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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Meeres zu unserer Ueberraschung Moose, die vollkommen den
europäischen glichen. Beim großen Katarakt von Atures
pflückten wir die schöne Grimmia-Art mit Fontinalisblättern,
welche die Botaniker so sehr beschäftigt hat; sie hängt an den
Aesten der höchsten Bäume. Unter den Phanerogamen herr-
schen in den bewaldeten Strichen Mimosen, Fikus und Lau-
rineen vor. Dies ist um so charakteristischer, als nach Browns
neuerlicher Beobachtung auf dem gegenüberliegenden Kon-
tinent, im tropischen Afrika, die Laurineen fast ganz zu fehlen
scheinen. Gewächse, welche Feuchtigkeit lieben, schmücken die
Ufer am Wasserfall. Man findet hier in den Niederungen
Büsche von Helikonia und anderen Scitamineen mit breiten,
glänzenden Blättern, Bamburohre, die drei Palmenarten
Murichi, Jagua und Vadgiai, deren jede besondere
Gruppen bildet. Die Murichipalme oder die Mauritia mit
schuppiger Frucht ist die berühmte Sagopalme der Guaraun-
indianer; sie ist ein wirkliches geselliges Gewächs. Sie hat
handförmige Blätter und wächst nicht unter den Palmen mit
gefiederten und gekräuselten Blättern, dem Jagua, der eine
Art Kokospalme zu sein scheint, und dem Vadgiai oder Cu-
curito
, den man neben die schöne Gattung Oreodaxa stellen
kann. Der Cucurito, bei den Fällen von Atures und May-
pures die häufigste Palme, ist durch seinen Habitus aus-
gezeichnet. Seine Blätter oder vielmehr Wedel stehen auf
einem 24 bis 32 m hohen Stamme fast senkrecht, und zwar
im jugendlichen Zustande wie in der vollen Entwickelung;
nur die Spitzen sind umgebogen. Es sind wahre Federbüsche
vom zartesten, frischesten Grün. Der Cucurito, der Seje,
dessen Frucht der Aprikose gleicht, die Oreodoxa regia oder
Palma real von der Insel Cuba und das Ceroxylon der
hohen Anden sind im Wuchse die großartigsten Palmen der
Neuen Welt. Je näher man der gemäßigten Zone kommt,
desto mehr nehmen die Gewächse dieser Familie an Größe
und Schönheit ab. Welch ein Unterschied zwischen den eben
erwähnten Arten und der orientalischen Dattelpalme, die bei
den europäischen Landschaftsmalern leider der Typus der Pal-
menfamilie geworden ist!

Es ist nicht zu verwundern, daß, wer nur das nördliche
Afrika, Sizilien oder Murcia bereist hat, nicht begreifen kann,
daß unter allen großen Baumgestalten die Gestalt der Palme
die großartigste und schönste sein soll. Unzureichende Ana-
logieen sind schuld, daß sich der Europäer keine richtige Vor-

Meeres zu unſerer Ueberraſchung Mooſe, die vollkommen den
europäiſchen glichen. Beim großen Katarakt von Atures
pflückten wir die ſchöne Grimmia-Art mit Fontinalisblättern,
welche die Botaniker ſo ſehr beſchäftigt hat; ſie hängt an den
Aeſten der höchſten Bäume. Unter den Phanerogamen herr-
ſchen in den bewaldeten Strichen Mimoſen, Fikus und Lau-
rineen vor. Dies iſt um ſo charakteriſtiſcher, als nach Browns
neuerlicher Beobachtung auf dem gegenüberliegenden Kon-
tinent, im tropiſchen Afrika, die Laurineen faſt ganz zu fehlen
ſcheinen. Gewächſe, welche Feuchtigkeit lieben, ſchmücken die
Ufer am Waſſerfall. Man findet hier in den Niederungen
Büſche von Helikonia und anderen Scitamineen mit breiten,
glänzenden Blättern, Bamburohre, die drei Palmenarten
Murichi, Jagua und Vadgiai, deren jede beſondere
Gruppen bildet. Die Murichipalme oder die Mauritia mit
ſchuppiger Frucht iſt die berühmte Sagopalme der Guaraun-
indianer; ſie iſt ein wirkliches geſelliges Gewächs. Sie hat
handförmige Blätter und wächſt nicht unter den Palmen mit
gefiederten und gekräuſelten Blättern, dem Jagua, der eine
Art Kokospalme zu ſein ſcheint, und dem Vadgiai oder Cu-
curito
, den man neben die ſchöne Gattung Oreodaxa ſtellen
kann. Der Cucurito, bei den Fällen von Atures und May-
pures die häufigſte Palme, iſt durch ſeinen Habitus aus-
gezeichnet. Seine Blätter oder vielmehr Wedel ſtehen auf
einem 24 bis 32 m hohen Stamme faſt ſenkrecht, und zwar
im jugendlichen Zuſtande wie in der vollen Entwickelung;
nur die Spitzen ſind umgebogen. Es ſind wahre Federbüſche
vom zarteſten, friſcheſten Grün. Der Cucurito, der Seje,
deſſen Frucht der Aprikoſe gleicht, die Oreodoxa regia oder
Palma real von der Inſel Cuba und das Ceroxylon der
hohen Anden ſind im Wuchſe die großartigſten Palmen der
Neuen Welt. Je näher man der gemäßigten Zone kommt,
deſto mehr nehmen die Gewächſe dieſer Familie an Größe
und Schönheit ab. Welch ein Unterſchied zwiſchen den eben
erwähnten Arten und der orientaliſchen Dattelpalme, die bei
den europäiſchen Landſchaftsmalern leider der Typus der Pal-
menfamilie geworden iſt!

