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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
schränkte Zeit in spätern Jahren ist nicht zu vergessen. Aber
die tiefere Ursache und der künstlerische Werth der manera
golpeada
liegt doch in optischen Beobachtungen. Bekannt ist,
dass ein Kreis von Erscheinungen besser und klarer auf der ge-
malten Fläche herauskommt, wenn man die Mischung der Striche
und Farben dem Auge, der Netzhaut überlässt. Brücke zeigt,
wie bei dem Grenzübergang zwischen dem Sehen der einzelnen
Linien und Punkte und dem Verschwimmen in einen völlig
gleichmässigen Ton, und der dadurch hervorgerufenen Ungewiss-
heit der Eindruck der Fläche gegen den des Reliefs zurücktritt
(Die Physiologie der Farben, 285). Eben darauf beruht der
eigenthümliche Schimmer und Glanz, welcher den Werken des
Meisters eigenthümlich ist und für unnachahmlich gilt 1). Von
besonderer Bedeutung ist diese Malführung bei Darstellungen in
diffusem Tageslicht, mit Gleichheit der Werthe. Die Erhaltung
des graphisch scharfen, mosaikartigen Nebeneinander, welches
sonst Skizze und Untermalung kennzeichnet, ist hier unentbehr-
lich. John Burnet weist nach, dass hier nichts übler angebracht
wäre, als jene verschmelzende Abtönung, wie sie z. B. durch ein
Lasurenbad erzielt wird. Kein Maler macht von solch harmoni-
sirendem Uebergehen so wenig Gebrauch als Velazquez. Eher
hat er verschmolzen modellirte Flächen nach der Hand mit ein-
zelnem, gleichsam schwebenden Strichen übersät, wie auch El
Greco that und Franz Hals, der diese letzten Pinselstriche sein
Malerzeichen nannte. Auch die Täuschung stereoskopischen
Sehens kann durch solche Mittel unterstützt werden. Man be-
merkt zuweilen eine Verdoppelung der Kontour, wo ein paralleler,
wie ausfahrender Strich neben dem Rand der Figur herläuft. Ja
bei gewissen beweglichen Theilen, z. B. Händen, nehmen sich
diese schwankenden Umrisse wie verschobene Nebenbilder aus.
Durch derartige Mittel erreicht er, dass sich die Gestalten zu-
weilen nicht nur ablösen, sondern zu bewegen, leicht zu drehen
scheinen.

Dies führt auf seine Technik, die von Vielen, auch Malern
für unergründlich erklärt worden ist 2). Die Schwierigkeit der

1) Wilkie war der erste, der diesen Zug bemerkt hat. Murillo being all
softness, while V. is all sparkle and vivacity. 12. November 1827. Hierin liegt
der augenfälligste Unterschied einer V.'schen Leinwand von Tizian.
2) Cet artiste est une fee qui evoque toutes les apparitions instantanement en
apparence, mais apres de mysterieuses conjurations dont personne n'a le secret.
W. Burger.

Siebentes Buch.
schränkte Zeit in spätern Jahren ist nicht zu vergessen. Aber
die tiefere Ursache und der künstlerische Werth der manera
golpeada
liegt doch in optischen Beobachtungen. Bekannt ist,
dass ein Kreis von Erscheinungen besser und klarer auf der ge-
malten Fläche herauskommt, wenn man die Mischung der Striche
und Farben dem Auge, der Netzhaut überlässt. Brücke zeigt,
wie bei dem Grenzübergang zwischen dem Sehen der einzelnen
Linien und Punkte und dem Verschwimmen in einen völlig
gleichmässigen Ton, und der dadurch hervorgerufenen Ungewiss-
heit der Eindruck der Fläche gegen den des Reliefs zurücktritt
(Die Physiologie der Farben, 285). Eben darauf beruht der
eigenthümliche Schimmer und Glanz, welcher den Werken des
Meisters eigenthümlich ist und für unnachahmlich gilt 1). Von
besonderer Bedeutung ist diese Malführung bei Darstellungen in
diffusem Tageslicht, mit Gleichheit der Werthe. Die Erhaltung
des graphisch scharfen, mosaikartigen Nebeneinander, welches
sonst Skizze und Untermalung kennzeichnet, ist hier unentbehr-
lich. John Burnet weist nach, dass hier nichts übler angebracht
wäre, als jene verschmelzende Abtönung, wie sie z. B. durch ein
Lasurenbad erzielt wird. Kein Maler macht von solch harmoni-
sirendem Uebergehen so wenig Gebrauch als Velazquez. Eher
hat er verschmolzen modellirte Flächen nach der Hand mit ein-
zelnem, gleichsam schwebenden Strichen übersät, wie auch El
Greco that und Franz Hals, der diese letzten Pinselstriche sein
Malerzeichen nannte. Auch die Täuschung stereoskopischen
Sehens kann durch solche Mittel unterstützt werden. Man be-
merkt zuweilen eine Verdoppelung der Kontour, wo ein paralleler,
wie ausfahrender Strich neben dem Rand der Figur herläuft. Ja
bei gewissen beweglichen Theilen, z. B. Händen, nehmen sich
diese schwankenden Umrisse wie verschobene Nebenbilder aus.
Durch derartige Mittel erreicht er, dass sich die Gestalten zu-
weilen nicht nur ablösen, sondern zu bewegen, leicht zu drehen
scheinen.

