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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Der italienische Irredcntismns

immer ziemlich kühl sich verhalten hatte, konnte doch die klerikale Partei nie
die "Gefangennahme" des Papstes verzeihen, sich der Schutzherrschaft in Tunis
bemächtigt. Tunis aber, das Land des Gegenufers, war den Italienern immer
als sicherer Besitz erschienen, nach dem sie nur die Hand auszustrecken brauchten.
Neben den Einheimischen wohnten hier fast nur Italiener, mehr als 20000
Handwerker und Arbeiter hatten hier eine neue Heimat gefunden, gleichsam als
Pioniere einer Okkupation, die in nicht mehr allzuweiter Ferne stand. Der
Streich Frankreichs wirkte wie eine kalte Dusche auf die leichterregten Italiener.
Hatte Frankreich doch bis zuletzt den italienischen Ministern sein Vorhaben ver¬
heimlicht, hatten diese doch auf die Ehrlichkeit und Biederkeit der geliebten
Schwesternation bauend, sich lange Zeit tüchtig an der Nase herumführen lassen.
Die Erbitterung und Enttäuschung darüber war in jener Zeit so groß, daß
Cairoli seine Entlassung erbitten mußte. Italien aber sah zum erstenmal mit
klaren Augen, wie einsam und hilflos es in der Welt gestanden, und daß nur
der Anschluß an eine große Macht es in Zukunft vor noch ernsteren Gefahren,
vor der völligen Isolierung nach außen und der drohenden Anarchie im Innern,
retten konnte.

Daß die Annäherung an Österreich vor allem für Italien selbst von
größtem Werte war, erklärte schon damals der Sektionsrat Kallay ant'6. No¬
vember 1881 in der ungarischen Delegation. Italien suche in seinem eigenen
Interesse die Annäherung an die österreichisch-ungarische Monarchie; die letztere
habe von Italien nichts zu verlangen und nichts zu fürchten. Und Graf Andrassy
fügte hinzu, die Jrredenta sei eine Gefahr nicht für Österreich, sondern lediglich
für Italien selbst, und in diesem Gefühl wurzle die Aufrichtigkeit der Freund¬
schaft, welche Österreich für Italien hege.

Die Folge des Dreibundes war in Italien jetzt das radikale Vorgehen
der Regierung gegen die Jrredentisten, die durch ruchlose Bombenattentate eben
die Ausstellung von Trieft gestört hatten, und sie weiter zu stören im Sinne
hatten. Kurzerhand wurde der Rädelsführer, Wilhelm Oberdank, durch den
Strang gerichtet, alle aber, die ihn rächen wollten, energisch verfolgt und blutig
bestraft. "Darum," so erklärte damals der Minister Manzini in der Kammer,
"weil einige Gebietsteile in Osterreich italienisch sind, sollen wir sie von Österreich
verlangen? Ja, dann müßten wir mit Frankreich und England wegen Nizza,
Korsika, Malta ganz dasselbe tun. Deutschland müsse von Osterreich und
Rußland deren deutsche Provinzen fordern und ganz Europa würde in einen
entsetzlichen Krieg hineingezogen. An die Möglichkeit solchen Aberwitzes
glauben die Bannerträger der Jrredenta selber nicht. Nein, ich will die
harte Wahrheit aussprechen. Was sie wollen, ist nicht Trieft und Trient,
sondern der Untergang der Monarchie, dieser Einrichtung, an der die
Nation mit ihrem Herzblut hängt. Diese unverschämten Anschläge einer
frechen, verschwindenden Minderheit finden im Ausland die gebührende Wür¬
digung."


Der italienische Irredcntismns

immer ziemlich kühl sich verhalten hatte, konnte doch die klerikale Partei nie
die „Gefangennahme" des Papstes verzeihen, sich der Schutzherrschaft in Tunis
bemächtigt. Tunis aber, das Land des Gegenufers, war den Italienern immer
als sicherer Besitz erschienen, nach dem sie nur die Hand auszustrecken brauchten.
Neben den Einheimischen wohnten hier fast nur Italiener, mehr als 20000
Handwerker und Arbeiter hatten hier eine neue Heimat gefunden, gleichsam als
Pioniere einer Okkupation, die in nicht mehr allzuweiter Ferne stand. Der
Streich Frankreichs wirkte wie eine kalte Dusche auf die leichterregten Italiener.
Hatte Frankreich doch bis zuletzt den italienischen Ministern sein Vorhaben ver¬
heimlicht, hatten diese doch auf die Ehrlichkeit und Biederkeit der geliebten
Schwesternation bauend, sich lange Zeit tüchtig an der Nase herumführen lassen.
Die Erbitterung und Enttäuschung darüber war in jener Zeit so groß, daß
Cairoli seine Entlassung erbitten mußte. Italien aber sah zum erstenmal mit
klaren Augen, wie einsam und hilflos es in der Welt gestanden, und daß nur
der Anschluß an eine große Macht es in Zukunft vor noch ernsteren Gefahren,
vor der völligen Isolierung nach außen und der drohenden Anarchie im Innern,
retten konnte.

