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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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Beifall. Sie selbst muß gut für uns seyn, denn
der große Komponist konnte weder etwas schlech-
tes machen, noch seine Rollen schlecht austheilen.

Das große Konzert der Schöpfung enthält
allerlei Spieler, auch der Stümper füllt seine
Lücke aus, schleicht mit durch; er gehört zum
Ganzen, und ist daher nicht ohne Nutzen. Jn
einer andern Region kann er ein Meister seyn. --
Mancher Mißlaut tönt, er tönt aber nur den
Ohren des nächsten Nachbars unangenehm, in
dem All verliert er sich; der Meister vernimmt
ihn; die Saite klingt unrein -- er winkt sie zu
stimmen. Ein rasches Allegro wechselt mit dem
sanften Adagio im Moltone, ihr Charakter bringt
Empfindungen hervor, die ihm eigenthümlich
sind. Wohl dem, der im Spiel des Trauer-
stücks Thränen weint und auf das Fröhlige hin-
blickt, der im Genuß des Letztern die Möglich-
keit des Erstern nicht übersiehet. Der Unterschied
bestehet nur in einem Tone, der oft kaum be-
merkt wird. Eine Abweichung, die die Rück-
kehr nicht vergessen macht, verrräth einen gu-
ten Spieler.

Phantasien dienen zur Charakteristik; aus
ihnen gehen neue Erfindungen und Erfahrungen
hervor. Wer will sie verdammen, wenn sie nur
nicht dem Nachbar unangenehm sind. -- Nicht

Beifall. Sie ſelbſt muß gut fuͤr uns ſeyn, denn
der große Komponiſt konnte weder etwas ſchlech-
tes machen, noch ſeine Rollen ſchlecht austheilen.

Das große Konzert der Schoͤpfung enthaͤlt
allerlei Spieler, auch der Stuͤmper fuͤllt ſeine
Luͤcke aus, ſchleicht mit durch; er gehoͤrt zum
Ganzen, und iſt daher nicht ohne Nutzen. Jn
einer andern Region kann er ein Meiſter ſeyn. —
Mancher Mißlaut toͤnt, er toͤnt aber nur den
Ohren des naͤchſten Nachbars unangenehm, in
dem All verliert er ſich; der Meiſter vernimmt
ihn; die Saite klingt unrein — er winkt ſie zu
ſtimmen. Ein raſches Allegro wechſelt mit dem
ſanften Adagio im Moltone, ihr Charakter bringt
Empfindungen hervor, die ihm eigenthuͤmlich
ſind. Wohl dem, der im Spiel des Trauer-
ſtuͤcks Thraͤnen weint und auf das Froͤhlige hin-
blickt, der im Genuß des Letztern die Moͤglich-
keit des Erſtern nicht uͤberſiehet. Der Unterſchied
beſtehet nur in einem Tone, der oft kaum be-
merkt wird. Eine Abweichung, die die Ruͤck-
kehr nicht vergeſſen macht, verrraͤth einen gu-
ten Spieler.

Phantaſien dienen zur Charakteriſtik; aus
ihnen gehen neue Erfindungen und Erfahrungen
hervor. Wer will ſie verdammen, wenn ſie nur
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[9/0009] Beifall. Sie ſelbſt muß gut fuͤr uns ſeyn, denn der große Komponiſt konnte weder etwas ſchlech- tes machen, noch ſeine Rollen ſchlecht austheilen. Das große Konzert der Schoͤpfung enthaͤlt allerlei Spieler, auch der Stuͤmper fuͤllt ſeine Luͤcke aus, ſchleicht mit durch; er gehoͤrt zum Ganzen, und iſt daher nicht ohne Nutzen. Jn einer andern Region kann er ein Meiſter ſeyn. — Mancher Mißlaut toͤnt, er toͤnt aber nur den Ohren des naͤchſten Nachbars unangenehm, in dem All verliert er ſich; der Meiſter vernimmt ihn; die Saite klingt unrein — er winkt ſie zu ſtimmen. Ein raſches Allegro wechſelt mit dem ſanften Adagio im Moltone, ihr Charakter bringt Empfindungen hervor, die ihm eigenthuͤmlich ſind. Wohl dem, der im Spiel des Trauer- ſtuͤcks Thraͤnen weint und auf das Froͤhlige hin- blickt, der im Genuß des Letztern die Moͤglich- keit des Erſtern nicht uͤberſiehet. Der Unterſchied beſtehet nur in einem Tone, der oft kaum be- merkt wird. Eine Abweichung, die die Ruͤck- kehr nicht vergeſſen macht, verrraͤth einen gu- ten Spieler. Phantaſien dienen zur Charakteriſtik; aus ihnen gehen neue Erfindungen und Erfahrungen hervor. Wer will ſie verdammen, wenn ſie nur nicht dem Nachbar unangenehm ſind. — Nicht

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/9>, abgerufen am 25.04.2024.