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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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seinerzeit zwar von Lobredereien begleitet,
im Innern sei man aber in den Berliner
Regierungskreisen darüber herzlich froh ge¬
wesen." -- Mit dem Augenblick des Ab¬
schlusses unseres Abkommens mit England
betreffs Persiens im Jahre 1907 war sich
Witte mit einemmal darüber klar, daß sich
unsere Beziehungen mit Deutschland zweifel¬
los verschlechtern würden und schon damals
sprach er teilweise schon von der Unabwend-
barkeit des Bruches mit dem Reiche der
Hohenzollern. Jetzt während der ganzen
Zeit der militärischen Operationen erklärte
Graf Witte beständig, man müsse nun den
Krieg bis zu Ende führen, das heißt bis
zum völligen Zusammenbruch Deutschlands.
Hiermit zugleich hielt er angesichts der riesigen
Opfer, die von dem russischen Volke jetzt
gebracht werden, durchaus für möglich eine
vollkommene Lösung der slawischen Fragen,
in der Hauptsache jedoch eine endgültige
Lösung des Orientproblems im Sinne eines
Erwerbs der Meerengen und Konstantinopels
durch Rußland, worin er das hauptsächlichste
reale Ziel des Krieges sah. In der letzten
Zeit, meint Jnssarow, beklagte sich Witte


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fters, daß man ihn nicht verstehe, wenn
man ihm deutsch - freundliche Tendenzen zu¬
chreibe. "Ich weiß," sagte er, "woher das
ommt. Man fällt über mich her, wie über
inen Toten. -- Ich bin übrigens seit
meinem Abgang daran gewöhnt. Mag es so
ein. -- Einstmals wird sich die Geschichte
chon in meiner Tätigkeit zurechtfinden.."

In der Retsch schreibt Lwow: "Mit
Ausbruch des Krieges nahm Witte eine
Sonderstellung ein, deretwegen man anfing,
hn für einen Deutschenfreund und Gegner
des Krieges zu halten. Es ist jetzt nicht an
der Zeit, alles wiederzugeben, was er aus
diesem Anlaß sagte und waS ich unlängst
noch von ihm selbst hörte. Er hat mir mehr
als einmal davon gesprochen, wenn der
Krieg einmal Tatsache geworden sei, dann
könne man nur an eins, nämlich den sieg¬
reichen Ausgang denken, in der Hauptsache --
unterstrich er -- an die Erreichung wirklicher
Resultate, welche unsere riesigen Opfer und
Verluste in diesem Kriege rechtfertigen.
In den letzten Monaten hat sich Witte sehr
"erändert. -- Er verlor mit einemmal seinen
Mut und seine überzeugtheit."

[Ende Spaltensatz]


Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls bei Ablehnung eine Rücksendung
nicht verbürgt werden kann.




Nachdruck sämtlicher Aufsätze nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags gestattet.
Verantwortlich: der Herausgeber Georg Cleinow in Berlin-Lichters-lde West. -- Mannslriptsendungen und
Bricke werden erbeten unter der Adresse:
An den Herausgeber der Grenzboten in Berlin - Lichtcrfeldc West, Etcrnstraßc S6.
Fernsprecher des Herausgebers: Amt Lichterfelde 42S5, des Verlags und der Schristleitmig: Amt Lützow SS10.
Verlag: Verlag der Grenzboten G. in b. H er Berlin 8V/ >1, Temp-lhoser User Los.
Druck: ..Der Reichsbote" A, in, b H, i" Berlin 8V N. Dessauer Straße SV/S7,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

seinerzeit zwar von Lobredereien begleitet,
im Innern sei man aber in den Berliner
Regierungskreisen darüber herzlich froh ge¬
wesen." — Mit dem Augenblick des Ab¬
schlusses unseres Abkommens mit England
betreffs Persiens im Jahre 1907 war sich
Witte mit einemmal darüber klar, daß sich
unsere Beziehungen mit Deutschland zweifel¬
los verschlechtern würden und schon damals
sprach er teilweise schon von der Unabwend-
barkeit des Bruches mit dem Reiche der
Hohenzollern. Jetzt während der ganzen
Zeit der militärischen Operationen erklärte
Graf Witte beständig, man müsse nun den
Krieg bis zu Ende führen, das heißt bis
zum völligen Zusammenbruch Deutschlands.
Hiermit zugleich hielt er angesichts der riesigen
Opfer, die von dem russischen Volke jetzt
gebracht werden, durchaus für möglich eine
vollkommene Lösung der slawischen Fragen,
in der Hauptsache jedoch eine endgültige
Lösung des Orientproblems im Sinne eines
Erwerbs der Meerengen und Konstantinopels
durch Rußland, worin er das hauptsächlichste
reale Ziel des Krieges sah. In der letzten
Zeit, meint Jnssarow, beklagte sich Witte


[Spaltenumbruch]

fters, daß man ihn nicht verstehe, wenn
man ihm deutsch - freundliche Tendenzen zu¬
chreibe. „Ich weiß," sagte er, „woher das
ommt. Man fällt über mich her, wie über
inen Toten. — Ich bin übrigens seit
meinem Abgang daran gewöhnt. Mag es so
ein. — Einstmals wird sich die Geschichte
chon in meiner Tätigkeit zurechtfinden.."

