le zu rufen, und ihn dem Willen des Men- schen unterthänig zu machen. Bis jezt konnte er sich noch nicht, aus Vorliebe zu seiner unsterblichen Seele, für die jeder Christ wacht, ohne sie weiter zu kennen, zu diesem gefährlichen Schritt entschließen. In diesem Augenblick war er ein Mann in seiner vollen Blüthe. Die Natur hatte ihn, wie einen ihrer Günstlinge behandelt, ihm ei- nen schönen, festen Körper, und eine be- deutende, edle Gesichtsbildung verliehen. Genug um Glück in der Welt zu machen; aber da sie die gefährlichen Gaben, streben- de, stolze Kraft des Geistes, hohes, feuri- ges Gefühl des Herzens, und eine glühende Einbildungskraft hinzufügte, die das Ge- genwärtige nie befriedigte, die das Leere, Unzulängliche des Erhaschten, in dem Au- genblick des Genusses aufspührte, und alle seine übrigen Fähigkeiten beherrschte, so ver- lohr er bald den Pfad des Glücks, auf den nur Beschränktheit den Sterblichen zu füh- ren scheint, und auf welchem ihn nur Be-
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le zu rufen, und ihn dem Willen des Men- ſchen unterthaͤnig zu machen. Bis jezt konnte er ſich noch nicht, aus Vorliebe zu ſeiner unſterblichen Seele, fuͤr die jeder Chriſt wacht, ohne ſie weiter zu kennen, zu dieſem gefaͤhrlichen Schritt entſchließen. In dieſem Augenblick war er ein Mann in ſeiner vollen Bluͤthe. Die Natur hatte ihn, wie einen ihrer Guͤnſtlinge behandelt, ihm ei- nen ſchoͤnen, feſten Koͤrper, und eine be- deutende, edle Geſichtsbildung verliehen. Genug um Gluͤck in der Welt zu machen; aber da ſie die gefaͤhrlichen Gaben, ſtreben- de, ſtolze Kraft des Geiſtes, hohes, feuri- ges Gefuͤhl des Herzens, und eine gluͤhende Einbildungskraft hinzufuͤgte, die das Ge- genwaͤrtige nie befriedigte, die das Leere, Unzulaͤngliche des Erhaſchten, in dem Au- genblick des Genuſſes aufſpuͤhrte, und alle ſeine uͤbrigen Faͤhigkeiten beherrſchte, ſo ver- lohr er bald den Pfad des Gluͤcks, auf den nur Beſchraͤnktheit den Sterblichen zu fuͤh- ren ſcheint, und auf welchem ihn nur Be-
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le zu rufen, und ihn dem Willen des Men-
ſchen unterthaͤnig zu machen. Bis jezt
konnte er ſich noch nicht, aus Vorliebe zu
ſeiner unſterblichen Seele, fuͤr die jeder
Chriſt wacht, ohne ſie weiter zu kennen, zu
dieſem gefaͤhrlichen Schritt entſchließen. In
dieſem Augenblick war er ein Mann in ſeiner
vollen Bluͤthe. Die Natur hatte ihn, wie
einen ihrer Guͤnſtlinge behandelt, ihm ei-
nen ſchoͤnen, feſten Koͤrper, und eine be-
deutende, edle Geſichtsbildung verliehen.
Genug um Gluͤck in der Welt zu machen;
aber da ſie die gefaͤhrlichen Gaben, ſtreben-
de, ſtolze Kraft des Geiſtes, hohes, feuri-
ges Gefuͤhl des Herzens, und eine gluͤhende
Einbildungskraft hinzufuͤgte, die das Ge-
genwaͤrtige nie befriedigte, die das Leere,
Unzulaͤngliche des Erhaſchten, in dem Au-
genblick des Genuſſes aufſpuͤhrte, und alle
ſeine uͤbrigen Faͤhigkeiten beherrſchte, ſo ver-
lohr er bald den Pfad des Gluͤcks, auf den
nur Beſchraͤnktheit den Sterblichen zu fuͤh-
ren ſcheint, und auf welchem ihn nur Be-
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/15>, abgerufen am 23.11.2024.
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