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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Victor Hugo als Vorkämpfer einer deutsch-französischen Annäherung

wie ein Franzose. Die beiden Völker sind also vorausbestimmt, sich im ge¬
gebenen Augenblick zu verstehen und wieder zu vereinen.

Das sahen England und Rußland voraus uno darum schufen sie zwischen
Frankreich und Deutschland einen ständigen Grund zum Hasse: sie nahmen
Frankreich und gaben Deutschland das linke Rheinufer. Daß man es gerade
an Preußen gab, war ein Meisterstück. Preußen hat ein junges, lebhaftes,
starkes, geistvolles, ritterliches, freiheitlich gesonnenes, kriegerisches, mächtiges
Volk -- ein Volk von Geistern, das ein Morgen haben wird. Aus dem
wahren und berechtigten Gefühl seines Wachstumes will es. überdies auch vom
lobenswerten Ehrenstandpunkte aus, nichts von dem aufgeben, was es einmal
an sich gerissen hat. Noch einmal: die Einsetzung Preußens in den Ländern
am Rhein war die Hauptsache beim Wiener Kongreß, war ein Meisterstück von
Lord Castlereagh und ein großer Fehler Talleyrands. Der Rhein ist der Fluß,
der Frankreich und Deutschland einigen soll; man hat daraus den Fluß ge¬
macht, der sie trennt.

Rußland liebt Deutschland wie England Portugal und Spanien liebt: so
wie der Wolf das Schaf liebt. Preußen (das 1841 noch in mehrere nicht
zusammenhängende Teile zerfiel) wird ein großes zusammenhängendes König¬
reich werden: Hannover soll an Preußen fallen, aber das linke Rheinufer an
Frankreich. Das eröffnet Preußen den Weg zum offenen Meer und gibt ihm
freie Schiffahrt und die Möglichkeit, mit Hilfe einer Flotte ebenso mächtig zu
sein wie durch sein Heer.

Dann wird auch die Unruhe aufhören, die Frankreich in Europa erweckt:
Europa kann aber nicht ruhig sein, solange Frankreich nicht zufrieden ist.

Im sechzehnten Abschnitt seiner Betrachtungen hält er den Zentralmächten
noch einmal eindringlich vor. daß sie nicht länger in der Abneigung beharren
sollten, die zum Hasse führen könne; und während die beiden sich vor einander
fürchten, sich beobachten und bedrohen, entwickelt Rußland sich in der Stille und
England breitet sich im Schatten aus. Deutschland sträube seine Mähne gegen
Osten, Frankreich öffne seine Flügel und schleudere seine Blitze nach Westen:
der furchtbaren Einigkeit zwischen dem Löwen und dem Adler wird die Welt
gehorchen! Schließlich kommt er nochmals eingehend auf das Verhältnis zu
Rußland und England zurück; besonders gut ist seine Kennzeichnung der Rolle,
die England in den Händeln der Welt spielt:

"Man muß dabei an den alten Puniergeist denken, der solange die
lateinische Zivilisation bekämpft hat, den Geist, der nur für Handelsware,
Abenteuer, Schiffahrt, Gewinn und Selbstsucht zu haben ist. . . Jetzt herrscht
er in England; er hat von neuem die Welt umfaßt und hält sie fest, und --
er bedroht Europa . . . Der Gegensatz zwischen Frankreich und England ist
so stark, daß alle Völker sich darüber klar find. Ich vergleiche es mit dem von
Rom und Karthago; andere haben es anders ausgedrückt. So sagte Friedrich
der Große: .England ist die Katze. Frankreich der Hund/ .Im Rechtsleben/


Victor Hugo als Vorkämpfer einer deutsch-französischen Annäherung

wie ein Franzose. Die beiden Völker sind also vorausbestimmt, sich im ge¬
gebenen Augenblick zu verstehen und wieder zu vereinen.

Das sahen England und Rußland voraus uno darum schufen sie zwischen
Frankreich und Deutschland einen ständigen Grund zum Hasse: sie nahmen
Frankreich und gaben Deutschland das linke Rheinufer. Daß man es gerade
an Preußen gab, war ein Meisterstück. Preußen hat ein junges, lebhaftes,
starkes, geistvolles, ritterliches, freiheitlich gesonnenes, kriegerisches, mächtiges
Volk — ein Volk von Geistern, das ein Morgen haben wird. Aus dem
wahren und berechtigten Gefühl seines Wachstumes will es. überdies auch vom
lobenswerten Ehrenstandpunkte aus, nichts von dem aufgeben, was es einmal
an sich gerissen hat. Noch einmal: die Einsetzung Preußens in den Ländern
am Rhein war die Hauptsache beim Wiener Kongreß, war ein Meisterstück von
Lord Castlereagh und ein großer Fehler Talleyrands. Der Rhein ist der Fluß,
der Frankreich und Deutschland einigen soll; man hat daraus den Fluß ge¬
macht, der sie trennt.

Rußland liebt Deutschland wie England Portugal und Spanien liebt: so
wie der Wolf das Schaf liebt. Preußen (das 1841 noch in mehrere nicht
zusammenhängende Teile zerfiel) wird ein großes zusammenhängendes König¬
reich werden: Hannover soll an Preußen fallen, aber das linke Rheinufer an
Frankreich. Das eröffnet Preußen den Weg zum offenen Meer und gibt ihm
freie Schiffahrt und die Möglichkeit, mit Hilfe einer Flotte ebenso mächtig zu
sein wie durch sein Heer.

