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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Ein französisches Herz

geblieben und gestorben, um ihn töten zu können. Ich sah ihn nirgends.
Dann wurden wir abgerufen, nach Nordfrankreich, wo es schlimm um uns
stand. Wir ahnten es alle. Trotz der Siegesberichte. Welcher Druck lag auf
uns, welche unheilvolle Ahnung! Es war eine schwere Zelt. Vom Schützen¬
graben zum Sturm, vom Gefecht zur Festungsbesatzung. Und wieder Flucht
und dann eingegraben und im Herbstregen auf dem Lehmboden liegen oder
in Bäumen sitzen und herunterschießen. Und Patrouillengänge und Melderitte.
Schwer, schwer, aber doch herrlich. Das war Mannesleben und Tätigkeit.
Und alle unreine Leidenschaft tobte sich aus.

So gab es wieder einmal einen Patrouillenschleichgang. Ich mit zwei
Leuten. In der Nacht. Es war Ende Oktober, ganz lau und mild. Die
Ardennen dufteten nach welken Laub, nach Holzfeuern und gerösteten Kastanien.
Der Wald war still, ganz unbewegt. Wir sollten die feindliche Stellung aus¬
kundschaften. Es war wie in einem Jndianerhund. Was wir einmal als
Jungens gelesen, so einen unwahrscheinlichen Kriegstraum, das erlebten wir
jetzt. Stumm schleichen wir von Baum zu Baum, es lichtet sich, wir sehen
ein Licht in der Ebene, das sucht den Himmel ab und kommt vom Feind.
Auf den Bauch und kriechend durch das nasse riechende Gras. Man ist so
erregt, daß einem alles lebendig erscheint, die Erde unter den Händen, jeder
Baumstumpf, jeder Stein.

Auf einmal hinter uns ein Ruf. Wir zucken auf. Da stehen ein halbes
Dutzend Deutsche, das Gewehr im Anschlag. Wie ich meines aufnehmen will,
pfeift mir eine Kugel am Ohr vorbei, wie ein Schimpfwort. Aber meine
beiden Leute haben schon die Arme hoch, und schon sind wir gefangen. Ein
Stoß und vorwärts. Mich hält ein schlanker Offizier am Arm. Ohne Waffe
bin ich. Ich komme mir wie geschlagen vor, beschimpft. O Ehre, Ruhm,
Vaterland, alles verloren.

Da sagt eine Stimme in erschreckter Freude: "Reus, Du --"

Ich seh ihn an. Der Leutnant ist unser deutscher Lehrer. Ich erkenne
ihn sofort, so verwandelt er auch ist. Nicht mehr traurig, sanft, still -- nein,
ein Mann. Er ist es. und ich schreie: "Lassen Sie mich los. Ich komme
nicht lebendig in Ihr Lager. Ich zerhaue mir den Kopf am Stein!"

Und ich werfe mich auf die Erde und will meine Stirn gegen den Boden
schmettern; aber er fängt mich auf. stark und fest, und sagt: "Du Reus, sei
kein Kind. Du hast die Heimat, den Vater, dein eigen Land im Vater¬
land --"

"Was!" schreie ich. "Nichts habe ich als Schmach und Schande und Euren
Spott, Herr. Ich gehe nicht in deutsche Gefangenschaft. Ich mache mich tot.
Und ich erwürge Sie!"

Er zeigt auf die Soldaten vor uns. Wir sind die letzten. Bald, bald
sind wir wohl im deutschen Quartier. Was tun? O, ich verbrannte vor Haß,
ich weinte vor Wut. Was tun?


Ein französisches Herz

geblieben und gestorben, um ihn töten zu können. Ich sah ihn nirgends.
Dann wurden wir abgerufen, nach Nordfrankreich, wo es schlimm um uns
stand. Wir ahnten es alle. Trotz der Siegesberichte. Welcher Druck lag auf
uns, welche unheilvolle Ahnung! Es war eine schwere Zelt. Vom Schützen¬
graben zum Sturm, vom Gefecht zur Festungsbesatzung. Und wieder Flucht
und dann eingegraben und im Herbstregen auf dem Lehmboden liegen oder
in Bäumen sitzen und herunterschießen. Und Patrouillengänge und Melderitte.
Schwer, schwer, aber doch herrlich. Das war Mannesleben und Tätigkeit.
Und alle unreine Leidenschaft tobte sich aus.

So gab es wieder einmal einen Patrouillenschleichgang. Ich mit zwei
Leuten. In der Nacht. Es war Ende Oktober, ganz lau und mild. Die
Ardennen dufteten nach welken Laub, nach Holzfeuern und gerösteten Kastanien.
Der Wald war still, ganz unbewegt. Wir sollten die feindliche Stellung aus¬
kundschaften. Es war wie in einem Jndianerhund. Was wir einmal als
Jungens gelesen, so einen unwahrscheinlichen Kriegstraum, das erlebten wir
jetzt. Stumm schleichen wir von Baum zu Baum, es lichtet sich, wir sehen
ein Licht in der Ebene, das sucht den Himmel ab und kommt vom Feind.
Auf den Bauch und kriechend durch das nasse riechende Gras. Man ist so
erregt, daß einem alles lebendig erscheint, die Erde unter den Händen, jeder
Baumstumpf, jeder Stein.

Auf einmal hinter uns ein Ruf. Wir zucken auf. Da stehen ein halbes
Dutzend Deutsche, das Gewehr im Anschlag. Wie ich meines aufnehmen will,
pfeift mir eine Kugel am Ohr vorbei, wie ein Schimpfwort. Aber meine
beiden Leute haben schon die Arme hoch, und schon sind wir gefangen. Ein
Stoß und vorwärts. Mich hält ein schlanker Offizier am Arm. Ohne Waffe
bin ich. Ich komme mir wie geschlagen vor, beschimpft. O Ehre, Ruhm,
Vaterland, alles verloren.

Da sagt eine Stimme in erschreckter Freude: „Reus, Du —"

Ich seh ihn an. Der Leutnant ist unser deutscher Lehrer. Ich erkenne
ihn sofort, so verwandelt er auch ist. Nicht mehr traurig, sanft, still — nein,
ein Mann. Er ist es. und ich schreie: „Lassen Sie mich los. Ich komme
nicht lebendig in Ihr Lager. Ich zerhaue mir den Kopf am Stein!"

Und ich werfe mich auf die Erde und will meine Stirn gegen den Boden
schmettern; aber er fängt mich auf. stark und fest, und sagt: „Du Reus, sei
kein Kind. Du hast die Heimat, den Vater, dein eigen Land im Vater¬
land —"

„Was!" schreie ich. „Nichts habe ich als Schmach und Schande und Euren
Spott, Herr. Ich gehe nicht in deutsche Gefangenschaft. Ich mache mich tot.
Und ich erwürge Sie!"

Er zeigt auf die Soldaten vor uns. Wir sind die letzten. Bald, bald
sind wir wohl im deutschen Quartier. Was tun? O, ich verbrannte vor Haß,
ich weinte vor Wut. Was tun?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/97>, abgerufen am 27.09.2024.