Es iſt nicht zu verwundern, daß, wer nur das nördliche
Afrika, Sizilien oder Murcia bereiſt hat, nicht begreifen kann,
daß unter allen großen Baumgeſtalten die Geſtalt der Palme
die großartigſte und ſchönſte ſein ſoll. Unzureichende Ana-
logieen ſind ſchuld, daß ſich der Europäer keine richtige Vor-

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[124/0132] Meeres zu unſerer Ueberraſchung Mooſe, die vollkommen den europäiſchen glichen. Beim großen Katarakt von Atures pflückten wir die ſchöne Grimmia-Art mit Fontinalisblättern, welche die Botaniker ſo ſehr beſchäftigt hat; ſie hängt an den Aeſten der höchſten Bäume. Unter den Phanerogamen herr- ſchen in den bewaldeten Strichen Mimoſen, Fikus und Lau- rineen vor. Dies iſt um ſo charakteriſtiſcher, als nach Browns neuerlicher Beobachtung auf dem gegenüberliegenden Kon- tinent, im tropiſchen Afrika, die Laurineen faſt ganz zu fehlen ſcheinen. Gewächſe, welche Feuchtigkeit lieben, ſchmücken die Ufer am Waſſerfall. Man findet hier in den Niederungen Büſche von Helikonia und anderen Scitamineen mit breiten, glänzenden Blättern, Bamburohre, die drei Palmenarten Murichi, Jagua und Vadgiai, deren jede beſondere Gruppen bildet. Die Murichipalme oder die Mauritia mit ſchuppiger Frucht iſt die berühmte Sagopalme der Guaraun- indianer; ſie iſt ein wirkliches geſelliges Gewächs. Sie hat handförmige Blätter und wächſt nicht unter den Palmen mit gefiederten und gekräuſelten Blättern, dem Jagua, der eine Art Kokospalme zu ſein ſcheint, und dem Vadgiai oder Cu- curito, den man neben die ſchöne Gattung Oreodaxa ſtellen kann. Der Cucurito, bei den Fällen von Atures und May- pures die häufigſte Palme, iſt durch ſeinen Habitus aus- gezeichnet. Seine Blätter oder vielmehr Wedel ſtehen auf einem 24 bis 32 m hohen Stamme faſt ſenkrecht, und zwar im jugendlichen Zuſtande wie in der vollen Entwickelung; nur die Spitzen ſind umgebogen. Es ſind wahre Federbüſche vom zarteſten, friſcheſten Grün. Der Cucurito, der Seje, deſſen Frucht der Aprikoſe gleicht, die Oreodoxa regia oder Palma real von der Inſel Cuba und das Ceroxylon der hohen Anden ſind im Wuchſe die großartigſten Palmen der Neuen Welt. Je näher man der gemäßigten Zone kommt, deſto mehr nehmen die Gewächſe dieſer Familie an Größe und Schönheit ab. Welch ein Unterſchied zwiſchen den eben erwähnten Arten und der orientaliſchen Dattelpalme, die bei den europäiſchen Landſchaftsmalern leider der Typus der Pal- menfamilie geworden iſt! Es iſt nicht zu verwundern, daß, wer nur das nördliche Afrika, Sizilien oder Murcia bereiſt hat, nicht begreifen kann, daß unter allen großen Baumgeſtalten die Geſtalt der Palme die großartigſte und ſchönſte ſein ſoll. Unzureichende Ana- logieen ſind ſchuld, daß ſich der Europäer keine richtige Vor-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/132>, abgerufen am 19.04.2024.