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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Der Haß und das Wesen des Deutjchen

NUN wirklich Haß? Zorn war es und Verachtung und ist es noch, tiefste innere
Empörung über den von niederträchtiger Gewinnsucht diktierten Verrat und die
Mittel, deren sich der Brite bedient, um uns, seinen gutgläubigen Vetter nieder¬
zuringen, aber doch wohl kaum Haß!

Haß ist ein stark physiologisch fundiertes Gefühl und in seinen stärksten
Äußerungen im Grunde nur physiologisch, so daß zum Beispiel eine geistige
Regung, die sich gegen den von ihm ausgehenden Zwang richtet, nicht auszu¬
kommen vermag. Er hat dies gemein mit dem Gefühl, das man ja als
direkten Gegensatz zu ihm faßt, mit der sinnlichen Liebe. "Liebe macht blind,"
sagt der Volksmund, und das gilt auch vom Haß. Es ist keine leere Redensart,
daß südliche Rassen dem Haß weit mehr zugänglich seien, als nördliche. Auf
die wahren Ursachen dieser Erscheinung zurückgeführt und auf bestimmte Rassen
angewendet heißt das: der Romane steht weit mehr unter physiologischen
Zwange als der Germane. Er steht also in bezug auf die Geistigkeit seines
Denkens und Handelns hinter diesem zurück.

Etwas anderes aber ist es mit dem Zorn. Der Zorn ist etwas Geistiges,
er hat zum mindesten seine Wurzel im Geistigen, nämlich in der Abscheu gegen
die gemeine Tat. und auf die Wurzel allein kommt es an. So wächst der Zorn,
trotz seiner unvermeidlichen physischen Entladung, in die Region des Ethischen,
so daß man mit Recht von einem heiligen Zorn reden darf.

Eine Besonderheit an dem Haß, die ja nun freilich wieder eng zusammen¬
hängt'mit seinem Wesen, aber ist, daß er immer auf etwas bestimmt Indivi¬
duelles ausgeht. Es gibt keinen Haß auf ein ganzes Volk, das in dieser Hinficht
nur ein Begriff ist. Und nur dort spricht man von dem sogenannten Rassen¬
haß, wo Volk und Rasse wirklich zusammenfallen, aber auch wieder nur dann,
wenn der Begriff Rasse das dem eignen Wesen physiologisch tief Entgegen¬
gesetzte trifft, das deshalb spontan zum Widerspruch und weiterhin zur starken
Abneigung oder sogar zum Haß reizt. In diesem Sinne ist der Rassenhaß
etwas, das tief in das Wesen des Menschen hinabreicht und dort seine Wurzel
hat. wo Physiologisches und Geistiges in dämonischer Gemeinschaft bei¬
einander ruhen.

Wieder aber ist es die Geistigkeit, die im Deutschen auch diesen "Rassen¬
haß" überwindet. Sie wertet die Persönlichkeit, und damit hat die Rassen¬
bekämpfung im eigentlichen Sinne schon ihr Ende erreicht. Und dort, wo die
Abneigung bleibt, sucht sie ihr Ziel niemals in der Vernichtung des anderen.
Das aber ist, wieder hervorgehend aus seiner physiologischen Fundierung, eine
dritte charakteristische Eigenschaft des Hasses: Beseitigung des Gehaßten in
irgend einer Form. Wir sind häufig geneigt, schon eine starke Abneigung als
Haß zu bezeichnen. Und insofern, als eine solche, auch wenn sie ihren
Ursprung in der Abneigung gegenüber geistigen Eigenschaften hat, vielfach sich
mit einer physiologischen Abneigung vermengt, erscheint die Bezeichnung auch
zutreffend. Und doch fehlt im geistigen Menschen das letzte, das Trachten nach


Der Haß und das Wesen des Deutjchen

NUN wirklich Haß? Zorn war es und Verachtung und ist es noch, tiefste innere
Empörung über den von niederträchtiger Gewinnsucht diktierten Verrat und die
Mittel, deren sich der Brite bedient, um uns, seinen gutgläubigen Vetter nieder¬
zuringen, aber doch wohl kaum Haß!

Haß ist ein stark physiologisch fundiertes Gefühl und in seinen stärksten
Äußerungen im Grunde nur physiologisch, so daß zum Beispiel eine geistige
Regung, die sich gegen den von ihm ausgehenden Zwang richtet, nicht auszu¬
kommen vermag. Er hat dies gemein mit dem Gefühl, das man ja als
direkten Gegensatz zu ihm faßt, mit der sinnlichen Liebe. „Liebe macht blind,"
sagt der Volksmund, und das gilt auch vom Haß. Es ist keine leere Redensart,
daß südliche Rassen dem Haß weit mehr zugänglich seien, als nördliche. Auf
die wahren Ursachen dieser Erscheinung zurückgeführt und auf bestimmte Rassen
angewendet heißt das: der Romane steht weit mehr unter physiologischen
Zwange als der Germane. Er steht also in bezug auf die Geistigkeit seines
Denkens und Handelns hinter diesem zurück.

Etwas anderes aber ist es mit dem Zorn. Der Zorn ist etwas Geistiges,
er hat zum mindesten seine Wurzel im Geistigen, nämlich in der Abscheu gegen
die gemeine Tat. und auf die Wurzel allein kommt es an. So wächst der Zorn,
trotz seiner unvermeidlichen physischen Entladung, in die Region des Ethischen,
so daß man mit Recht von einem heiligen Zorn reden darf.

