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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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durchführbar sind. Unterläßt man dies, so wird mehr verhängnisvolle Unklarheit
und Unheil geschaffen, als das rein stimmungsmäßige Moment Gutes zu wirken
vermöchte.

Ein Beispiel für diese verhängnisvolle Art der Behandlung politischer
Probleme ist das Oberschlesien-Problem. Zunächst hatte man nichts eiligeres zu
tun, als die Teilergebnisse der Abstimmung in oberschlesischen Städten, mit den
Prozcntzahlen, die bis zu 80 und 90 gingen, in die Welt hineinzuposaunen,
obwohl man wissen mußte, daß durch Hinzutritt der ländlichen Stimmen eine
Abschwächung eintreten würde. Der Erfolg war, daß das Gesamtergebnis mit
60 Prozent deutscher Stimmen nicht mehr durch die Überraschung, die es ohne
die voreiligen Meldungen fraglos im Ausland hervorgerufen hätte, als großer
moralischer Erfolg Deutschlands gewertet werden konnte, und daß im Gegenteil
diese sich gegen die Anfangsziffer nur relativ bescheiden ausnehmende Gesamt¬
summe als deutscher Rückzug angesehen wurde. Sodann übersah man, daß es
bei der ganzen Frage nicht um ein juristisches, sondern um ein politisches Problem
ging, bei welchem, selbst wenn die Westmächte wirtschaftliche Erwägungen zulassen
wollten, die Machtfrage den Ausschlag geben mußte. Man hätte sich also gar
nicht erst auf eine dem Wortlaut des Friedensvertrages nach, den allerdings in
Deutschland kein Mensch zu kennen scheint, zum mindesten fragwürdigen und
vor allen Dingen vom Gegner niemals anerkannten Rechtsstandpunkt stellen,
sondern sich, nach Ausnutzung der wirtschaftlichen Argumente, sogleich und ehe
man sich durch voreilige und agitatorische Festlegung eine diplomatische Nieder¬
lage zu holen riskierte, klar machen sollen, welche Machtmittel man der Macht
schlimmstenfalls entgegensetzen konnte. Da eine Verteidigung des gefährdeten
Gebiets mit bewaffneter Hand wegen der Gefährdung des Ruhrgebiets -- wir
find leider nicht in der Lage Ungarns -- unmöglich war, blieb nur die Nicht-
ausführung des Londoner Ultimatums übrig. War dies nicht opportun, -- und
man mußte sich in der Tat sogen, daß dies den Sturz des Kabinetts Briand
und eine Erneuerung des Krieges bedeutete, -- so gab es nur äußerste Aus¬
nutzung aller wirtschaftlichen Argumente nicht durch Propaganda im Inland, das
längst überzeugt war, sondern bei den maßgebenden Stellen im Ausland. Statt
aber hier den letzten zur Verfügung stehenden Kanal auszunutzen, statt namentlich
auch rechtzeitig den Versuch zu machen, Delegierte des Völkerbundes zu über¬
zeugen, ging der deutsche Botschafter in London seelenruhig aus Urlaub und
zeigte man dem Völkerbunde die kalte Schulter, als ob man seiner Sache Gott
weiß wie sicher war. Es ist bereits an dieser Stelle auseinandergesetzt worden,
weshalb der Versuch, den Westmächten mit dem Sturz der Regierung Wirth,
wenn nicht zu drohen, so doch Eindruck zu machen, scheitern mußte. Durch die
Ungeschicklichkeit der deutschen Presse ist es dann dahingekommen, daß sogar das
Wiesbadener Abkommen wieder in Frage gestellt schien, obwohl doch in Wirklich¬
keit dieses Abkommen völlig unabhängig von dem etwaigen Ausfall der ober¬
schlesischen Entscheidung getroffen worden ist. Die Folge dieser Ungeschicklichkeit
war, daß man die deutschen Argumente erneut als Erpressungsmanöver bezeichnete
und als man dann, nachdem es zu spät war, die Engländer an die zur Zeit des
Londoner Ultimatums an Herrn Stresemann gemachten Anregungen erinnerte^
holte man sich die vorauszusehende Ohrfeige, daß die englische Regierung selbst¬
verständlich auf die Entscheidung des Völkerbundes keinen Einfluß nehmen könnte.
Man hatte die Zeit verpaßt, der Wink mit dem drohenden Sturz der Regierung
Wirth konnte auch in England keinen Eindruck mehr machen. Weshalb nicht?

Es ist kein Geheimnis, daß die Bestrebungen zur Bildung der großen
deutschen Regierungskoalition auf englisches Anraten und unter Zutun des Herrn
von Eckartstein zustande gekommen sind. Anstatt für den Fall, daß Oberschlesien
verloren ging und das "Kabinett der Erfüllung" zurücktrat, eine tatkräftige Oppo¬
sition mit klar umrissenem Programm aufzustellen, welches nicht nur dem deutschen
Volke eine bestimmte Wahl ermöglichte, sondern auch die auswärtigen Mächte
erkennen ließ, mit welchen Kräften sie für den Fall einer für Deutschland un-


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durchführbar sind. Unterläßt man dies, so wird mehr verhängnisvolle Unklarheit
und Unheil geschaffen, als das rein stimmungsmäßige Moment Gutes zu wirken
vermöchte.

