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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und die Schweiz

niederbrennen lassen." Für alles dies sei auf Napiers Geschichte des Halb¬
inselkrieges als unverdächtige Quelle verwiesen.

Daß der Militarismus Deutschland nicht das staatspolitische Gepräge ge¬
geben hat, nicht geben kann, geht schon daraus hervor, daß in Friedenszeiten
von rund achtzehn Millionen arbeitsfähigen Männern jeweils nur acht¬
hunderttausend Waffendienst taten. Daß Deutschland das große Problem
des europäischen Liberalismus gelöst hat, bürgerliche Freiheit und stehende
Heere nebeneinander leben zu lassen, kann man im Ernste nicht bestreiten. Daß
Festlandstaaten ohne große stehende Heere nicht auskommen können, das bedarf
im Jahre des Weltkrieges keiner anderen Beweise, als sie die Dialektik des
Schlachtfeldes liefert. Es muß aber daraufhingewiesen werden, daß vor allem
die britische Presse seit Jahrzehnten die öffentliche Meinung der Festlands¬
neutralen gegen den deutschen Militarismus aufgeputscht hat, um die Auf¬
merksamkeit von der Hauptsache abzulenken. Ohne den englischen Marinismus
wäre uns dieser Weltkrieg erspart geblieben, denn niemals wäre der französische
Rachegedanke Tat geworden, trüge er nicht den Glauben in sich, die englische
Flotte würde Deutschland aushungern können. Das Schreckgespenst des deutschen
Militarismus ist es aber, das den Sinn der Neutralen, besonders der Schweizer¬
deutschen, so verwirrt, daß sie meinen, ein Sieg Deutschlands würde die politische
Reaktion in allen Festlandstaaten, zunächst natürlich im Lande des Siegers,
stärken, ihr neue Schwungkraft leihen. Wieder war es die englische Presse,
die dies gemeingefährliche Märchen in Kurs setzte. Sehen wir aber auf die
Kriege des neunzehnten Jahrhunderts, an denen Deutschland beteiligt war, so
läßt sich beweiskräftiges Material nicht gewinnen. Gewiß, als nach den Frei¬
heitskriegen die nationale Sehnsucht der Deutschen Flügel bekam, als Ströme
und Bäche des deutschen Staatslebens vom Eise der absolutistischen Herrschaft
befreit waren, da sahen mit dem Volke seine besten Männer das freie Volk im
freien Staat erstehen. Wem ist größere Schuld daran beizumessen, daß es
anders kam. als den "Heiligen" des Wiener Kongresses, dem Zaren Alexander,
dem Franzosen Talleyrand und dem Engländer Wellington, dessen schroffer
Torysmus damals schon hervortrat. Gewiß auch dem Staatskanzler Metternich,
der deshalb, gerade deshalb nicht zu den Heroen der Geschichte der Deutschen
zählt, wie im Gegensatz hierzu Alexander der Erste zu denjenigen Rußlands,
Talleyrand zu denjenigen Frankreichs, Wellington zu denjenigen Großbritanniens.
Ebensowenig wie das deutsche Volk seine freiheitlichen Blütenträume nach der
Bezwingung Napoleons reifen sah, geschah dies in Rußland, noch weniger in
Frankreich, endlich auch nicht in England, das 1839 die Chartisten niederschlug,
deren politisch maßvolle Forderungen der herrschenden britischen Aristokratie
ein Staatsverbrechen bedeuteten. Im Gegensatz dazu hat Preußen nach dem
siegreichen Feldzug von 1866 und nach der Begründung des Norddeutschen
Bundes eine freiheitliche politische Gesetzgebung in Angriff genommen, die von
dem neuen Deutschen Reich 1671 in verstärktem Maße fortgesetzt wurde.


Deutschland und die Schweiz

niederbrennen lassen." Für alles dies sei auf Napiers Geschichte des Halb¬
inselkrieges als unverdächtige Quelle verwiesen.

