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Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912.

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Und mit ihm teilte diese Ansicht der ebenso konservative Moltke,
der nicht nur für das allgemeine, gleiche, direkte, sondern auch für das
geheime Wahlrecht eintrat.

Einen bessern Beweis dafür, daß das allgemeine, gleiche Wahlrecht
nicht Partei-, sondern Gerechtigkeitsforderung ist, als das Zeugnis dieser
beiden hochkonservativen Staatsmänner brauche ich Jhnen nicht zu er-
bringen. Und darin liegt zugleich der Beweis, daß die beiden Ab-
sätze unseres Paragraphen nicht im Widerspruch
miteinander
stehen.

Um Jhnen meinen dritten Leitsatz beweisen zu können, daß ohne
allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht ein
Frauenstimmrecht in des Wortes wahrer Bedeutung, also ein
Mitbestimmungsrecht an den Gesetzen und Geschicken des
Staates für die Frauen aller Klassen und Stände unmöglich

ist, muß ich Sie bitten, sich mit mir die verschiedenen Wahlrechtsformen
einmal anzusehen. Nicht, als ob ich Sie durch all die verschiedenen
Wahlrechte und Unrechte unserer lieben deutschen Bundesstaaten führen
wollte: nur die hauptsächlichsten Typen möchte ich Jhnen kurz skizzieren
und daran anknüpfend mit Jhnen feststellen, was dabei für die Frauen
herauskommt.

Vom prinzipiellen Standpunkt aus gibt es eigentlich nur zwei
Wahlsysteme: Ein allgemeines, gleiches, das jedem Bürger, soweit er
überhaupt im Besitz seiner fünf Sinne und kein Verbrecher ist, das
Recht der Mitbestimmung zuerkennt, - das also logischerweise auch
uns Frauen einschließen müßte, da man sich ja allmählich zu der Er-
kenntnis durchgerungen hat, daß wir nicht nur eine "lebendige Seele",
sondern auch einen ganz normalen Verstand haben. Beides wurde
bekanntlich früher bezweifelt.

Dem allgemeinen, gleichen Wahlgesetz steht gegenüber das beschränkte
ungleiche, das nur die geeignetsten und besten Vertreter der Volks-
gesamtheit auswählen will. Das klingt ja nun sehr schön, - aber
wo ist die unfehlbare Jnstanz, die diese Auswahl trifft?!
Wer steht so hoch über allem Menschlichen, wer hat den weltumspannenden
Blick, der alles, das ganze reiche Leben in all seinen verschiedenen
Formen umfassen könnte? Wer ist so wenig Partei, um hier eine wirklich
gerechte Auswahl treffen zu können?!

Jn Wirklichkeit haben wir in unserm Vaterland fast ebensoviel
Wahlrechte wie Staaten, durch die verschiedenen Abstufungen der er-
wähnten beiden Systeme.

Und mit ihm teilte diese Ansicht der ebenso konservative Moltke,
der nicht nur für das allgemeine, gleiche, direkte, sondern auch für das
geheime Wahlrecht eintrat.

Einen bessern Beweis dafür, daß das allgemeine, gleiche Wahlrecht
nicht Partei-, sondern Gerechtigkeitsforderung ist, als das Zeugnis dieser
beiden hochkonservativen Staatsmänner brauche ich Jhnen nicht zu er-
bringen. Und darin liegt zugleich der Beweis, daß die beiden Ab-
sätze unseres Paragraphen nicht im Widerspruch
miteinander
stehen.

Um Jhnen meinen dritten Leitsatz beweisen zu können, daß ohne
allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht ein
Frauenstimmrecht in des Wortes wahrer Bedeutung, also ein
Mitbestimmungsrecht an den Gesetzen und Geschicken des
Staates für die Frauen aller Klassen und Stände unmöglich

ist, muß ich Sie bitten, sich mit mir die verschiedenen Wahlrechtsformen
einmal anzusehen. Nicht, als ob ich Sie durch all die verschiedenen
Wahlrechte und Unrechte unserer lieben deutschen Bundesstaaten führen
wollte: nur die hauptsächlichsten Typen möchte ich Jhnen kurz skizzieren
und daran anknüpfend mit Jhnen feststellen, was dabei für die Frauen
herauskommt.

