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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Staatenbund von Nordeuropa

landet. Der Bericht, dessen Echtheit nicht in Frage gestellt ist, fügt noch hinzu,
über den Ort der Landung habe der Attache sich nicht ausgesprochen, er habe
nur hingeworfen, die Küste sei ziemlich lang; der General habe aber gewußt,
daß Bridges kurz zuvor während der Osterfeiertage von Ostende aus tägliche
Besuche in Zeebrügge gemacht habe.

Der Bericht gibt in seiner Kürze ein ebenso anschauliches, wie ergreifendes
Bild des Vorganges. Man glaubt, die beiden Männer vor sich zu sehen.
Man sieht förmlich, wie der belgische Generalstabschef zusammenzuckt und
in peinlicher Verlegenheit bemüht ist, sich den verräterischen Einflüsterungen,
der Schlinge, die ihm immer fester um den Hals gelegt wird, zu
entziehen, wie schmerzlich er die Beleidigung empfindet, die der im Range
ihm nachstehende englische Offizier ihm und seinem Lande auch in der
Form roh zufügt. Aber -- Belgien war klein und England groß. So
wurde das blutige Schicksal des Landes besiegelt, nicht so sehr durch seine Schuld,
wie durch seine Schwäche. In der Schwäche des Kleinstaates liegt die Gefahr
für seine Existenz und für seine Ehre. Es ist nicht anders: "Eine souveräne
Krone ohne Macht entsittlicht auf die Dauer ihren Träger." So erklärt es sich,
daß die belgische Regierung den Schlag ins Gesicht hinnahm, den England ihr
versetzte, daß sie, eingeschüchtert bis zur Willenlosigkeit, den Pflichten der
Neutralität untreu wurde -- ein warnendes Beispiel kleinstaatlicher Ohnmacht.

Ob eine Vereinigung der skandinavischen Länder, die elf Millionen Ein¬
wohner umfaßt und über sechshundert Millionen jährlicher Staatseinnahmen
verfügt, einem Angriff Rußlands oder Englands, oder den vereinten Kräften
beider Länder Stand halten kann, das ist eine militärische Frage, die hier nicht
zu erörtern ist. Es steht ja auch nicht fest, ob eine solche Gefahr jetzt droht,
wie zu der Zeit, als der englische Admiral Gambier im Frieden Kopenhagen
bombardierte und die ganze dänische Flotte mit sich führte, oder als Rußland
Schweden zwang, ihm Finnland abzutreten. Sicher ist, daß ein größerer
Staatenbund, der das Deutsche Reich zum Kern hat, eine stärkere Bürgschaft
gegen äußere Gefahren bietet. Doch soll einem naheliegenden Mißverständnis
gleich vorgebeugt werden. Es könnte scheinen, als ob der Plan, Deutschland
mit den benachbarten kleineren Staaten zu einem Schutz- und Trutzbündnis
zu vereinigen, nur dem Wunsche entspringt, die Unterstützung dieser Länder für
den jetzigen Krieg zu gewinnen. Das ist keineswegs der Fall. Gewiß wäre
solche Unterstützung erwünscht, nachdem ein Weltkrieg ausgebrochen ist; das läßt
sich nicht leugnen. Aber hilfsbedürftig ist Deutschland nicht, wie der bisherige
Verlauf des Krieges gezeigt hat. Und es wäre ebenso kurzsichtig, wie aus¬
sichtslos, lediglich im eigenen Interesse andere Mächte zur Teilnahme an dem
Kriege veranlassen zu wollen. Ein Plan, wie der des nordeuropäischen Staaten¬
bundes, wird ohnehin nicht in einigen Wochen oder Monaten verwirklicht, am
wenigsten in Kriegszeiten, in denen die Neutralen gespannt darauf warten,
wer in dem Ringen Sieger bleibt. Von der Errichtung des Staatenbundes


Staatenbund von Nordeuropa

landet. Der Bericht, dessen Echtheit nicht in Frage gestellt ist, fügt noch hinzu,
über den Ort der Landung habe der Attache sich nicht ausgesprochen, er habe
nur hingeworfen, die Küste sei ziemlich lang; der General habe aber gewußt,
daß Bridges kurz zuvor während der Osterfeiertage von Ostende aus tägliche
Besuche in Zeebrügge gemacht habe.

Der Bericht gibt in seiner Kürze ein ebenso anschauliches, wie ergreifendes
Bild des Vorganges. Man glaubt, die beiden Männer vor sich zu sehen.
Man sieht förmlich, wie der belgische Generalstabschef zusammenzuckt und
in peinlicher Verlegenheit bemüht ist, sich den verräterischen Einflüsterungen,
der Schlinge, die ihm immer fester um den Hals gelegt wird, zu
entziehen, wie schmerzlich er die Beleidigung empfindet, die der im Range
ihm nachstehende englische Offizier ihm und seinem Lande auch in der
Form roh zufügt. Aber — Belgien war klein und England groß. So
wurde das blutige Schicksal des Landes besiegelt, nicht so sehr durch seine Schuld,
wie durch seine Schwäche. In der Schwäche des Kleinstaates liegt die Gefahr
für seine Existenz und für seine Ehre. Es ist nicht anders: „Eine souveräne
Krone ohne Macht entsittlicht auf die Dauer ihren Träger." So erklärt es sich,
daß die belgische Regierung den Schlag ins Gesicht hinnahm, den England ihr
versetzte, daß sie, eingeschüchtert bis zur Willenlosigkeit, den Pflichten der
Neutralität untreu wurde — ein warnendes Beispiel kleinstaatlicher Ohnmacht.

Ob eine Vereinigung der skandinavischen Länder, die elf Millionen Ein¬
wohner umfaßt und über sechshundert Millionen jährlicher Staatseinnahmen
verfügt, einem Angriff Rußlands oder Englands, oder den vereinten Kräften
beider Länder Stand halten kann, das ist eine militärische Frage, die hier nicht
zu erörtern ist. Es steht ja auch nicht fest, ob eine solche Gefahr jetzt droht,
wie zu der Zeit, als der englische Admiral Gambier im Frieden Kopenhagen
bombardierte und die ganze dänische Flotte mit sich führte, oder als Rußland
Schweden zwang, ihm Finnland abzutreten. Sicher ist, daß ein größerer
Staatenbund, der das Deutsche Reich zum Kern hat, eine stärkere Bürgschaft
gegen äußere Gefahren bietet. Doch soll einem naheliegenden Mißverständnis
gleich vorgebeugt werden. Es könnte scheinen, als ob der Plan, Deutschland
mit den benachbarten kleineren Staaten zu einem Schutz- und Trutzbündnis
zu vereinigen, nur dem Wunsche entspringt, die Unterstützung dieser Länder für
den jetzigen Krieg zu gewinnen. Das ist keineswegs der Fall. Gewiß wäre
solche Unterstützung erwünscht, nachdem ein Weltkrieg ausgebrochen ist; das läßt
sich nicht leugnen. Aber hilfsbedürftig ist Deutschland nicht, wie der bisherige
Verlauf des Krieges gezeigt hat. Und es wäre ebenso kurzsichtig, wie aus¬
sichtslos, lediglich im eigenen Interesse andere Mächte zur Teilnahme an dem
Kriege veranlassen zu wollen. Ein Plan, wie der des nordeuropäischen Staaten¬
bundes, wird ohnehin nicht in einigen Wochen oder Monaten verwirklicht, am
wenigsten in Kriegszeiten, in denen die Neutralen gespannt darauf warten,
wer in dem Ringen Sieger bleibt. Von der Errichtung des Staatenbundes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/60>, abgerufen am 27.09.2024.