Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Gehe man jetzt auf unsre Märkte, in unsre
Kirchen und Gerichtsstäten, Besuchzimmer und
Häuser, und wolle bilden. Bilden? was?
Stühle oder Menschen? Reifröcke oder Hand-
schuh? Federwische auf Köpfen oder Cerimo-
nien? -- Bilden? und wie? durch welchen
Sinn? durchs Auge oder durch den Geruch?
da ja kein Auge das Auge des Freundes, ge-
schweige Wange die Wange, Mund den Mund,
Hand die Hand kennet. Jn den Ritterzeiten
verpanzerte man sich, um auf einander zu stechen;
wozu thut mans jetzt?

Griechische Spiele, Griechische Tänze,
Griechische Feste, Griechische Offenheit, Ju-
gend und Freude, wo sind sie? wo können sie
seyn? und wenn auch sogleich ein Serenissimus
regens,
etwa der Stifter eines neuen Griechen-
landes,
(so wie die fünfte Loge oben Paradies
heißt) durch Edikte, schwarz auf weiß, und
gar bey Trommelschlag sie allergnädigst anbeföh-
len? Stellet Griechische Statuen hin, daß jeder
Hund an sie pisset, und ihr könnt dem Sklaven,
der sie täglich vorbeigeht, dem Esel, der seine
Bürde schleppt, kein Gefühl geben, zu merken,
daß sie da sei und er ihr gleich werde. So habt
ihr also doch einen Zaunpfal hingesetzt, an den
er sich lehne und etwa seinen geschundenen Rücken
reibe! An einem berühmten Orte Deutschlands

ist
G 3

Gehe man jetzt auf unſre Maͤrkte, in unſre
Kirchen und Gerichtsſtaͤten, Beſuchzimmer und
Haͤuſer, und wolle bilden. Bilden? was?
Stuͤhle oder Menſchen? Reifroͤcke oder Hand-
ſchuh? Federwiſche auf Koͤpfen oder Cerimo-
nien? — Bilden? und wie? durch welchen
Sinn? durchs Auge oder durch den Geruch?
da ja kein Auge das Auge des Freundes, ge-
ſchweige Wange die Wange, Mund den Mund,
Hand die Hand kennet. Jn den Ritterzeiten
verpanzerte man ſich, um auf einander zu ſtechen;
wozu thut mans jetzt?

Griechiſche Spiele, Griechiſche Taͤnze,
Griechiſche Feſte, Griechiſche Offenheit, Ju-
gend und Freude, wo ſind ſie? wo koͤnnen ſie
ſeyn? und wenn auch ſogleich ein Sereniſſimus
regens,
etwa der Stifter eines neuen Griechen-
landes,
(ſo wie die fuͤnfte Loge oben Paradies
heißt) durch Edikte, ſchwarz auf weiß, und
gar bey Trommelſchlag ſie allergnaͤdigſt anbefoͤh-
len? Stellet Griechiſche Statuen hin, daß jeder
Hund an ſie piſſet, und ihr koͤnnt dem Sklaven,
der ſie taͤglich vorbeigeht, dem Eſel, der ſeine
Buͤrde ſchleppt, kein Gefuͤhl geben, zu merken,
daß ſie da ſei und er ihr gleich werde. So habt
ihr alſo doch einen Zaunpfal hingeſetzt, an den
er ſich lehne und etwa ſeinen geſchundenen Ruͤcken
reibe! An einem beruͤhmten Orte Deutſchlands