Daß der Militarismus Deutschland nicht das staatspolitische Gepräge ge¬
geben hat, nicht geben kann, geht schon daraus hervor, daß in Friedenszeiten
von rund achtzehn Millionen arbeitsfähigen Männern jeweils nur acht¬
hunderttausend Waffendienst taten. Daß Deutschland das große Problem
des europäischen Liberalismus gelöst hat, bürgerliche Freiheit und stehende
Heere nebeneinander leben zu lassen, kann man im Ernste nicht bestreiten. Daß
Festlandstaaten ohne große stehende Heere nicht auskommen können, das bedarf
im Jahre des Weltkrieges keiner anderen Beweise, als sie die Dialektik des
Schlachtfeldes liefert. Es muß aber daraufhingewiesen werden, daß vor allem
die britische Presse seit Jahrzehnten die öffentliche Meinung der Festlands¬
neutralen gegen den deutschen Militarismus aufgeputscht hat, um die Auf¬
merksamkeit von der Hauptsache abzulenken. Ohne den englischen Marinismus
wäre uns dieser Weltkrieg erspart geblieben, denn niemals wäre der französische
Rachegedanke Tat geworden, trüge er nicht den Glauben in sich, die englische
Flotte würde Deutschland aushungern können. Das Schreckgespenst des deutschen
Militarismus ist es aber, das den Sinn der Neutralen, besonders der Schweizer¬
deutschen, so verwirrt, daß sie meinen, ein Sieg Deutschlands würde die politische
Reaktion in allen Festlandstaaten, zunächst natürlich im Lande des Siegers,
stärken, ihr neue Schwungkraft leihen. Wieder war es die englische Presse,
die dies gemeingefährliche Märchen in Kurs setzte. Sehen wir aber auf die
Kriege des neunzehnten Jahrhunderts, an denen Deutschland beteiligt war, so
läßt sich beweiskräftiges Material nicht gewinnen. Gewiß, als nach den Frei¬
heitskriegen die nationale Sehnsucht der Deutschen Flügel bekam, als Ströme
und Bäche des deutschen Staatslebens vom Eise der absolutistischen Herrschaft
befreit waren, da sahen mit dem Volke seine besten Männer das freie Volk im
freien Staat erstehen. Wem ist größere Schuld daran beizumessen, daß es
anders kam. als den „Heiligen" des Wiener Kongresses, dem Zaren Alexander,
dem Franzosen Talleyrand und dem Engländer Wellington, dessen schroffer
Torysmus damals schon hervortrat. Gewiß auch dem Staatskanzler Metternich,
der deshalb, gerade deshalb nicht zu den Heroen der Geschichte der Deutschen
zählt, wie im Gegensatz hierzu Alexander der Erste zu denjenigen Rußlands,
Talleyrand zu denjenigen Frankreichs, Wellington zu denjenigen Großbritanniens.
Ebensowenig wie das deutsche Volk seine freiheitlichen Blütenträume nach der
Bezwingung Napoleons reifen sah, geschah dies in Rußland, noch weniger in
Frankreich, endlich auch nicht in England, das 1839 die Chartisten niederschlug,
deren politisch maßvolle Forderungen der herrschenden britischen Aristokratie
ein Staatsverbrechen bedeuteten. Im Gegensatz dazu hat Preußen nach dem
siegreichen Feldzug von 1866 und nach der Begründung des Norddeutschen
Bundes eine freiheitliche politische Gesetzgebung in Angriff genommen, die von
dem neuen Deutschen Reich 1671 in verstärktem Maße fortgesetzt wurde.


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[0340] Deutschland und die Schweiz niederbrennen lassen." Für alles dies sei auf Napiers Geschichte des Halb¬ inselkrieges als unverdächtige Quelle verwiesen. Daß der Militarismus Deutschland nicht das staatspolitische Gepräge ge¬ geben hat, nicht geben kann, geht schon daraus hervor, daß in Friedenszeiten von rund achtzehn Millionen arbeitsfähigen Männern jeweils nur acht¬ hunderttausend Waffendienst taten. Daß Deutschland das große Problem des europäischen Liberalismus gelöst hat, bürgerliche Freiheit und stehende Heere nebeneinander leben zu lassen, kann man im Ernste nicht bestreiten. Daß Festlandstaaten ohne große stehende Heere nicht auskommen können, das bedarf im Jahre des Weltkrieges keiner anderen Beweise, als sie die Dialektik des Schlachtfeldes liefert. Es muß aber daraufhingewiesen werden, daß vor allem die britische Presse seit Jahrzehnten die öffentliche Meinung der Festlands¬ neutralen gegen den deutschen Militarismus aufgeputscht hat, um die Auf¬ merksamkeit von der Hauptsache abzulenken. Ohne den englischen Marinismus wäre uns dieser Weltkrieg erspart geblieben, denn niemals wäre der französische Rachegedanke Tat geworden, trüge er nicht den Glauben in sich, die englische Flotte würde Deutschland aushungern können. Das Schreckgespenst des deutschen Militarismus ist es aber, das den Sinn der Neutralen, besonders der Schweizer¬ deutschen, so verwirrt, daß sie meinen, ein Sieg Deutschlands würde die politische Reaktion in allen Festlandstaaten, zunächst natürlich im Lande des Siegers, stärken, ihr neue Schwungkraft leihen. Wieder war es die englische Presse, die dies gemeingefährliche Märchen in Kurs setzte. Sehen wir aber auf die Kriege des neunzehnten Jahrhunderts, an denen Deutschland beteiligt war, so läßt sich beweiskräftiges Material nicht gewinnen. Gewiß, als nach den Frei¬ heitskriegen die nationale Sehnsucht der Deutschen Flügel bekam, als Ströme und Bäche des deutschen Staatslebens vom Eise der absolutistischen Herrschaft befreit waren, da sahen mit dem Volke seine besten Männer das freie Volk im freien Staat erstehen. Wem ist größere Schuld daran beizumessen, daß es anders kam. als den „Heiligen" des Wiener Kongresses, dem Zaren Alexander, dem Franzosen Talleyrand und dem Engländer Wellington, dessen schroffer Torysmus damals schon hervortrat. Gewiß auch dem Staatskanzler Metternich, der deshalb, gerade deshalb nicht zu den Heroen der Geschichte der Deutschen zählt, wie im Gegensatz hierzu Alexander der Erste zu denjenigen Rußlands, Talleyrand zu denjenigen Frankreichs, Wellington zu denjenigen Großbritanniens. Ebensowenig wie das deutsche Volk seine freiheitlichen Blütenträume nach der Bezwingung Napoleons reifen sah, geschah dies in Rußland, noch weniger in Frankreich, endlich auch nicht in England, das 1839 die Chartisten niederschlug, deren politisch maßvolle Forderungen der herrschenden britischen Aristokratie ein Staatsverbrechen bedeuteten. Im Gegensatz dazu hat Preußen nach dem siegreichen Feldzug von 1866 und nach der Begründung des Norddeutschen Bundes eine freiheitliche politische Gesetzgebung in Angriff genommen, die von dem neuen Deutschen Reich 1671 in verstärktem Maße fortgesetzt wurde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/340>, abgerufen am 27.09.2024.