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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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nun auch der Uebergang von Wundergeschichten
zu der Geisterseherei.

Ein verdienstvoller Gelehrter schrieb, viel-
leicht in einigen müßigen Stunden, ein Buch,
und nannte es den Geisterseher. Viele die es
gelesen haben, meinten es sey gut und hinreis-
send geschrieben, glaubten aber doch eine an-
dere Grundlage darin zu finden, als die ge-
wöhnliche Lesewelt darin fand. Das Buch fand
vielen Beifall und noch mehrere Nachahmer,
die nach gleichem Ruhme lüstern waren, aber
nicht gleiche Fähigkeiten und Geschmack mit zu
der Arbeit brachten. Jst es nicht sonderbar,
daß ein Mann, der für die Wissenschaften und
für die Aesthetik so vortrefliche Werke geliefert
hat, wider seinen Willen, Gelegenheit zu so
vielen schädlichen Possen geben mußte!

Aus diesem Geisterseher sind nun so viele ab-
scheuliche Mißgeburten hervorgegangen, lauter
ungerathene, ungezogene Krüppel, die weiter
kein Verdienst haben, als daß sie verkrüppelte
Mißgeburten sind, worin sich bei großer Trok-
kenheit doch lauter Ueberladung findet. Es
folgt Geist auf Geist, und Teufel auf Teufel,
und wer weiß ob wir nicht bald einen Geister
oder Teufelkrieg auf dem Theater sehen, oder
in Büchern beschrieben sinden.

nun auch der Uebergang von Wundergeſchichten
zu der Geiſterſeherei.

Ein verdienſtvoller Gelehrter ſchrieb, viel-
leicht in einigen muͤßigen Stunden, ein Buch,
und nannte es den Geiſterſeher. Viele die es
geleſen haben, meinten es ſey gut und hinreiſ-
ſend geſchrieben, glaubten aber doch eine an-
dere Grundlage darin zu finden, als die ge-
woͤhnliche Leſewelt darin fand. Das Buch fand
vielen Beifall und noch mehrere Nachahmer,
die nach gleichem Ruhme luͤſtern waren, aber
nicht gleiche Faͤhigkeiten und Geſchmack mit zu
der Arbeit brachten. Jſt es nicht ſonderbar,
daß ein Mann, der fuͤr die Wiſſenſchaften und
fuͤr die Aeſthetik ſo vortrefliche Werke geliefert
hat, wider ſeinen Willen, Gelegenheit zu ſo
vielen ſchaͤdlichen Poſſen geben mußte!

Aus dieſem Geiſterſeher ſind nun ſo viele ab-
ſcheuliche Mißgeburten hervorgegangen, lauter
ungerathene, ungezogene Kruͤppel, die weiter
kein Verdienſt haben, als daß ſie verkruͤppelte
Mißgeburten ſind, worin ſich bei großer Trok-
kenheit doch lauter Ueberladung findet. Es
folgt Geiſt auf Geiſt, und Teufel auf Teufel,
und wer weiß ob wir nicht bald einen Geiſter
oder Teufelkrieg auf dem Theater ſehen, oder
in Buͤchern beſchrieben ſinden.

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[21/0021] nun auch der Uebergang von Wundergeſchichten zu der Geiſterſeherei. Ein verdienſtvoller Gelehrter ſchrieb, viel- leicht in einigen muͤßigen Stunden, ein Buch, und nannte es den Geiſterſeher. Viele die es geleſen haben, meinten es ſey gut und hinreiſ- ſend geſchrieben, glaubten aber doch eine an- dere Grundlage darin zu finden, als die ge- woͤhnliche Leſewelt darin fand. Das Buch fand vielen Beifall und noch mehrere Nachahmer, die nach gleichem Ruhme luͤſtern waren, aber nicht gleiche Faͤhigkeiten und Geſchmack mit zu der Arbeit brachten. Jſt es nicht ſonderbar, daß ein Mann, der fuͤr die Wiſſenſchaften und fuͤr die Aeſthetik ſo vortrefliche Werke geliefert hat, wider ſeinen Willen, Gelegenheit zu ſo vielen ſchaͤdlichen Poſſen geben mußte! Aus dieſem Geiſterſeher ſind nun ſo viele ab- ſcheuliche Mißgeburten hervorgegangen, lauter ungerathene, ungezogene Kruͤppel, die weiter kein Verdienſt haben, als daß ſie verkruͤppelte Mißgeburten ſind, worin ſich bei großer Trok- kenheit doch lauter Ueberladung findet. Es folgt Geiſt auf Geiſt, und Teufel auf Teufel, und wer weiß ob wir nicht bald einen Geiſter oder Teufelkrieg auf dem Theater ſehen, oder in Buͤchern beſchrieben ſinden.

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/21>, abgerufen am 20.04.2024.