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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Die Grenzen des versicherungsgedankcns

letzthin in einem kosmischen Vertrauen besteht, so offenbart sich nirgends unver¬
hüllter als hier der atheistische Grundzug des Zivilisationsgedankens. Und wie
weit all unsere von ihm beeinflußten ethischen Anschauungen bereits vom Boden
des Christentums abgerückt sind, äußert sich darin, daß wir einen Menschen,
der die Segnungen der Versicherung etwa von der Hand weist, von vornherein
als leichtsinnig brandmarken, daß wir den Familienvater die Lebensversicherung
geradezu zur Pflicht machen. Es soll selbstverständlich nicht gesagt sein, jenes
religiöse Gebot verlange ein verschwenderisches In-den-Tag-hinein-leben. Daß
aber der Geist des mutigen Zutrauens und des gläubigen Hoffens, den es
fordert, verschieden ist von der pfiffigen Geschicklichkeit des Sich-salvierens, die
aus der Kleingläubigkeit des "Man kann nicht wissen" stammt, das wird sich
schwer leugnen lassen. Es zeigt sich aber auch deutlich, welch weltenschwere
Probleme gerade uns neuzeitlichen Germanen das Christentum, wenn wir es
ernst nehmen, auferlegt. Probleme, die noch gänzlich ungelöst in unheimlicher
Fraglichkeit vor uns stehen. Es geht einfach nicht, bis zum Äußersten undeutsch
wäre es, vor ihnen im Zivilisationsrausch die Augen zu schließen.

Es ist unmöglich, in diesem engen Nahmen die Frage der Zivilisation
und ihrer tief innerlichen Bedenklichkeit in ihrem ganzen Umfange aufzurollen.
Nur dies sei noch von geschichtsphilosophischem Gesichtspunkt angefügt. Es ist
allerdings das Kennzeichen der westeuropäischen Neuzeit, daß der Zioilisations-
gedanke in ihr zu einer vorher nicht gesehenen Alleinherrschaft gelangt ist, die
denn freilich auch seine ganze Gefährlichkeit für die tiefsten Güter der Menschheit
hat sichtbar werden lassen. Aber es wäre verfehlt zu sagen, die Zivilisation
sei eine Erfindung der Neuzeit. Das ist ein Hauptirrtum der Romantik. Das
Prinzip der Arbeitsteilung z. B., in dem das moderne Spezialistentum mit all
seinen Härten wurzelt, beginnt schon in prähistorischer Zeit sich durchzusetzen.
Mag sein, daß sie eine Mitgift des Teufels ist, aber sie ist eine Mitgift an
das ganze Menschengeschlecht, und alle Zeiten haben es versucht, sich mit ihr
auseinanderzusetzen. Das Altertum überbaute einen Tartarus der Sklaverei
mit einem Olymp, darinnen ein kleiner Kreis der Auserwählten es sich leisten
konnte, die Werke der Kultur zu formen --- "leichten Hauptes und leichter
Hände." Weil jene, die andern, "drunten sterben, wo die schweren Ruder
der Schiffe streifen," waren ihnen droben die Dinge des Geistes "--x°^",
Muße! Aber wie fährt Hofmannsthal fort? "Doch ein Schatten fällt von
jenen Leben in die anderen Leben hinüber." Der Christus wird geboren, nicht
in den Olymp, sondern in den Tartarus, und wie er von dort emporsteigt,
Max Klinger hat es uns gemalt. Mit diesem Moment beginnt das Mittel¬
alter. In die Herzen der blauäugigen blonden Söhne Wodans tritt der
Kampf der feindlichen Gewalten, und alle Zwiespältigleiten des westlichen
Katholizismus, die zu seiner Auflösung in den Protestantismus geführt haben,
erklären sich daraus, daß er Kultur, Zivilisation und Christentum gleich ernst
nahm. Die Neuzeit tritt ein, da sich das bisherige Verhältnis von Kultur,