Dann wird auch die Unruhe aufhören, die Frankreich in Europa erweckt:
Europa kann aber nicht ruhig sein, solange Frankreich nicht zufrieden ist.

Im sechzehnten Abschnitt seiner Betrachtungen hält er den Zentralmächten
noch einmal eindringlich vor. daß sie nicht länger in der Abneigung beharren
sollten, die zum Hasse führen könne; und während die beiden sich vor einander
fürchten, sich beobachten und bedrohen, entwickelt Rußland sich in der Stille und
England breitet sich im Schatten aus. Deutschland sträube seine Mähne gegen
Osten, Frankreich öffne seine Flügel und schleudere seine Blitze nach Westen:
der furchtbaren Einigkeit zwischen dem Löwen und dem Adler wird die Welt
gehorchen! Schließlich kommt er nochmals eingehend auf das Verhältnis zu
Rußland und England zurück; besonders gut ist seine Kennzeichnung der Rolle,
die England in den Händeln der Welt spielt:

„Man muß dabei an den alten Puniergeist denken, der solange die
lateinische Zivilisation bekämpft hat, den Geist, der nur für Handelsware,
Abenteuer, Schiffahrt, Gewinn und Selbstsucht zu haben ist. . . Jetzt herrscht
er in England; er hat von neuem die Welt umfaßt und hält sie fest, und —
er bedroht Europa . . . Der Gegensatz zwischen Frankreich und England ist
so stark, daß alle Völker sich darüber klar find. Ich vergleiche es mit dem von
Rom und Karthago; andere haben es anders ausgedrückt. So sagte Friedrich
der Große: .England ist die Katze. Frankreich der Hund/ .Im Rechtsleben/


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[0414] Victor Hugo als Vorkämpfer einer deutsch-französischen Annäherung wie ein Franzose. Die beiden Völker sind also vorausbestimmt, sich im ge¬ gebenen Augenblick zu verstehen und wieder zu vereinen. Das sahen England und Rußland voraus uno darum schufen sie zwischen Frankreich und Deutschland einen ständigen Grund zum Hasse: sie nahmen Frankreich und gaben Deutschland das linke Rheinufer. Daß man es gerade an Preußen gab, war ein Meisterstück. Preußen hat ein junges, lebhaftes, starkes, geistvolles, ritterliches, freiheitlich gesonnenes, kriegerisches, mächtiges Volk — ein Volk von Geistern, das ein Morgen haben wird. Aus dem wahren und berechtigten Gefühl seines Wachstumes will es. überdies auch vom lobenswerten Ehrenstandpunkte aus, nichts von dem aufgeben, was es einmal an sich gerissen hat. Noch einmal: die Einsetzung Preußens in den Ländern am Rhein war die Hauptsache beim Wiener Kongreß, war ein Meisterstück von Lord Castlereagh und ein großer Fehler Talleyrands. Der Rhein ist der Fluß, der Frankreich und Deutschland einigen soll; man hat daraus den Fluß ge¬ macht, der sie trennt. Rußland liebt Deutschland wie England Portugal und Spanien liebt: so wie der Wolf das Schaf liebt. Preußen (das 1841 noch in mehrere nicht zusammenhängende Teile zerfiel) wird ein großes zusammenhängendes König¬ reich werden: Hannover soll an Preußen fallen, aber das linke Rheinufer an Frankreich. Das eröffnet Preußen den Weg zum offenen Meer und gibt ihm freie Schiffahrt und die Möglichkeit, mit Hilfe einer Flotte ebenso mächtig zu sein wie durch sein Heer. Dann wird auch die Unruhe aufhören, die Frankreich in Europa erweckt: Europa kann aber nicht ruhig sein, solange Frankreich nicht zufrieden ist. Im sechzehnten Abschnitt seiner Betrachtungen hält er den Zentralmächten noch einmal eindringlich vor. daß sie nicht länger in der Abneigung beharren sollten, die zum Hasse führen könne; und während die beiden sich vor einander fürchten, sich beobachten und bedrohen, entwickelt Rußland sich in der Stille und England breitet sich im Schatten aus. Deutschland sträube seine Mähne gegen Osten, Frankreich öffne seine Flügel und schleudere seine Blitze nach Westen: der furchtbaren Einigkeit zwischen dem Löwen und dem Adler wird die Welt gehorchen! Schließlich kommt er nochmals eingehend auf das Verhältnis zu Rußland und England zurück; besonders gut ist seine Kennzeichnung der Rolle, die England in den Händeln der Welt spielt: „Man muß dabei an den alten Puniergeist denken, der solange die lateinische Zivilisation bekämpft hat, den Geist, der nur für Handelsware, Abenteuer, Schiffahrt, Gewinn und Selbstsucht zu haben ist. . . Jetzt herrscht er in England; er hat von neuem die Welt umfaßt und hält sie fest, und — er bedroht Europa . . . Der Gegensatz zwischen Frankreich und England ist so stark, daß alle Völker sich darüber klar find. Ich vergleiche es mit dem von Rom und Karthago; andere haben es anders ausgedrückt. So sagte Friedrich der Große: .England ist die Katze. Frankreich der Hund/ .Im Rechtsleben/

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/414>, abgerufen am 27.09.2024.