Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

sein Latein in eine gemeine Sprache; und
ihr findet die trivialsten Dinge in einem
Ton gesagt, vor dem die demüthige Lan-
dessprache beinah verstummet. Dort ging
das gelehrte Kind in einem Gängelwagen
oder vielmehr der Gängelwagen (ambitus
verborum
) ging statt des gelehrten Kin-
des und nahm es mit; dem rund - viereck-
ten Vehikul entnommen, wie erbärmlich
ist seine Gestalt, wie schwach und dürftig!
Und doch machte man so oft die Erfah-
rung, daß unter allen literarisch - Stolzen
es fast keine stolzeren, als die Latein-
schreiber gebe. Sie sind die alten Ba-
rone, deren Diplom rückwärts über das
Christenthum, deren Unsterblichkeit vor-
wärts über den jüngsten Tag der Landes-
sprache hinausreicht. Sie schreiben nicht
für ihre Nation in der sogenannten Vul-
gar- oder Pöbelsprache; sondern für Welt

ſein Latein in eine gemeine Sprache; und
ihr findet die trivialſten Dinge in einem
Ton geſagt, vor dem die demuͤthige Lan-
desſprache beinah verſtummet. Dort ging
das gelehrte Kind in einem Gaͤngelwagen
oder vielmehr der Gaͤngelwagen (ambitus
verborum
) ging ſtatt des gelehrten Kin-
des und nahm es mit; dem rund - viereck-
ten Vehikul entnommen, wie erbaͤrmlich
iſt ſeine Geſtalt, wie ſchwach und duͤrftig!
Und doch machte man ſo oft die Erfah-
rung, daß unter allen literariſch - Stolzen
es faſt keine ſtolzeren, als die Latein-
ſchreiber gebe. Sie ſind die alten Ba-
rone, deren Diplom ruͤckwaͤrts uͤber das
Chriſtenthum, deren Unſterblichkeit vor-
waͤrts uͤber den juͤngſten Tag der Landes-
ſprache hinausreicht. Sie ſchreiben nicht
fuͤr ihre Nation in der ſogenannten Vul-
gar- oder Poͤbelſprache; ſondern fuͤr Welt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0040" n="21"/>
&#x017F;ein Latein in eine gemeine Sprache; und<lb/>
ihr findet die trivial&#x017F;ten Dinge in einem<lb/>
Ton ge&#x017F;agt, vor dem die demu&#x0364;thige Lan-<lb/>
des&#x017F;prache beinah ver&#x017F;tummet. Dort ging<lb/>
das gelehrte Kind in einem Ga&#x0364;ngelwagen<lb/>
oder vielmehr der Ga&#x0364;ngelwagen (<hi rendition="#aq">ambitus<lb/>
verborum</hi>) ging <hi rendition="#g">&#x017F;tatt</hi> des gelehrten Kin-<lb/>
des und nahm es mit; dem rund - viereck-<lb/>
ten Vehikul entnommen, wie erba&#x0364;rmlich<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;eine Ge&#x017F;talt, wie &#x017F;chwach und du&#x0364;rftig!<lb/>
Und doch machte man &#x017F;o oft die Erfah-<lb/>
rung, daß unter allen literari&#x017F;ch - Stolzen<lb/>
es fa&#x017F;t keine &#x017F;tolzeren, als die Latein-<lb/>
&#x017F;chreiber gebe. Sie &#x017F;ind die <hi rendition="#g">alten Ba</hi>-<lb/><hi rendition="#g">rone</hi>, deren Diplom ru&#x0364;ckwa&#x0364;rts u&#x0364;ber das<lb/>
Chri&#x017F;tenthum, deren Un&#x017F;terblichkeit vor-<lb/>
wa&#x0364;rts u&#x0364;ber den ju&#x0364;ng&#x017F;ten Tag der Landes-<lb/>
&#x017F;prache hinausreicht. Sie &#x017F;chreiben nicht<lb/>
fu&#x0364;r ihre Nation in der &#x017F;ogenannten Vul-<lb/>
gar- oder Po&#x0364;bel&#x017F;prache; &#x017F;ondern fu&#x0364;r Welt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0040] ſein Latein in eine gemeine Sprache; und ihr findet die trivialſten Dinge in einem Ton geſagt, vor dem die demuͤthige Lan- desſprache beinah verſtummet. Dort ging das gelehrte Kind in einem Gaͤngelwagen oder vielmehr der Gaͤngelwagen (ambitus verborum) ging ſtatt des gelehrten Kin- des und nahm es mit; dem rund - viereck- ten Vehikul entnommen, wie erbaͤrmlich iſt ſeine Geſtalt, wie ſchwach und duͤrftig! Und doch machte man ſo oft die Erfah- rung, daß unter allen literariſch - Stolzen es faſt keine ſtolzeren, als die Latein- ſchreiber gebe. Sie ſind die alten Ba- rone, deren Diplom ruͤckwaͤrts uͤber das Chriſtenthum, deren Unſterblichkeit vor- waͤrts uͤber den juͤngſten Tag der Landes- ſprache hinausreicht. Sie ſchreiben nicht fuͤr ihre Nation in der ſogenannten Vul- gar- oder Poͤbelſprache; ſondern fuͤr Welt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/40
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/40>, abgerufen am 23.11.2024.