Die Grenzen des versicherungsgedankcns

letzthin in einem kosmischen Vertrauen besteht, so offenbart sich nirgends unver¬
hüllter als hier der atheistische Grundzug des Zivilisationsgedankens. Und wie
weit all unsere von ihm beeinflußten ethischen Anschauungen bereits vom Boden
des Christentums abgerückt sind, äußert sich darin, daß wir einen Menschen,
der die Segnungen der Versicherung etwa von der Hand weist, von vornherein
als leichtsinnig brandmarken, daß wir den Familienvater die Lebensversicherung
geradezu zur Pflicht machen. Es soll selbstverständlich nicht gesagt sein, jenes
religiöse Gebot verlange ein verschwenderisches In-den-Tag-hinein-leben. Daß
aber der Geist des mutigen Zutrauens und des gläubigen Hoffens, den es
fordert, verschieden ist von der pfiffigen Geschicklichkeit des Sich-salvierens, die
aus der Kleingläubigkeit des „Man kann nicht wissen" stammt, das wird sich
schwer leugnen lassen. Es zeigt sich aber auch deutlich, welch weltenschwere
Probleme gerade uns neuzeitlichen Germanen das Christentum, wenn wir es
ernst nehmen, auferlegt. Probleme, die noch gänzlich ungelöst in unheimlicher
Fraglichkeit vor uns stehen. Es geht einfach nicht, bis zum Äußersten undeutsch
wäre es, vor ihnen im Zivilisationsrausch die Augen zu schließen.

Es ist unmöglich, in diesem engen Nahmen die Frage der Zivilisation
und ihrer tief innerlichen Bedenklichkeit in ihrem ganzen Umfange aufzurollen.
Nur dies sei noch von geschichtsphilosophischem Gesichtspunkt angefügt. Es ist
allerdings das Kennzeichen der westeuropäischen Neuzeit, daß der Zioilisations-
gedanke in ihr zu einer vorher nicht gesehenen Alleinherrschaft gelangt ist, die
denn freilich auch seine ganze Gefährlichkeit für die tiefsten Güter der Menschheit
hat sichtbar werden lassen. Aber es wäre verfehlt zu sagen, die Zivilisation
sei eine Erfindung der Neuzeit. Das ist ein Hauptirrtum der Romantik. Das
Prinzip der Arbeitsteilung z. B., in dem das moderne Spezialistentum mit all
seinen Härten wurzelt, beginnt schon in prähistorischer Zeit sich durchzusetzen.
Mag sein, daß sie eine Mitgift des Teufels ist, aber sie ist eine Mitgift an
das ganze Menschengeschlecht, und alle Zeiten haben es versucht, sich mit ihr
auseinanderzusetzen. Das Altertum überbaute einen Tartarus der Sklaverei
mit einem Olymp, darinnen ein kleiner Kreis der Auserwählten es sich leisten
konnte, die Werke der Kultur zu formen —- „leichten Hauptes und leichter
Hände." Weil jene, die andern, „drunten sterben, wo die schweren Ruder
der Schiffe streifen," waren ihnen droben die Dinge des Geistes „--x°^",
Muße! Aber wie fährt Hofmannsthal fort? „Doch ein Schatten fällt von
jenen Leben in die anderen Leben hinüber." Der Christus wird geboren, nicht
in den Olymp, sondern in den Tartarus, und wie er von dort emporsteigt,
Max Klinger hat es uns gemalt. Mit diesem Moment beginnt das Mittel¬
alter. In die Herzen der blauäugigen blonden Söhne Wodans tritt der
Kampf der feindlichen Gewalten, und alle Zwiespältigleiten des westlichen
Katholizismus, die zu seiner Auflösung in den Protestantismus geführt haben,
erklären sich daraus, daß er Kultur, Zivilisation und Christentum gleich ernst
nahm. Die Neuzeit tritt ein, da sich das bisherige Verhältnis von Kultur,