Ein Beispiel für diese verhängnisvolle Art der Behandlung politischer
Probleme ist das Oberschlesien-Problem. Zunächst hatte man nichts eiligeres zu
tun, als die Teilergebnisse der Abstimmung in oberschlesischen Städten, mit den
Prozcntzahlen, die bis zu 80 und 90 gingen, in die Welt hineinzuposaunen,
obwohl man wissen mußte, daß durch Hinzutritt der ländlichen Stimmen eine
Abschwächung eintreten würde. Der Erfolg war, daß das Gesamtergebnis mit
60 Prozent deutscher Stimmen nicht mehr durch die Überraschung, die es ohne
die voreiligen Meldungen fraglos im Ausland hervorgerufen hätte, als großer
moralischer Erfolg Deutschlands gewertet werden konnte, und daß im Gegenteil
diese sich gegen die Anfangsziffer nur relativ bescheiden ausnehmende Gesamt¬
summe als deutscher Rückzug angesehen wurde. Sodann übersah man, daß es
bei der ganzen Frage nicht um ein juristisches, sondern um ein politisches Problem
ging, bei welchem, selbst wenn die Westmächte wirtschaftliche Erwägungen zulassen
wollten, die Machtfrage den Ausschlag geben mußte. Man hätte sich also gar
nicht erst auf eine dem Wortlaut des Friedensvertrages nach, den allerdings in
Deutschland kein Mensch zu kennen scheint, zum mindesten fragwürdigen und
vor allen Dingen vom Gegner niemals anerkannten Rechtsstandpunkt stellen,
sondern sich, nach Ausnutzung der wirtschaftlichen Argumente, sogleich und ehe
man sich durch voreilige und agitatorische Festlegung eine diplomatische Nieder¬
lage zu holen riskierte, klar machen sollen, welche Machtmittel man der Macht
schlimmstenfalls entgegensetzen konnte. Da eine Verteidigung des gefährdeten
Gebiets mit bewaffneter Hand wegen der Gefährdung des Ruhrgebiets — wir
find leider nicht in der Lage Ungarns — unmöglich war, blieb nur die Nicht-
ausführung des Londoner Ultimatums übrig. War dies nicht opportun, — und
man mußte sich in der Tat sogen, daß dies den Sturz des Kabinetts Briand
und eine Erneuerung des Krieges bedeutete, — so gab es nur äußerste Aus¬
nutzung aller wirtschaftlichen Argumente nicht durch Propaganda im Inland, das
längst überzeugt war, sondern bei den maßgebenden Stellen im Ausland. Statt
aber hier den letzten zur Verfügung stehenden Kanal auszunutzen, statt namentlich
auch rechtzeitig den Versuch zu machen, Delegierte des Völkerbundes zu über¬
zeugen, ging der deutsche Botschafter in London seelenruhig aus Urlaub und
zeigte man dem Völkerbunde die kalte Schulter, als ob man seiner Sache Gott
weiß wie sicher war. Es ist bereits an dieser Stelle auseinandergesetzt worden,
weshalb der Versuch, den Westmächten mit dem Sturz der Regierung Wirth,
wenn nicht zu drohen, so doch Eindruck zu machen, scheitern mußte. Durch die
Ungeschicklichkeit der deutschen Presse ist es dann dahingekommen, daß sogar das
Wiesbadener Abkommen wieder in Frage gestellt schien, obwohl doch in Wirklich¬
keit dieses Abkommen völlig unabhängig von dem etwaigen Ausfall der ober¬
schlesischen Entscheidung getroffen worden ist. Die Folge dieser Ungeschicklichkeit
war, daß man die deutschen Argumente erneut als Erpressungsmanöver bezeichnete
und als man dann, nachdem es zu spät war, die Engländer an die zur Zeit des
Londoner Ultimatums an Herrn Stresemann gemachten Anregungen erinnerte^
holte man sich die vorauszusehende Ohrfeige, daß die englische Regierung selbst¬
verständlich auf die Entscheidung des Völkerbundes keinen Einfluß nehmen könnte.
Man hatte die Zeit verpaßt, der Wink mit dem drohenden Sturz der Regierung
Wirth konnte auch in England keinen Eindruck mehr machen. Weshalb nicht?