Vom prinzipiellen Standpunkt aus gibt es eigentlich nur zwei
Wahlsysteme: Ein allgemeines, gleiches, das jedem Bürger, soweit er
überhaupt im Besitz seiner fünf Sinne und kein Verbrecher ist, das
Recht der Mitbestimmung zuerkennt, – das also logischerweise auch
uns Frauen einschließen müßte, da man sich ja allmählich zu der Er-
kenntnis durchgerungen hat, daß wir nicht nur eine „lebendige Seele“,
sondern auch einen ganz normalen Verstand haben. Beides wurde
bekanntlich früher bezweifelt.

Dem allgemeinen, gleichen Wahlgesetz steht gegenüber das beschränkte
ungleiche, das nur die geeignetsten und besten Vertreter der Volks-
gesamtheit auswählen will. Das klingt ja nun sehr schön, – aber
wo ist die unfehlbare Jnstanz, die diese Auswahl trifft?!
Wer steht so hoch über allem Menschlichen, wer hat den weltumspannenden
Blick, der alles, das ganze reiche Leben in all seinen verschiedenen
Formen umfassen könnte? Wer ist so wenig Partei, um hier eine wirklich
gerechte Auswahl treffen zu können?!

Jn Wirklichkeit haben wir in unserm Vaterland fast ebensoviel
Wahlrechte wie Staaten, durch die verschiedenen Abstufungen der er-
wähnten beiden Systeme.

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[17/0017] Und mit ihm teilte diese Ansicht der ebenso konservative Moltke, der nicht nur für das allgemeine, gleiche, direkte, sondern auch für das geheime Wahlrecht eintrat. Einen bessern Beweis dafür, daß das allgemeine, gleiche Wahlrecht nicht Partei-, sondern Gerechtigkeitsforderung ist, als das Zeugnis dieser beiden hochkonservativen Staatsmänner brauche ich Jhnen nicht zu er- bringen. Und darin liegt zugleich der Beweis, daß die beiden Ab- sätze unseres Paragraphen nicht im Widerspruch miteinander stehen. Um Jhnen meinen dritten Leitsatz beweisen zu können, daß ohne allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht ein Frauenstimmrecht in des Wortes wahrer Bedeutung, also ein Mitbestimmungsrecht an den Gesetzen und Geschicken des Staates für die Frauen aller Klassen und Stände unmöglich ist, muß ich Sie bitten, sich mit mir die verschiedenen Wahlrechtsformen einmal anzusehen. Nicht, als ob ich Sie durch all die verschiedenen Wahlrechte und Unrechte unserer lieben deutschen Bundesstaaten führen wollte: nur die hauptsächlichsten Typen möchte ich Jhnen kurz skizzieren und daran anknüpfend mit Jhnen feststellen, was dabei für die Frauen herauskommt. Vom prinzipiellen Standpunkt aus gibt es eigentlich nur zwei Wahlsysteme: Ein allgemeines, gleiches, das jedem Bürger, soweit er überhaupt im Besitz seiner fünf Sinne und kein Verbrecher ist, das Recht der Mitbestimmung zuerkennt, – das also logischerweise auch uns Frauen einschließen müßte, da man sich ja allmählich zu der Er- kenntnis durchgerungen hat, daß wir nicht nur eine „lebendige Seele“, sondern auch einen ganz normalen Verstand haben. Beides wurde bekanntlich früher bezweifelt. Dem allgemeinen, gleichen Wahlgesetz steht gegenüber das beschränkte ungleiche, das nur die geeignetsten und besten Vertreter der Volks- gesamtheit auswählen will. Das klingt ja nun sehr schön, – aber wo ist die unfehlbare Jnstanz, die diese Auswahl trifft?! Wer steht so hoch über allem Menschlichen, wer hat den weltumspannenden Blick, der alles, das ganze reiche Leben in all seinen verschiedenen Formen umfassen könnte? Wer ist so wenig Partei, um hier eine wirklich gerechte Auswahl treffen zu können?! Jn Wirklichkeit haben wir in unserm Vaterland fast ebensoviel Wahlrechte wie Staaten, durch die verschiedenen Abstufungen der er- wähnten beiden Systeme.

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Anna Pfundt: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2014-07-16T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2014-07-16T11:00:00Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912/17>, abgerufen am 29.03.2024.