Eine Besonderheit an dem Haß, die ja nun freilich wieder eng zusammen¬
hängt'mit seinem Wesen, aber ist, daß er immer auf etwas bestimmt Indivi¬
duelles ausgeht. Es gibt keinen Haß auf ein ganzes Volk, das in dieser Hinficht
nur ein Begriff ist. Und nur dort spricht man von dem sogenannten Rassen¬
haß, wo Volk und Rasse wirklich zusammenfallen, aber auch wieder nur dann,
wenn der Begriff Rasse das dem eignen Wesen physiologisch tief Entgegen¬
gesetzte trifft, das deshalb spontan zum Widerspruch und weiterhin zur starken
Abneigung oder sogar zum Haß reizt. In diesem Sinne ist der Rassenhaß
etwas, das tief in das Wesen des Menschen hinabreicht und dort seine Wurzel
hat. wo Physiologisches und Geistiges in dämonischer Gemeinschaft bei¬
einander ruhen.

Wieder aber ist es die Geistigkeit, die im Deutschen auch diesen „Rassen¬
haß" überwindet. Sie wertet die Persönlichkeit, und damit hat die Rassen¬
bekämpfung im eigentlichen Sinne schon ihr Ende erreicht. Und dort, wo die
Abneigung bleibt, sucht sie ihr Ziel niemals in der Vernichtung des anderen.
Das aber ist, wieder hervorgehend aus seiner physiologischen Fundierung, eine
dritte charakteristische Eigenschaft des Hasses: Beseitigung des Gehaßten in
irgend einer Form. Wir sind häufig geneigt, schon eine starke Abneigung als
Haß zu bezeichnen. Und insofern, als eine solche, auch wenn sie ihren
Ursprung in der Abneigung gegenüber geistigen Eigenschaften hat, vielfach sich
mit einer physiologischen Abneigung vermengt, erscheint die Bezeichnung auch
zutreffend. Und doch fehlt im geistigen Menschen das letzte, das Trachten nach


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[0353] Der Haß und das Wesen des Deutjchen NUN wirklich Haß? Zorn war es und Verachtung und ist es noch, tiefste innere Empörung über den von niederträchtiger Gewinnsucht diktierten Verrat und die Mittel, deren sich der Brite bedient, um uns, seinen gutgläubigen Vetter nieder¬ zuringen, aber doch wohl kaum Haß! Haß ist ein stark physiologisch fundiertes Gefühl und in seinen stärksten Äußerungen im Grunde nur physiologisch, so daß zum Beispiel eine geistige Regung, die sich gegen den von ihm ausgehenden Zwang richtet, nicht auszu¬ kommen vermag. Er hat dies gemein mit dem Gefühl, das man ja als direkten Gegensatz zu ihm faßt, mit der sinnlichen Liebe. „Liebe macht blind," sagt der Volksmund, und das gilt auch vom Haß. Es ist keine leere Redensart, daß südliche Rassen dem Haß weit mehr zugänglich seien, als nördliche. Auf die wahren Ursachen dieser Erscheinung zurückgeführt und auf bestimmte Rassen angewendet heißt das: der Romane steht weit mehr unter physiologischen Zwange als der Germane. Er steht also in bezug auf die Geistigkeit seines Denkens und Handelns hinter diesem zurück. Etwas anderes aber ist es mit dem Zorn. Der Zorn ist etwas Geistiges, er hat zum mindesten seine Wurzel im Geistigen, nämlich in der Abscheu gegen die gemeine Tat. und auf die Wurzel allein kommt es an. So wächst der Zorn, trotz seiner unvermeidlichen physischen Entladung, in die Region des Ethischen, so daß man mit Recht von einem heiligen Zorn reden darf. Eine Besonderheit an dem Haß, die ja nun freilich wieder eng zusammen¬ hängt'mit seinem Wesen, aber ist, daß er immer auf etwas bestimmt Indivi¬ duelles ausgeht. Es gibt keinen Haß auf ein ganzes Volk, das in dieser Hinficht nur ein Begriff ist. Und nur dort spricht man von dem sogenannten Rassen¬ haß, wo Volk und Rasse wirklich zusammenfallen, aber auch wieder nur dann, wenn der Begriff Rasse das dem eignen Wesen physiologisch tief Entgegen¬ gesetzte trifft, das deshalb spontan zum Widerspruch und weiterhin zur starken Abneigung oder sogar zum Haß reizt. In diesem Sinne ist der Rassenhaß etwas, das tief in das Wesen des Menschen hinabreicht und dort seine Wurzel hat. wo Physiologisches und Geistiges in dämonischer Gemeinschaft bei¬ einander ruhen. Wieder aber ist es die Geistigkeit, die im Deutschen auch diesen „Rassen¬ haß" überwindet. Sie wertet die Persönlichkeit, und damit hat die Rassen¬ bekämpfung im eigentlichen Sinne schon ihr Ende erreicht. Und dort, wo die Abneigung bleibt, sucht sie ihr Ziel niemals in der Vernichtung des anderen. Das aber ist, wieder hervorgehend aus seiner physiologischen Fundierung, eine dritte charakteristische Eigenschaft des Hasses: Beseitigung des Gehaßten in irgend einer Form. Wir sind häufig geneigt, schon eine starke Abneigung als Haß zu bezeichnen. Und insofern, als eine solche, auch wenn sie ihren Ursprung in der Abneigung gegenüber geistigen Eigenschaften hat, vielfach sich mit einer physiologischen Abneigung vermengt, erscheint die Bezeichnung auch zutreffend. Und doch fehlt im geistigen Menschen das letzte, das Trachten nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/353>, abgerufen am 27.09.2024.