Dies führt auf seine Technik, die von Vielen, auch Malern
für unergründlich erklärt worden ist 2). Die Schwierigkeit der

1) Wilkie war der erste, der diesen Zug bemerkt hat. Murillo being all
softness, while V. is all sparkle and vivacity. 12. November 1827. Hierin liegt
der augenfälligste Unterschied einer V.’schen Leinwand von Tizian.
2) Cet artiste est une fée qui évoque toutes les apparitions instantanément en
apparence, mais après de mystérieuses conjurations dont personne n’a le secret.
W. Burger.
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[276/0296] Siebentes Buch. schränkte Zeit in spätern Jahren ist nicht zu vergessen. Aber die tiefere Ursache und der künstlerische Werth der manera golpeada liegt doch in optischen Beobachtungen. Bekannt ist, dass ein Kreis von Erscheinungen besser und klarer auf der ge- malten Fläche herauskommt, wenn man die Mischung der Striche und Farben dem Auge, der Netzhaut überlässt. Brücke zeigt, wie bei dem Grenzübergang zwischen dem Sehen der einzelnen Linien und Punkte und dem Verschwimmen in einen völlig gleichmässigen Ton, und der dadurch hervorgerufenen Ungewiss- heit der Eindruck der Fläche gegen den des Reliefs zurücktritt (Die Physiologie der Farben, 285). Eben darauf beruht der eigenthümliche Schimmer und Glanz, welcher den Werken des Meisters eigenthümlich ist und für unnachahmlich gilt 1). Von besonderer Bedeutung ist diese Malführung bei Darstellungen in diffusem Tageslicht, mit Gleichheit der Werthe. Die Erhaltung des graphisch scharfen, mosaikartigen Nebeneinander, welches sonst Skizze und Untermalung kennzeichnet, ist hier unentbehr- lich. John Burnet weist nach, dass hier nichts übler angebracht wäre, als jene verschmelzende Abtönung, wie sie z. B. durch ein Lasurenbad erzielt wird. Kein Maler macht von solch harmoni- sirendem Uebergehen so wenig Gebrauch als Velazquez. Eher hat er verschmolzen modellirte Flächen nach der Hand mit ein- zelnem, gleichsam schwebenden Strichen übersät, wie auch El Greco that und Franz Hals, der diese letzten Pinselstriche sein Malerzeichen nannte. Auch die Täuschung stereoskopischen Sehens kann durch solche Mittel unterstützt werden. Man be- merkt zuweilen eine Verdoppelung der Kontour, wo ein paralleler, wie ausfahrender Strich neben dem Rand der Figur herläuft. Ja bei gewissen beweglichen Theilen, z. B. Händen, nehmen sich diese schwankenden Umrisse wie verschobene Nebenbilder aus. Durch derartige Mittel erreicht er, dass sich die Gestalten zu- weilen nicht nur ablösen, sondern zu bewegen, leicht zu drehen scheinen. Dies führt auf seine Technik, die von Vielen, auch Malern für unergründlich erklärt worden ist 2). Die Schwierigkeit der 1) Wilkie war der erste, der diesen Zug bemerkt hat. Murillo being all softness, while V. is all sparkle and vivacity. 12. November 1827. Hierin liegt der augenfälligste Unterschied einer V.’schen Leinwand von Tizian. 2) Cet artiste est une fée qui évoque toutes les apparitions instantanément en apparence, mais après de mystérieuses conjurations dont personne n’a le secret. W. Burger.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/296>, abgerufen am 29.03.2024.