iſt
G 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0104" n="101"/>
        <p>Gehe man jetzt auf un&#x017F;re Ma&#x0364;rkte, in un&#x017F;re<lb/>
Kirchen und Gerichts&#x017F;ta&#x0364;ten, Be&#x017F;uchzimmer und<lb/>
Ha&#x0364;u&#x017F;er, und wolle bilden. Bilden? was?<lb/>
Stu&#x0364;hle oder Men&#x017F;chen? Reifro&#x0364;cke oder Hand-<lb/>
&#x017F;chuh? Federwi&#x017F;che auf Ko&#x0364;pfen oder Cerimo-<lb/>
nien? &#x2014; Bilden? und <hi rendition="#fr">wie?</hi> durch welchen<lb/>
Sinn? durchs Auge oder durch den Geruch?<lb/>
da ja kein Auge das Auge des Freundes, ge-<lb/>
&#x017F;chweige Wange die Wange, Mund den Mund,<lb/>
Hand die Hand kennet. Jn den Ritterzeiten<lb/>
verpanzerte man &#x017F;ich, um auf einander zu &#x017F;techen;<lb/>
wozu thut mans jetzt?</p><lb/>
        <p>Griechi&#x017F;che Spiele, Griechi&#x017F;che Ta&#x0364;nze,<lb/>
Griechi&#x017F;che Fe&#x017F;te, Griechi&#x017F;che Offenheit, Ju-<lb/>
gend und Freude, wo &#x017F;ind &#x017F;ie? wo ko&#x0364;nnen &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;eyn? und wenn auch &#x017F;ogleich ein <hi rendition="#aq">Sereni&#x017F;&#x017F;imus<lb/>
regens,</hi> etwa der Stifter eines neuen <hi rendition="#fr">Griechen-<lb/>
landes,</hi> (&#x017F;o wie die fu&#x0364;nfte Loge oben <hi rendition="#fr">Paradies</hi><lb/>
heißt) durch Edikte, &#x017F;chwarz auf weiß, und<lb/>
gar bey Trommel&#x017F;chlag &#x017F;ie allergna&#x0364;dig&#x017F;t anbefo&#x0364;h-<lb/>
len? Stellet Griechi&#x017F;che Statuen hin, daß jeder<lb/>
Hund an &#x017F;ie pi&#x017F;&#x017F;et, und ihr ko&#x0364;nnt dem Sklaven,<lb/>
der &#x017F;ie ta&#x0364;glich vorbeigeht, dem E&#x017F;el, der &#x017F;eine<lb/>
Bu&#x0364;rde &#x017F;chleppt, kein Gefu&#x0364;hl geben, zu merken,<lb/>
daß &#x017F;ie da &#x017F;ei und er ihr gleich werde. So habt<lb/>
ihr al&#x017F;o doch einen Zaunpfal hinge&#x017F;etzt, an den<lb/>
er &#x017F;ich lehne und etwa &#x017F;einen ge&#x017F;chundenen Ru&#x0364;cken<lb/>
reibe! An einem beru&#x0364;hmten Orte Deut&#x017F;chlands<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 3</fw><fw place="bottom" type="catch">i&#x017F;t</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0104] Gehe man jetzt auf unſre Maͤrkte, in unſre Kirchen und Gerichtsſtaͤten, Beſuchzimmer und Haͤuſer, und wolle bilden. Bilden? was? Stuͤhle oder Menſchen? Reifroͤcke oder Hand- ſchuh? Federwiſche auf Koͤpfen oder Cerimo- nien? — Bilden? und wie? durch welchen Sinn? durchs Auge oder durch den Geruch? da ja kein Auge das Auge des Freundes, ge- ſchweige Wange die Wange, Mund den Mund, Hand die Hand kennet. Jn den Ritterzeiten verpanzerte man ſich, um auf einander zu ſtechen; wozu thut mans jetzt? Griechiſche Spiele, Griechiſche Taͤnze, Griechiſche Feſte, Griechiſche Offenheit, Ju- gend und Freude, wo ſind ſie? wo koͤnnen ſie ſeyn? und wenn auch ſogleich ein Sereniſſimus regens, etwa der Stifter eines neuen Griechen- landes, (ſo wie die fuͤnfte Loge oben Paradies heißt) durch Edikte, ſchwarz auf weiß, und gar bey Trommelſchlag ſie allergnaͤdigſt anbefoͤh- len? Stellet Griechiſche Statuen hin, daß jeder Hund an ſie piſſet, und ihr koͤnnt dem Sklaven, der ſie taͤglich vorbeigeht, dem Eſel, der ſeine Buͤrde ſchleppt, kein Gefuͤhl geben, zu merken, daß ſie da ſei und er ihr gleich werde. So habt ihr alſo doch einen Zaunpfal hingeſetzt, an den er ſich lehne und etwa ſeinen geſchundenen Ruͤcken reibe! An einem beruͤhmten Orte Deutſchlands iſt G 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/104
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/104>, abgerufen am 23.11.2024.