In der Retsch schreibt Lwow: „Mit
Ausbruch des Krieges nahm Witte eine
Sonderstellung ein, deretwegen man anfing,
hn für einen Deutschenfreund und Gegner
des Krieges zu halten. Es ist jetzt nicht an
der Zeit, alles wiederzugeben, was er aus
diesem Anlaß sagte und waS ich unlängst
noch von ihm selbst hörte. Er hat mir mehr
als einmal davon gesprochen, wenn der
Krieg einmal Tatsache geworden sei, dann
könne man nur an eins, nämlich den sieg¬
reichen Ausgang denken, in der Hauptsache —
unterstrich er — an die Erreichung wirklicher
Resultate, welche unsere riesigen Opfer und
Verluste in diesem Kriege rechtfertigen.
In den letzten Monaten hat sich Witte sehr
»erändert. — Er verlor mit einemmal seinen
Mut und seine überzeugtheit."

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Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls bei Ablehnung eine Rücksendung
nicht verbürgt werden kann.




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[0436] Maßgebliches und Unmaßgebliches seinerzeit zwar von Lobredereien begleitet, im Innern sei man aber in den Berliner Regierungskreisen darüber herzlich froh ge¬ wesen." — Mit dem Augenblick des Ab¬ schlusses unseres Abkommens mit England betreffs Persiens im Jahre 1907 war sich Witte mit einemmal darüber klar, daß sich unsere Beziehungen mit Deutschland zweifel¬ los verschlechtern würden und schon damals sprach er teilweise schon von der Unabwend- barkeit des Bruches mit dem Reiche der Hohenzollern. Jetzt während der ganzen Zeit der militärischen Operationen erklärte Graf Witte beständig, man müsse nun den Krieg bis zu Ende führen, das heißt bis zum völligen Zusammenbruch Deutschlands. Hiermit zugleich hielt er angesichts der riesigen Opfer, die von dem russischen Volke jetzt gebracht werden, durchaus für möglich eine vollkommene Lösung der slawischen Fragen, in der Hauptsache jedoch eine endgültige Lösung des Orientproblems im Sinne eines Erwerbs der Meerengen und Konstantinopels durch Rußland, worin er das hauptsächlichste reale Ziel des Krieges sah. In der letzten Zeit, meint Jnssarow, beklagte sich Witte fters, daß man ihn nicht verstehe, wenn man ihm deutsch - freundliche Tendenzen zu¬ chreibe. „Ich weiß," sagte er, „woher das ommt. Man fällt über mich her, wie über inen Toten. — Ich bin übrigens seit meinem Abgang daran gewöhnt. Mag es so ein. — Einstmals wird sich die Geschichte chon in meiner Tätigkeit zurechtfinden.." In der Retsch schreibt Lwow: „Mit Ausbruch des Krieges nahm Witte eine Sonderstellung ein, deretwegen man anfing, hn für einen Deutschenfreund und Gegner des Krieges zu halten. Es ist jetzt nicht an der Zeit, alles wiederzugeben, was er aus diesem Anlaß sagte und waS ich unlängst noch von ihm selbst hörte. Er hat mir mehr als einmal davon gesprochen, wenn der Krieg einmal Tatsache geworden sei, dann könne man nur an eins, nämlich den sieg¬ reichen Ausgang denken, in der Hauptsache — unterstrich er — an die Erreichung wirklicher Resultate, welche unsere riesigen Opfer und Verluste in diesem Kriege rechtfertigen. In den letzten Monaten hat sich Witte sehr »erändert. — Er verlor mit einemmal seinen Mut und seine überzeugtheit." Allen Manuskripten ist Porto hinzuzufügen, da andernfalls bei Ablehnung eine Rücksendung nicht verbürgt werden kann. Nachdruck sämtlicher Aufsätze nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags gestattet. Verantwortlich: der Herausgeber Georg Cleinow in Berlin-Lichters-lde West. — Mannslriptsendungen und Bricke werden erbeten unter der Adresse: An den Herausgeber der Grenzboten in Berlin - Lichtcrfeldc West, Etcrnstraßc S6. Fernsprecher des Herausgebers: Amt Lichterfelde 42S5, des Verlags und der Schristleitmig: Amt Lützow SS10. Verlag: Verlag der Grenzboten G. in b. H er Berlin 8V/ >1, Temp-lhoser User Los. Druck: ..Der Reichsbote" A, in, b H, i» Berlin 8V N. Dessauer Straße SV/S7,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/436>, abgerufen am 27.09.2024.