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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Neue Entwicklungstendenzen des Neutralitätsrechts

würden. In diesem Kriege aber sind meines Wissens Lieferungen von Torpedo¬
booten usw. nicht vorgekommen. Ja, Deutschland hat sogar mit Recht dagegen
Einspruch erhoben, daß von Amerika Wasserflugzeuge an unsere Gegner ver¬
kauft würden. Die Amerikaner haben diese Anschauung leider abgelehnt, indem
sie davon ausgingen, daß das Wasserflugzeug in der Hauptsache für die Luft
bestimmt sei. Aber mir scheint, daß alle Kriegsmittel, die sich selbständig auf
dem Wasser fortbewegen können, ebensowenig wie Kriegsschiffe ausgeführt
werden können. Hier führt die formalistische Auslegung wahrlich zu einem
befriedigenderen Resultate, als in jenem Hauptfalle, wo sie die Amerikaner
anwenden.

Man hat gesagt, durch ein Verbot der Ausfuhr von Waffen, Munition
usw. an kriegführende Staaten würde der Rüstungswettbewerb der Staaten im
Frieden noch vergrößert, da sie fortan schon vor dem Kriege die nötigen
Wassermengen anhäufen müßten. Demgegenüber kann ich nur fragen: ist es
wirklich Aufgabe der Neutralen, solche Ungleichheiten in der Rüstung der
einzelnen Staaten zu beseitigen? Würde man nicht von dem entgegen¬
gesetzten Gesichtspunkte aus sogar viele Handlungen der Neutralen, z. B.
Zuführung von Kombattanten, die heute verboten sind, für erlaubt ansehen
müssen?

Auch auf einem ganz anderen Gebiete des Neutralitätsrechts erkennen wir,
wie die neueste Entwicklung nach einer Verschärfung der hier inbetracht kommenden
Regeln hinzielt. An sich läge es nahe, daß in einem Zeitalter, da Kriege mit
Millionenheeren geführt werden und die erforderlichen Geldmittel auch verhältnis¬
mäßig viel größer sind, das Neutralitätsrecht nicht so scharfe Regeln bezüglich
der finanziellen Unterstützung Kriegführender durch Neutrale aufstellte. Statt
dessen aber läßt sich gerade eine entgegengesetzte Tendenz deutlich verfolgen.
Die Bestrebungen der Weltfriedenskongresse von 1892. 1894. 1905 und 1907,
sowie der Haager Interparlamentarischen Versammlung von 1913, die ein
Verbot der Anleihen Kriegführender bei neutralen Staaten erstrebten, sind nicht
ohne Erfolg geblieben. Unter den Theoretikern hat besonders Bluntschli die
Anleihen bei Neutralen als völkerrechtswidrig bekämpft. Er führte etwa aus:
es sei doch etwas ganz anderes, wenn Neutrale mit den Kriegführenden den
auch in Friedenszeiten gewohnten Handelsverkehr weiter betrieben oder wenn
sie eine ausdrücklich für Kriegszwecke bestimmte Anleihe unterstützten. Bei der
Anleihe würde mehr oder weniger die ganze Volkswirtschaft eines Landes
engagiert, während es sich sonst nur um die Geschäfte einzelner Personen
handle. In einigen Ländern wie Österreich-Ungarn, Spanien, Portugal, Ru߬
land und der Türkei bedürfe zudem die Zulassung einer ausländischen Anleihe
der Genehmigung der Regierung, und in Frankreich habe diese wenigstens ein
Vetorecht. Es sei also bei solchen Geschäften vielfach sogar die ausdrückliche
Mitwirkung der Negierung vorgesehen und schon deswegen liege in der Unter¬
stützung der Anleihen Kriegführender ein Neutralitätsbruch.


Neue Entwicklungstendenzen des Neutralitätsrechts

würden. In diesem Kriege aber sind meines Wissens Lieferungen von Torpedo¬
booten usw. nicht vorgekommen. Ja, Deutschland hat sogar mit Recht dagegen
Einspruch erhoben, daß von Amerika Wasserflugzeuge an unsere Gegner ver¬
kauft würden. Die Amerikaner haben diese Anschauung leider abgelehnt, indem
sie davon ausgingen, daß das Wasserflugzeug in der Hauptsache für die Luft
bestimmt sei. Aber mir scheint, daß alle Kriegsmittel, die sich selbständig auf
dem Wasser fortbewegen können, ebensowenig wie Kriegsschiffe ausgeführt
werden können. Hier führt die formalistische Auslegung wahrlich zu einem
befriedigenderen Resultate, als in jenem Hauptfalle, wo sie die Amerikaner
anwenden.

Man hat gesagt, durch ein Verbot der Ausfuhr von Waffen, Munition
usw. an kriegführende Staaten würde der Rüstungswettbewerb der Staaten im
Frieden noch vergrößert, da sie fortan schon vor dem Kriege die nötigen
Wassermengen anhäufen müßten. Demgegenüber kann ich nur fragen: ist es
wirklich Aufgabe der Neutralen, solche Ungleichheiten in der Rüstung der
einzelnen Staaten zu beseitigen? Würde man nicht von dem entgegen¬
gesetzten Gesichtspunkte aus sogar viele Handlungen der Neutralen, z. B.
Zuführung von Kombattanten, die heute verboten sind, für erlaubt ansehen
müssen?

