Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.Hölderlin Mutter ihm schenkte, der Kainmerrat Gonk, wurde ihm bald wieder entrissen Und endlich das letzte schwerste Problem dieses Lebens, der vierzigjährige Geradezu typisch für Hölderlin ist es, daß er an jedem Orte, an den ihn die Hölderlin Mutter ihm schenkte, der Kainmerrat Gonk, wurde ihm bald wieder entrissen Und endlich das letzte schwerste Problem dieses Lebens, der vierzigjährige Geradezu typisch für Hölderlin ist es, daß er an jedem Orte, an den ihn die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339741"/> <fw type="header" place="top"> Hölderlin</fw><lb/> <p xml:id="ID_776" prev="#ID_775"> Mutter ihm schenkte, der Kainmerrat Gonk, wurde ihm bald wieder entrissen<lb/> Auch dies ist mehr als Zufall. Im ganzen Leben Hölderlins können wir immer<lb/> wieder beobachten, wie ihm die feste Hand gefehlt hat, die den Knaben lenkte,,<lb/> bis sie das Steuer den eigenen Händen des Jünglings hätte anvertrauen können.<lb/> Wohl faßte er mehrmals den Entschluß, das leidige Studium der Theologie mit<lb/> der Jurisprudenz zu vertauschen, aber schließlich konnte er sich doch nie dem Bitten<lb/> seiner Mutter entziehen. Ganz am Ende, kurL vor der Katastrophe, in seiner<lb/> vorletzten Hauslehrerstelle jn Hauptwyl, hat er es einmal blitzartig erkannt, daß<lb/> das ewige Beugen vor fremden Gewalten ihm im Grunde sein Leben vernichtet<lb/> hat. Aber da war es zu spät, der 31jährige Baum konnte nicht mehr anders wachsen.</p><lb/> <p xml:id="ID_777"> Und endlich das letzte schwerste Problem dieses Lebens, der vierzigjährige<lb/> Wahnsinn? Wie konnte eine göttliche Vorsehung dieses scheinbar sinnlose Ver¬<lb/> dämmern und Hinvegetieren eines genialen Menschen zulassen? Wir Sterblichen<lb/> können nicht die Gedanken Gottes erkennen, unbegreiflich bleibt uns das Genie,<lb/> und Gott ist nach Hamanns tiefsinnigen Worte ein Genie. Wären wir imstande<lb/> dazu, wir wären Götter, und doch kann selbst ein Faust nicht einmal den Anblick<lb/> des Erdgeistes ertragen. Aufzeigen aber können wir,, w'le auch dies Schicksal in<lb/> der Wesensart des Menschen begründet lag, und wie auch hier das Äußere nichts<lb/> weiter ist als die Objektivierung des Inneren. Nicht an medizinische Betrach¬<lb/> tungen über Vererbung ist hier gedacht, es sollen nicht die Spuren des Verhäng¬<lb/> nisses aufgezeigt werden, wie sie sich von der Sehnsucht und Rastlosigkeit der<lb/> Knabenjahre bis zum Ende verfolgen lassen, nein, nur ein paar konkrete Hand¬<lb/> lungen des Menschen sollen als Symbol angeführt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_778"> Geradezu typisch für Hölderlin ist es, daß er an jedem Orte, an den ihn die<lb/> Wanderung seines Lebens führte, anfänglich sich äußerst wohl fühlte und in<lb/> den überschwenglichsten Ausdrücken dieser Freude Ausdruck gab. Mag das nun<lb/> in Waltershausen bei Frau von Kalb, mag das in Jena in der Nähe von Fichte,<lb/> Schiller und Goethe oder in Hauptwyl im Angesicht der Alpen oder in Frank¬<lb/> reich sein, immer folgte auf die Freude und Begeisterung der ersten Zeiten gar<lb/> bald der Umschwung, der Abstieg zur tiefen Verstimmtheit und Unruhe, bis<lb/> schließlich in einer Flucht das Ende kam. So reiste er von Jena ab, angeblich<lb/> aus Freundesliebe, um Neuffer über die verstorbene Braut zu trösten, aber<lb/> wenige Wochen darauf nannte er es seinen dümmsten Streich. So schrieb er am<lb/> Anfang seiner Hofmeistertätigkeit an die Mutter: „Ich dachte mir nie die. Selig¬<lb/> keit, die im Geschäfte eines Erziehers liegt!" und wie bald floh er aus dieser<lb/> geistigen Seligkeit! „Sie werden glücklich sein, sagte beim Empfange mein Konsul,<lb/> Ich glaube, er hat recht," so schrieb er im ersten Briefe von Bordeaux. Und vor¬<lb/> her stehen die Worte „nichts fürchten und sich viel gefallen lassen," gleichsam als<lb/> Vorsatz. Wenige Monate darauf floh er wegen einer Kränkung und wanderte<lb/> zu Fuß durch ganz Frankreich. Ist dieser immer wiederkehrende Zug im realen<lb/> und geistigen Leben nicht wie ein Symbol seines ganzen Lebens? Auch hier war<lb/> der Anstieg ein schöner und viel verheißender, aber mit einem jähen. Umschlag<lb/> fielen die Blüten ab, ehe sie die rechte Frucht getragen. „Viel anfangen und<lb/> nichts vollenden ist Dilettantismus," hat Ibsen gesagt. Hart und grausam,<lb/> ja vermessen mag es klingen, dies Wort in Verbindung mit Hölderlin zu bringen,<lb/> aber Tatsache ist es, daß er ein Dilettant des Lebens war.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0192]
Hölderlin
Mutter ihm schenkte, der Kainmerrat Gonk, wurde ihm bald wieder entrissen
Auch dies ist mehr als Zufall. Im ganzen Leben Hölderlins können wir immer
wieder beobachten, wie ihm die feste Hand gefehlt hat, die den Knaben lenkte,,
bis sie das Steuer den eigenen Händen des Jünglings hätte anvertrauen können.