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[0034] Die Grenzen des versicherungsgedankcns letzthin in einem kosmischen Vertrauen besteht, so offenbart sich nirgends unver¬ hüllter als hier der atheistische Grundzug des Zivilisationsgedankens. Und wie weit all unsere von ihm beeinflußten ethischen Anschauungen bereits vom Boden des Christentums abgerückt sind, äußert sich darin, daß wir einen Menschen, der die Segnungen der Versicherung etwa von der Hand weist, von vornherein als leichtsinnig brandmarken, daß wir den Familienvater die Lebensversicherung geradezu zur Pflicht machen. Es soll selbstverständlich nicht gesagt sein, jenes religiöse Gebot verlange ein verschwenderisches In-den-Tag-hinein-leben. Daß aber der Geist des mutigen Zutrauens und des gläubigen Hoffens, den es fordert, verschieden ist von der pfiffigen Geschicklichkeit des Sich-salvierens, die aus der Kleingläubigkeit des „Man kann nicht wissen" stammt, das wird sich schwer leugnen lassen. Es zeigt sich aber auch deutlich, welch weltenschwere Probleme gerade uns neuzeitlichen Germanen das Christentum, wenn wir es ernst nehmen, auferlegt. Probleme, die noch gänzlich ungelöst in unheimlicher Fraglichkeit vor uns stehen. Es geht einfach nicht, bis zum Äußersten undeutsch wäre es, vor ihnen im Zivilisationsrausch die Augen zu schließen. Es ist unmöglich, in diesem engen Nahmen die Frage der Zivilisation und ihrer tief innerlichen Bedenklichkeit in ihrem ganzen Umfange aufzurollen. Nur dies sei noch von geschichtsphilosophischem Gesichtspunkt angefügt. Es ist allerdings das Kennzeichen der westeuropäischen Neuzeit, daß der Zioilisations- gedanke in ihr zu einer vorher nicht gesehenen Alleinherrschaft gelangt ist, die denn freilich auch seine ganze Gefährlichkeit für die tiefsten Güter der Menschheit hat sichtbar werden lassen. Aber es wäre verfehlt zu sagen, die Zivilisation sei eine Erfindung der Neuzeit. Das ist ein Hauptirrtum der Romantik. Das Prinzip der Arbeitsteilung z. B., in dem das moderne Spezialistentum mit all seinen Härten wurzelt, beginnt schon in prähistorischer Zeit sich durchzusetzen. Mag sein, daß sie eine Mitgift des Teufels ist, aber sie ist eine Mitgift an das ganze Menschengeschlecht, und alle Zeiten haben es versucht, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Das Altertum überbaute einen Tartarus der Sklaverei mit einem Olymp, darinnen ein kleiner Kreis der Auserwählten es sich leisten konnte, die Werke der Kultur zu formen —- „leichten Hauptes und leichter Hände." Weil jene, die andern, „drunten sterben, wo die schweren Ruder der Schiffe streifen," waren ihnen droben die Dinge des Geistes „--x°^", Muße! Aber wie fährt Hofmannsthal fort? „Doch ein Schatten fällt von jenen Leben in die anderen Leben hinüber." Der Christus wird geboren, nicht in den Olymp, sondern in den Tartarus, und wie er von dort emporsteigt, Max Klinger hat es uns gemalt. Mit diesem Moment beginnt das Mittel¬ alter. In die Herzen der blauäugigen blonden Söhne Wodans tritt der Kampf der feindlichen Gewalten, und alle Zwiespältigleiten des westlichen Katholizismus, die zu seiner Auflösung in den Protestantismus geführt haben, erklären sich daraus, daß er Kultur, Zivilisation und Christentum gleich ernst nahm. Die Neuzeit tritt ein, da sich das bisherige Verhältnis von Kultur,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/34>, abgerufen am 27.09.2024.