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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Neue Entwicklungstendenzen des Neutralitätsrechts

formalen Recht herbeiführte und den Völkern ein Beispiel gebe, daß es auch
bei neutralen Staaten jetzt etwas Höheres gilt, als die Rücksicht auf finanzielle
Spekulationen.

Mir scheint nun, daß die Bedeutung der Waffen- und Munitions¬
lieferungen für die Kriege der neuesten Zeit nicht nur die Auslegung des
bereits vorhandenen Rechts beeinflussen muß, sondern auch eine völlige Um¬
gestaltung des zukünftigen Neutralitätsrechts zur Folge haben wird. Früher
hatten Waffenlieferungen nicht die gewaltige Bedeutung für die Verlängerung
eines Krieges wie heute. Wird nicht gegenwärtig, selbst durch die Lieferung
von Munition an beide Parteien, der Krieg sehr in die Länge gezogen? Sehr
interessant ist in diesem Zusammenhange zu erwähnen, was Professor
Lammasch in Wien, die erste Autorität des deutschen Sprachgebietes für Völker¬
recht, am 4. März 1915 in der Literarischen Beilage der Kölnischen Volkszeitung
ausgeführt hat: "Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sich die Entwicklung in der
Richtung einer Rückkehr zu dem in zahlreichen älteren Neutralitätsdeklarationen
enthaltenen Verbote der Lieferung von Objekten absoluter Kriegskonterbande
durch Untertanen der neutralen Mächte von feiten ihrer Regierungen voll¬
ziehen, während für die relative Konterbande das gegenwärtig herrschende
System noch beibehalten werden dürfte." Das ist ganz meine Auffassung, der
ich freilich in meinem kürzlich erschienenen Werke über "Seekriegsrecht" (Stuttgart,
Kohlhammer, 1915, 456 S.) deshalb nicht Ausdruck verliehen habe, weil
damals die Bedeutung, die die Waffenlieferungen im gegenwärtigen Kriege
einnehmen, noch nicht hervorgetreten war.

Für diese Entwicklung spricht eine Tatsache, die man bisher als selbst¬
verständlich hingenommen hat, obwohl sie außerordentlich bedeutsam ist: daß
nämlich bezüglich der Lieferungen von Kriegsschiffen usw. in diesem Kriege
offenkundig strengere Grundsätze angewandt worden sind, als bisher. Noch
1912 konnte Einicke in seinem ausgezeichneten Werke über die "Rechte und
Pflichten der neutralen Mächte im Seekriege" (Tübingen. 1912) unter Zu¬
stimmung vieler die Auffassung vertreten, es sei nur die Ausrüstung von Kriegs¬
schiffen für kriegführende Mächte, nicht aber auch ihr bloßer Verkauf an Krieg¬
führende untersagt. Es sollte nach dieser Anschauung also zwar verboten sein,
ein Kriegsschiff in neutralen Häfen (auch im Wege des Verkaufs) so vollkommen
auszurüsten, daß es sogleich nach dem Auslaufen des Hafens Feindseligkeiten
begehen könne; dagegen sollte es statthaft sein, ein Kriegsschiff an eine krieg-
führende Macht zu verkaufen, wenn es vor der Verwendung im Seekriege erst
in einem Hafen des anlaufenden Staates gefechtsbereit gemacht würde, eine
Auffassung, die ich bereits in meinem eben erwähnten Werke unter Zustimmung
von Lammasch als formalistisch abgelehnt habe. Aber daß sie auch in der
Staatenpraxis ein gewisses Ansehen genoß, geht daraus hervor, daß Amerika
während des russisch-japanischen Krieges den Verkauf von Torpedobooten ge¬
stattete, wenn sie während des Transportes an die kriegführende Macht zerlegt


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Neue Entwicklungstendenzen des Neutralitätsrechts

formalen Recht herbeiführte und den Völkern ein Beispiel gebe, daß es auch
bei neutralen Staaten jetzt etwas Höheres gilt, als die Rücksicht auf finanzielle
Spekulationen.

Mir scheint nun, daß die Bedeutung der Waffen- und Munitions¬
lieferungen für die Kriege der neuesten Zeit nicht nur die Auslegung des
bereits vorhandenen Rechts beeinflussen muß, sondern auch eine völlige Um¬
gestaltung des zukünftigen Neutralitätsrechts zur Folge haben wird. Früher
hatten Waffenlieferungen nicht die gewaltige Bedeutung für die Verlängerung
eines Krieges wie heute. Wird nicht gegenwärtig, selbst durch die Lieferung
von Munition an beide Parteien, der Krieg sehr in die Länge gezogen? Sehr
interessant ist in diesem Zusammenhange zu erwähnen, was Professor
Lammasch in Wien, die erste Autorität des deutschen Sprachgebietes für Völker¬
recht, am 4. März 1915 in der Literarischen Beilage der Kölnischen Volkszeitung
ausgeführt hat: „Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sich die Entwicklung in der
Richtung einer Rückkehr zu dem in zahlreichen älteren Neutralitätsdeklarationen
enthaltenen Verbote der Lieferung von Objekten absoluter Kriegskonterbande
durch Untertanen der neutralen Mächte von feiten ihrer Regierungen voll¬
ziehen, während für die relative Konterbande das gegenwärtig herrschende
System noch beibehalten werden dürfte." Das ist ganz meine Auffassung, der
ich freilich in meinem kürzlich erschienenen Werke über „Seekriegsrecht" (Stuttgart,
Kohlhammer, 1915, 456 S.) deshalb nicht Ausdruck verliehen habe, weil
damals die Bedeutung, die die Waffenlieferungen im gegenwärtigen Kriege
einnehmen, noch nicht hervorgetreten war.