Wohl faßte er mehrmals den Entschluß, das leidige Studium der Theologie mit
der Jurisprudenz zu vertauschen, aber schließlich konnte er sich doch nie dem Bitten
seiner Mutter entziehen. Ganz am Ende, kurL vor der Katastrophe, in seiner
vorletzten Hauslehrerstelle jn Hauptwyl, hat er es einmal blitzartig erkannt, daß
das ewige Beugen vor fremden Gewalten ihm im Grunde sein Leben vernichtet
hat. Aber da war es zu spät, der 31jährige Baum konnte nicht mehr anders wachsen.
Und endlich das letzte schwerste Problem dieses Lebens, der vierzigjährige
Wahnsinn? Wie konnte eine göttliche Vorsehung dieses scheinbar sinnlose Ver¬
dämmern und Hinvegetieren eines genialen Menschen zulassen? Wir Sterblichen
können nicht die Gedanken Gottes erkennen, unbegreiflich bleibt uns das Genie,
und Gott ist nach Hamanns tiefsinnigen Worte ein Genie. Wären wir imstande
dazu, wir wären Götter, und doch kann selbst ein Faust nicht einmal den Anblick
des Erdgeistes ertragen. Aufzeigen aber können wir,, w'le auch dies Schicksal in
der Wesensart des Menschen begründet lag, und wie auch hier das Äußere nichts
weiter ist als die Objektivierung des Inneren. Nicht an medizinische Betrach¬
tungen über Vererbung ist hier gedacht, es sollen nicht die Spuren des Verhäng¬
nisses aufgezeigt werden, wie sie sich von der Sehnsucht und Rastlosigkeit der
Knabenjahre bis zum Ende verfolgen lassen, nein, nur ein paar konkrete Hand¬
lungen des Menschen sollen als Symbol angeführt werden.
Geradezu typisch für Hölderlin ist es, daß er an jedem Orte, an den ihn die
Wanderung seines Lebens führte, anfänglich sich äußerst wohl fühlte und in
den überschwenglichsten Ausdrücken dieser Freude Ausdruck gab. Mag das nun
in Waltershausen bei Frau von Kalb, mag das in Jena in der Nähe von Fichte,
Schiller und Goethe oder in Hauptwyl im Angesicht der Alpen oder in Frank¬
reich sein, immer folgte auf die Freude und Begeisterung der ersten Zeiten gar
bald der Umschwung, der Abstieg zur tiefen Verstimmtheit und Unruhe, bis
schließlich in einer Flucht das Ende kam. So reiste er von Jena ab, angeblich
aus Freundesliebe, um Neuffer über die verstorbene Braut zu trösten, aber
wenige Wochen darauf nannte er es seinen dümmsten Streich. So schrieb er am
Anfang seiner Hofmeistertätigkeit an die Mutter: „Ich dachte mir nie die. Selig¬
keit, die im Geschäfte eines Erziehers liegt!" und wie bald floh er aus dieser
geistigen Seligkeit! „Sie werden glücklich sein, sagte beim Empfange mein Konsul,
Ich glaube, er hat recht," so schrieb er im ersten Briefe von Bordeaux. Und vor¬
her stehen die Worte „nichts fürchten und sich viel gefallen lassen," gleichsam als
Vorsatz. Wenige Monate darauf floh er wegen einer Kränkung und wanderte
zu Fuß durch ganz Frankreich. Ist dieser immer wiederkehrende Zug im realen
und geistigen Leben nicht wie ein Symbol seines ganzen Lebens? Auch hier war
der Anstieg ein schöner und viel verheißender, aber mit einem jähen. Umschlag
fielen die Blüten ab, ehe sie die rechte Frucht getragen. „Viel anfangen und
nichts vollenden ist Dilettantismus," hat Ibsen gesagt. Hart und grausam,
ja vermessen mag es klingen, dies Wort in Verbindung mit Hölderlin zu bringen,
aber Tatsache ist es, daß er ein Dilettant des Lebens war.
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