Auch auf einem ganz anderen Gebiete des Neutralitätsrechts erkennen wir,
wie die neueste Entwicklung nach einer Verschärfung der hier inbetracht kommenden
Regeln hinzielt. An sich läge es nahe, daß in einem Zeitalter, da Kriege mit
Millionenheeren geführt werden und die erforderlichen Geldmittel auch verhältnis¬
mäßig viel größer sind, das Neutralitätsrecht nicht so scharfe Regeln bezüglich
der finanziellen Unterstützung Kriegführender durch Neutrale aufstellte. Statt
dessen aber läßt sich gerade eine entgegengesetzte Tendenz deutlich verfolgen.
Die Bestrebungen der Weltfriedenskongresse von 1892. 1894. 1905 und 1907,
sowie der Haager Interparlamentarischen Versammlung von 1913, die ein
Verbot der Anleihen Kriegführender bei neutralen Staaten erstrebten, sind nicht
ohne Erfolg geblieben. Unter den Theoretikern hat besonders Bluntschli die
Anleihen bei Neutralen als völkerrechtswidrig bekämpft. Er führte etwa aus:
es sei doch etwas ganz anderes, wenn Neutrale mit den Kriegführenden den
auch in Friedenszeiten gewohnten Handelsverkehr weiter betrieben oder wenn
sie eine ausdrücklich für Kriegszwecke bestimmte Anleihe unterstützten. Bei der
Anleihe würde mehr oder weniger die ganze Volkswirtschaft eines Landes
engagiert, während es sich sonst nur um die Geschäfte einzelner Personen
handle. In einigen Ländern wie Österreich-Ungarn, Spanien, Portugal, Ru߬
land und der Türkei bedürfe zudem die Zulassung einer ausländischen Anleihe
der Genehmigung der Regierung, und in Frankreich habe diese wenigstens ein
Vetorecht. Es sei also bei solchen Geschäften vielfach sogar die ausdrückliche
Mitwirkung der Negierung vorgesehen und schon deswegen liege in der Unter¬
stützung der Anleihen Kriegführender ein Neutralitätsbruch.


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[0368] Neue Entwicklungstendenzen des Neutralitätsrechts würden. In diesem Kriege aber sind meines Wissens Lieferungen von Torpedo¬ booten usw. nicht vorgekommen. Ja, Deutschland hat sogar mit Recht dagegen Einspruch erhoben, daß von Amerika Wasserflugzeuge an unsere Gegner ver¬ kauft würden. Die Amerikaner haben diese Anschauung leider abgelehnt, indem sie davon ausgingen, daß das Wasserflugzeug in der Hauptsache für die Luft bestimmt sei. Aber mir scheint, daß alle Kriegsmittel, die sich selbständig auf dem Wasser fortbewegen können, ebensowenig wie Kriegsschiffe ausgeführt werden können. Hier führt die formalistische Auslegung wahrlich zu einem befriedigenderen Resultate, als in jenem Hauptfalle, wo sie die Amerikaner anwenden. Man hat gesagt, durch ein Verbot der Ausfuhr von Waffen, Munition usw. an kriegführende Staaten würde der Rüstungswettbewerb der Staaten im Frieden noch vergrößert, da sie fortan schon vor dem Kriege die nötigen Wassermengen anhäufen müßten. Demgegenüber kann ich nur fragen: ist es wirklich Aufgabe der Neutralen, solche Ungleichheiten in der Rüstung der einzelnen Staaten zu beseitigen? Würde man nicht von dem entgegen¬ gesetzten Gesichtspunkte aus sogar viele Handlungen der Neutralen, z. B. Zuführung von Kombattanten, die heute verboten sind, für erlaubt ansehen müssen? Auch auf einem ganz anderen Gebiete des Neutralitätsrechts erkennen wir, wie die neueste Entwicklung nach einer Verschärfung der hier inbetracht kommenden Regeln hinzielt. An sich läge es nahe, daß in einem Zeitalter, da Kriege mit Millionenheeren geführt werden und die erforderlichen Geldmittel auch verhältnis¬ mäßig viel größer sind, das Neutralitätsrecht nicht so scharfe Regeln bezüglich der finanziellen Unterstützung Kriegführender durch Neutrale aufstellte. Statt dessen aber läßt sich gerade eine entgegengesetzte Tendenz deutlich verfolgen. Die Bestrebungen der Weltfriedenskongresse von 1892. 1894. 1905 und 1907, sowie der Haager Interparlamentarischen Versammlung von 1913, die ein Verbot der Anleihen Kriegführender bei neutralen Staaten erstrebten, sind nicht ohne Erfolg geblieben. Unter den Theoretikern hat besonders Bluntschli die Anleihen bei Neutralen als völkerrechtswidrig bekämpft. Er führte etwa aus: es sei doch etwas ganz anderes, wenn Neutrale mit den Kriegführenden den auch in Friedenszeiten gewohnten Handelsverkehr weiter betrieben oder wenn sie eine ausdrücklich für Kriegszwecke bestimmte Anleihe unterstützten. Bei der Anleihe würde mehr oder weniger die ganze Volkswirtschaft eines Landes engagiert, während es sich sonst nur um die Geschäfte einzelner Personen handle. In einigen Ländern wie Österreich-Ungarn, Spanien, Portugal, Ru߬ land und der Türkei bedürfe zudem die Zulassung einer ausländischen Anleihe der Genehmigung der Regierung, und in Frankreich habe diese wenigstens ein Vetorecht. Es sei also bei solchen Geschäften vielfach sogar die ausdrückliche Mitwirkung der Negierung vorgesehen und schon deswegen liege in der Unter¬ stützung der Anleihen Kriegführender ein Neutralitätsbruch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/368>, abgerufen am 27.09.2024.