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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Die Begründung des Aönigreichs Belgien

Die französische Regierung winkte zunächst verständigerweise ab, um sich durch eine
solche Fortsetzung der Politik Ludwigs des Vierzehnten und Napoleons des Ersten
nicht unheilbar mit den anderen Mächten zu verfeinden. Nun tauchte aber die
Kandidatur des Herzogs von Leuchtenberg, des Sohnes von Eugen Beauharnais,
auf. Diese Wiederbelebung der bonapartistischen Erinnerungen war dem Bürger¬
könig doch zu gefährlich. Er konnte diese Kandidatur nur durch die Erklärung
beseitigen, daß er die Krone für den Herzog von Nemours annehme. Darauf
wurde dieser am 3. Februar 1831 mit 97 von 192 Stimmen erwählt. Nun
war der Zweck erreicht, der König der Franzosen konnte den Großmütigen
spielen und lehnte die Krone für feinen Sohn ab. Da inzwischen die Verfassung
vollendet war, wählte der Nationalkongreß, um das Staatsgebäude zum Ab¬
schluß zu bringen, am 24. Februar den Baron Surlet de Chokier zum Re¬
genten.

England hatte schon längst seinen Kandidaten bereit, hielt aber mit ihm
zurück, bis alle anderen Möglichkeiten sich erschöpft hatten. Es war der Prinz
Leopold von Sachsen-Koburg. Er war mit der Prinzessin Charlotte, der Erbin
des englischen Thrones, vermählt, also für die Rolle eines englischen Prinz¬
gemahls ausersehen gewesen. Die Prinzessin war jedoch im ersten Wochenbett
gestorben, und ihr Thronfolgeanspruch auf die Prinzessin Viktoria übergegangen.
Seitdem lebte Prinz Leopold als vornehmer englischer Privatmann in Claremont.
Die griechische Krone hatte er als zu brenzlich abgelehnt, aber für die belgische
war er der geeignete Mann. Die Belgier selbst, besonders der Klerus, waren
von dem protestantischen Kandidaten herzlich wenig erbaut. Aber er paßte in
die Politik der Großmächte, und schließlich mußten die Belgier doch eine Dynastie
haben, die von Europa anerkannt wurde. Denn schon tauchte der Gedanke einer
gemeinsamen Besetzung Belgiens durch England, Frankreich und Preußen, ja
der einer Teilung des Landes unter England und die Grenznachbarn auf.
Eine längere Zurückhaltung Leopolds war nur dadurch veranlaßt, daß er erst
die Auseinandersetzung mit den Niederlanden herbeigeführt haben wollte. Aber
am 4. Juni 1831 wurde Prinz Leopold mit 162 von 195 Stimmen gewählt
und nahm die Krone an. Einige Wochen später, am 21. Juli, hielt er seinen
Einzug in Brüssel. Im folgenden Jahre, am 9. August 1832, vermählte sich
der trauernde Witwer mit der Prinzessin Luise von Orleans, der Tochter König
Louis Philipps, und sicherte damit die Zukunft einer katholischen Dynastie
für Belgien.

Wie der neue belgische Staat eine Schöpfung Englands und Frankreichs
war, oder besser gesagt Englands, wobei Frankreich etwas hatte helfen dürfen,
so war auch die neue Dynastie ihr Geschöpf. Frankreich hatte den neuen
König nicht stellen dürfen, das blieb England vorbehalten, aber Frankreich
erhielt wenigstens die Erlaubnis, bei der Fortpflanzung der Dynastie etwas zu
helfen. Diese dynastischen Bande zwischen England und Belgien mußten sich
noch enger schlingen, da es dem klugen Koburger auf Belgiens Thron gelang,


Die Begründung des Aönigreichs Belgien

Die französische Regierung winkte zunächst verständigerweise ab, um sich durch eine
solche Fortsetzung der Politik Ludwigs des Vierzehnten und Napoleons des Ersten
nicht unheilbar mit den anderen Mächten zu verfeinden. Nun tauchte aber die
Kandidatur des Herzogs von Leuchtenberg, des Sohnes von Eugen Beauharnais,
auf. Diese Wiederbelebung der bonapartistischen Erinnerungen war dem Bürger¬
könig doch zu gefährlich. Er konnte diese Kandidatur nur durch die Erklärung
beseitigen, daß er die Krone für den Herzog von Nemours annehme. Darauf
wurde dieser am 3. Februar 1831 mit 97 von 192 Stimmen erwählt. Nun
war der Zweck erreicht, der König der Franzosen konnte den Großmütigen
spielen und lehnte die Krone für feinen Sohn ab. Da inzwischen die Verfassung
vollendet war, wählte der Nationalkongreß, um das Staatsgebäude zum Ab¬
schluß zu bringen, am 24. Februar den Baron Surlet de Chokier zum Re¬
genten.

England hatte schon längst seinen Kandidaten bereit, hielt aber mit ihm
zurück, bis alle anderen Möglichkeiten sich erschöpft hatten. Es war der Prinz
Leopold von Sachsen-Koburg. Er war mit der Prinzessin Charlotte, der Erbin
des englischen Thrones, vermählt, also für die Rolle eines englischen Prinz¬
gemahls ausersehen gewesen. Die Prinzessin war jedoch im ersten Wochenbett
gestorben, und ihr Thronfolgeanspruch auf die Prinzessin Viktoria übergegangen.
Seitdem lebte Prinz Leopold als vornehmer englischer Privatmann in Claremont.
Die griechische Krone hatte er als zu brenzlich abgelehnt, aber für die belgische
war er der geeignete Mann. Die Belgier selbst, besonders der Klerus, waren
von dem protestantischen Kandidaten herzlich wenig erbaut. Aber er paßte in
die Politik der Großmächte, und schließlich mußten die Belgier doch eine Dynastie
haben, die von Europa anerkannt wurde. Denn schon tauchte der Gedanke einer
gemeinsamen Besetzung Belgiens durch England, Frankreich und Preußen, ja
der einer Teilung des Landes unter England und die Grenznachbarn auf.
Eine längere Zurückhaltung Leopolds war nur dadurch veranlaßt, daß er erst
die Auseinandersetzung mit den Niederlanden herbeigeführt haben wollte. Aber
am 4. Juni 1831 wurde Prinz Leopold mit 162 von 195 Stimmen gewählt
und nahm die Krone an. Einige Wochen später, am 21. Juli, hielt er seinen
Einzug in Brüssel. Im folgenden Jahre, am 9. August 1832, vermählte sich
der trauernde Witwer mit der Prinzessin Luise von Orleans, der Tochter König
Louis Philipps, und sicherte damit die Zukunft einer katholischen Dynastie
für Belgien.

Wie der neue belgische Staat eine Schöpfung Englands und Frankreichs
war, oder besser gesagt Englands, wobei Frankreich etwas hatte helfen dürfen,
so war auch die neue Dynastie ihr Geschöpf. Frankreich hatte den neuen
König nicht stellen dürfen, das blieb England vorbehalten, aber Frankreich
erhielt wenigstens die Erlaubnis, bei der Fortpflanzung der Dynastie etwas zu
helfen. Diese dynastischen Bande zwischen England und Belgien mußten sich
noch enger schlingen, da es dem klugen Koburger auf Belgiens Thron gelang,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/374>, abgerufen am 27.09.2024.