254/0270] Der Meſſias. Funfzehnter Geſang. Meine Mutter! der Herr geleite dich, melne Mutter! Himmliſche Freundinn, laß bald mich wieder die Mutter umarmen! Und ſie verlieſſen die Arme, die weinend ihnen nachſah. Als ſie die Hoͤhen erſtiegen, und Cidli vor Staunen kaum fragte, Sahe ſie fern in den Cederſchatten Semida kommen Mit dem Pilger, der nun in ſeinem Schimmer auch glaͤnzte. Semida ſah auch ſie. Die beyden Sterblichen ſtanden, Gingen, und bebten, und ruhten. Auf jeder Seite begannen Strahlengeſtalten um ſie zu ſchweben, und ihnen zu laͤcheln. O wie glaͤnzten, noch Unerkannte, der Greis, und der Blinde, Und der verwundete Mann, und ſeine kommenden Bruͤder! Jmmer wurden der Himmliſchen mehr, und leuchtender immer. Wer vermag die Entzuͤckungen alle mit Namen zu nennen, Welche die beyden ergriffen. Wie ſie mit gefalteten Haͤnden, Staunend ſich umſahn, wieder den Blick zu der Erde ſenkten! Fragen wollten, und in der bebenden Frage verſtummten! Wie von den Strahlen umgeben der nahen Unſterblichen, wie ſie Dann von dem Schimmer, und ſanftzulispelndem Segnen umgeben, Freudig waren, und bang! … Sie kamen ſich naͤher. … Da ſchwanden Jhre Gedanken! und ſie, die beyden Gluͤcklichen wurden Schnell verklaͤrt! Sie ſchwebten daher, und umarmten einander, Ach das erſtemal dort, und nicht in den Huͤtten der Trennung. Wiederſehen, o du der Liebenden Wiederſehen, Wenn bey dem Staube des Einen nun auch des Anderen Staub ruht, Selbſt der Gedank’ an dich iſt nur ein Traum von Cidli’s Freuden, nun weinten ſie andere Thraͤnen, und Semida’s Freuden!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/270
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/270>, abgerufen am 19.04.2024.