Es ist kein Geheimnis, daß die Bestrebungen zur Bildung der großen
deutschen Regierungskoalition auf englisches Anraten und unter Zutun des Herrn
von Eckartstein zustande gekommen sind. Anstatt für den Fall, daß Oberschlesien
verloren ging und das „Kabinett der Erfüllung" zurücktrat, eine tatkräftige Oppo¬
sition mit klar umrissenem Programm aufzustellen, welches nicht nur dem deutschen
Volke eine bestimmte Wahl ermöglichte, sondern auch die auswärtigen Mächte
erkennen ließ, mit welchen Kräften sie für den Fall einer für Deutschland un-


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[0132] Weltspiegel durchführbar sind. Unterläßt man dies, so wird mehr verhängnisvolle Unklarheit und Unheil geschaffen, als das rein stimmungsmäßige Moment Gutes zu wirken vermöchte. Ein Beispiel für diese verhängnisvolle Art der Behandlung politischer Probleme ist das Oberschlesien-Problem. Zunächst hatte man nichts eiligeres zu tun, als die Teilergebnisse der Abstimmung in oberschlesischen Städten, mit den Prozcntzahlen, die bis zu 80 und 90 gingen, in die Welt hineinzuposaunen, obwohl man wissen mußte, daß durch Hinzutritt der ländlichen Stimmen eine Abschwächung eintreten würde. Der Erfolg war, daß das Gesamtergebnis mit 60 Prozent deutscher Stimmen nicht mehr durch die Überraschung, die es ohne die voreiligen Meldungen fraglos im Ausland hervorgerufen hätte, als großer moralischer Erfolg Deutschlands gewertet werden konnte, und daß im Gegenteil diese sich gegen die Anfangsziffer nur relativ bescheiden ausnehmende Gesamt¬ summe als deutscher Rückzug angesehen wurde. Sodann übersah man, daß es bei der ganzen Frage nicht um ein juristisches, sondern um ein politisches Problem ging, bei welchem, selbst wenn die Westmächte wirtschaftliche Erwägungen zulassen wollten, die Machtfrage den Ausschlag geben mußte. Man hätte sich also gar nicht erst auf eine dem Wortlaut des Friedensvertrages nach, den allerdings in Deutschland kein Mensch zu kennen scheint, zum mindesten fragwürdigen und vor allen Dingen vom Gegner niemals anerkannten Rechtsstandpunkt stellen, sondern sich, nach Ausnutzung der wirtschaftlichen Argumente, sogleich und ehe man sich durch voreilige und agitatorische Festlegung eine diplomatische Nieder¬ lage zu holen riskierte, klar machen sollen, welche Machtmittel man der Macht schlimmstenfalls entgegensetzen konnte. Da eine Verteidigung des gefährdeten Gebiets mit bewaffneter Hand wegen der Gefährdung des Ruhrgebiets — wir find leider nicht in der Lage Ungarns — unmöglich war, blieb nur die Nicht- ausführung des Londoner Ultimatums übrig. War dies nicht opportun, — und man mußte sich in der Tat sogen, daß dies den Sturz des Kabinetts Briand und eine Erneuerung des Krieges bedeutete, — so gab es nur äußerste Aus¬ nutzung aller wirtschaftlichen Argumente nicht durch Propaganda im Inland, das längst überzeugt war, sondern bei den maßgebenden Stellen im Ausland. Statt aber hier den letzten zur Verfügung stehenden Kanal auszunutzen, statt namentlich auch rechtzeitig den Versuch zu machen, Delegierte des Völkerbundes zu über¬ zeugen, ging der deutsche Botschafter in London seelenruhig aus Urlaub und zeigte man dem Völkerbunde die kalte Schulter, als ob man seiner Sache Gott weiß wie sicher war. Es ist bereits an dieser Stelle auseinandergesetzt worden, weshalb der Versuch, den Westmächten mit dem Sturz der Regierung Wirth, wenn nicht zu drohen, so doch Eindruck zu machen, scheitern mußte. Durch die Ungeschicklichkeit der deutschen Presse ist es dann dahingekommen, daß sogar das Wiesbadener Abkommen wieder in Frage gestellt schien, obwohl doch in Wirklich¬ keit dieses Abkommen völlig unabhängig von dem etwaigen Ausfall der ober¬ schlesischen Entscheidung getroffen worden ist. Die Folge dieser Ungeschicklichkeit war, daß man die deutschen Argumente erneut als Erpressungsmanöver bezeichnete und als man dann, nachdem es zu spät war, die Engländer an die zur Zeit des Londoner Ultimatums an Herrn Stresemann gemachten Anregungen erinnerte^ holte man sich die vorauszusehende Ohrfeige, daß die englische Regierung selbst¬ verständlich auf die Entscheidung des Völkerbundes keinen Einfluß nehmen könnte. Man hatte die Zeit verpaßt, der Wink mit dem drohenden Sturz der Regierung Wirth konnte auch in England keinen Eindruck mehr machen. Weshalb nicht? Es ist kein Geheimnis, daß die Bestrebungen zur Bildung der großen deutschen Regierungskoalition auf englisches Anraten und unter Zutun des Herrn von Eckartstein zustande gekommen sind. Anstatt für den Fall, daß Oberschlesien verloren ging und das „Kabinett der Erfüllung" zurücktrat, eine tatkräftige Oppo¬ sition mit klar umrissenem Programm aufzustellen, welches nicht nur dem deutschen Volke eine bestimmte Wahl ermöglichte, sondern auch die auswärtigen Mächte erkennen ließ, mit welchen Kräften sie für den Fall einer für Deutschland un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/132>, abgerufen am 27.09.2024.