Für diese Entwicklung spricht eine Tatsache, die man bisher als selbst¬
verständlich hingenommen hat, obwohl sie außerordentlich bedeutsam ist: daß
nämlich bezüglich der Lieferungen von Kriegsschiffen usw. in diesem Kriege
offenkundig strengere Grundsätze angewandt worden sind, als bisher. Noch
1912 konnte Einicke in seinem ausgezeichneten Werke über die „Rechte und
Pflichten der neutralen Mächte im Seekriege" (Tübingen. 1912) unter Zu¬
stimmung vieler die Auffassung vertreten, es sei nur die Ausrüstung von Kriegs¬
schiffen für kriegführende Mächte, nicht aber auch ihr bloßer Verkauf an Krieg¬
führende untersagt. Es sollte nach dieser Anschauung also zwar verboten sein,
ein Kriegsschiff in neutralen Häfen (auch im Wege des Verkaufs) so vollkommen
auszurüsten, daß es sogleich nach dem Auslaufen des Hafens Feindseligkeiten
begehen könne; dagegen sollte es statthaft sein, ein Kriegsschiff an eine krieg-
führende Macht zu verkaufen, wenn es vor der Verwendung im Seekriege erst
in einem Hafen des anlaufenden Staates gefechtsbereit gemacht würde, eine
Auffassung, die ich bereits in meinem eben erwähnten Werke unter Zustimmung
von Lammasch als formalistisch abgelehnt habe. Aber daß sie auch in der
Staatenpraxis ein gewisses Ansehen genoß, geht daraus hervor, daß Amerika
während des russisch-japanischen Krieges den Verkauf von Torpedobooten ge¬
stattete, wenn sie während des Transportes an die kriegführende Macht zerlegt


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[0367] Neue Entwicklungstendenzen des Neutralitätsrechts formalen Recht herbeiführte und den Völkern ein Beispiel gebe, daß es auch bei neutralen Staaten jetzt etwas Höheres gilt, als die Rücksicht auf finanzielle Spekulationen. Mir scheint nun, daß die Bedeutung der Waffen- und Munitions¬ lieferungen für die Kriege der neuesten Zeit nicht nur die Auslegung des bereits vorhandenen Rechts beeinflussen muß, sondern auch eine völlige Um¬ gestaltung des zukünftigen Neutralitätsrechts zur Folge haben wird. Früher hatten Waffenlieferungen nicht die gewaltige Bedeutung für die Verlängerung eines Krieges wie heute. Wird nicht gegenwärtig, selbst durch die Lieferung von Munition an beide Parteien, der Krieg sehr in die Länge gezogen? Sehr interessant ist in diesem Zusammenhange zu erwähnen, was Professor Lammasch in Wien, die erste Autorität des deutschen Sprachgebietes für Völker¬ recht, am 4. März 1915 in der Literarischen Beilage der Kölnischen Volkszeitung ausgeführt hat: „Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sich die Entwicklung in der Richtung einer Rückkehr zu dem in zahlreichen älteren Neutralitätsdeklarationen enthaltenen Verbote der Lieferung von Objekten absoluter Kriegskonterbande durch Untertanen der neutralen Mächte von feiten ihrer Regierungen voll¬ ziehen, während für die relative Konterbande das gegenwärtig herrschende System noch beibehalten werden dürfte." Das ist ganz meine Auffassung, der ich freilich in meinem kürzlich erschienenen Werke über „Seekriegsrecht" (Stuttgart, Kohlhammer, 1915, 456 S.) deshalb nicht Ausdruck verliehen habe, weil damals die Bedeutung, die die Waffenlieferungen im gegenwärtigen Kriege einnehmen, noch nicht hervorgetreten war. Für diese Entwicklung spricht eine Tatsache, die man bisher als selbst¬ verständlich hingenommen hat, obwohl sie außerordentlich bedeutsam ist: daß nämlich bezüglich der Lieferungen von Kriegsschiffen usw. in diesem Kriege offenkundig strengere Grundsätze angewandt worden sind, als bisher. Noch 1912 konnte Einicke in seinem ausgezeichneten Werke über die „Rechte und Pflichten der neutralen Mächte im Seekriege" (Tübingen. 1912) unter Zu¬ stimmung vieler die Auffassung vertreten, es sei nur die Ausrüstung von Kriegs¬ schiffen für kriegführende Mächte, nicht aber auch ihr bloßer Verkauf an Krieg¬ führende untersagt. Es sollte nach dieser Anschauung also zwar verboten sein, ein Kriegsschiff in neutralen Häfen (auch im Wege des Verkaufs) so vollkommen auszurüsten, daß es sogleich nach dem Auslaufen des Hafens Feindseligkeiten begehen könne; dagegen sollte es statthaft sein, ein Kriegsschiff an eine krieg- führende Macht zu verkaufen, wenn es vor der Verwendung im Seekriege erst in einem Hafen des anlaufenden Staates gefechtsbereit gemacht würde, eine Auffassung, die ich bereits in meinem eben erwähnten Werke unter Zustimmung von Lammasch als formalistisch abgelehnt habe. Aber daß sie auch in der Staatenpraxis ein gewisses Ansehen genoß, geht daraus hervor, daß Amerika während des russisch-japanischen Krieges den Verkauf von Torpedobooten ge¬ stattete, wenn sie während des Transportes an die kriegführende Macht zerlegt 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/367>, abgerufen am 27.09.2024.