Daß die Annäherung an Österreich vor allem für Italien selbst von
größtem Werte war, erklärte schon damals der Sektionsrat Kallay ant'6. No¬
vember 1881 in der ungarischen Delegation. Italien suche in seinem eigenen
Interesse die Annäherung an die österreichisch-ungarische Monarchie; die letztere
habe von Italien nichts zu verlangen und nichts zu fürchten. Und Graf Andrassy
fügte hinzu, die Jrredenta sei eine Gefahr nicht für Österreich, sondern lediglich
für Italien selbst, und in diesem Gefühl wurzle die Aufrichtigkeit der Freund¬
schaft, welche Österreich für Italien hege.

Die Folge des Dreibundes war in Italien jetzt das radikale Vorgehen
der Regierung gegen die Jrredentisten, die durch ruchlose Bombenattentate eben
die Ausstellung von Trieft gestört hatten, und sie weiter zu stören im Sinne
hatten. Kurzerhand wurde der Rädelsführer, Wilhelm Oberdank, durch den
Strang gerichtet, alle aber, die ihn rächen wollten, energisch verfolgt und blutig
bestraft. „Darum," so erklärte damals der Minister Manzini in der Kammer,
„weil einige Gebietsteile in Osterreich italienisch sind, sollen wir sie von Österreich
verlangen? Ja, dann müßten wir mit Frankreich und England wegen Nizza,
Korsika, Malta ganz dasselbe tun. Deutschland müsse von Osterreich und
Rußland deren deutsche Provinzen fordern und ganz Europa würde in einen
entsetzlichen Krieg hineingezogen. An die Möglichkeit solchen Aberwitzes
glauben die Bannerträger der Jrredenta selber nicht. Nein, ich will die
harte Wahrheit aussprechen. Was sie wollen, ist nicht Trieft und Trient,
sondern der Untergang der Monarchie, dieser Einrichtung, an der die
Nation mit ihrem Herzblut hängt. Diese unverschämten Anschläge einer
frechen, verschwindenden Minderheit finden im Ausland die gebührende Wür¬
digung."


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[0275] Der italienische Irredcntismns immer ziemlich kühl sich verhalten hatte, konnte doch die klerikale Partei nie die „Gefangennahme" des Papstes verzeihen, sich der Schutzherrschaft in Tunis bemächtigt. Tunis aber, das Land des Gegenufers, war den Italienern immer als sicherer Besitz erschienen, nach dem sie nur die Hand auszustrecken brauchten. Neben den Einheimischen wohnten hier fast nur Italiener, mehr als 20000 Handwerker und Arbeiter hatten hier eine neue Heimat gefunden, gleichsam als Pioniere einer Okkupation, die in nicht mehr allzuweiter Ferne stand. Der Streich Frankreichs wirkte wie eine kalte Dusche auf die leichterregten Italiener. Hatte Frankreich doch bis zuletzt den italienischen Ministern sein Vorhaben ver¬ heimlicht, hatten diese doch auf die Ehrlichkeit und Biederkeit der geliebten Schwesternation bauend, sich lange Zeit tüchtig an der Nase herumführen lassen. Die Erbitterung und Enttäuschung darüber war in jener Zeit so groß, daß Cairoli seine Entlassung erbitten mußte. Italien aber sah zum erstenmal mit klaren Augen, wie einsam und hilflos es in der Welt gestanden, und daß nur der Anschluß an eine große Macht es in Zukunft vor noch ernsteren Gefahren, vor der völligen Isolierung nach außen und der drohenden Anarchie im Innern, retten konnte. Daß die Annäherung an Österreich vor allem für Italien selbst von größtem Werte war, erklärte schon damals der Sektionsrat Kallay ant'6. No¬ vember 1881 in der ungarischen Delegation. Italien suche in seinem eigenen Interesse die Annäherung an die österreichisch-ungarische Monarchie; die letztere habe von Italien nichts zu verlangen und nichts zu fürchten. Und Graf Andrassy fügte hinzu, die Jrredenta sei eine Gefahr nicht für Österreich, sondern lediglich für Italien selbst, und in diesem Gefühl wurzle die Aufrichtigkeit der Freund¬ schaft, welche Österreich für Italien hege. Die Folge des Dreibundes war in Italien jetzt das radikale Vorgehen der Regierung gegen die Jrredentisten, die durch ruchlose Bombenattentate eben die Ausstellung von Trieft gestört hatten, und sie weiter zu stören im Sinne hatten. Kurzerhand wurde der Rädelsführer, Wilhelm Oberdank, durch den Strang gerichtet, alle aber, die ihn rächen wollten, energisch verfolgt und blutig bestraft. „Darum," so erklärte damals der Minister Manzini in der Kammer, „weil einige Gebietsteile in Osterreich italienisch sind, sollen wir sie von Österreich verlangen? Ja, dann müßten wir mit Frankreich und England wegen Nizza, Korsika, Malta ganz dasselbe tun. Deutschland müsse von Osterreich und Rußland deren deutsche Provinzen fordern und ganz Europa würde in einen entsetzlichen Krieg hineingezogen. An die Möglichkeit solchen Aberwitzes glauben die Bannerträger der Jrredenta selber nicht. Nein, ich will die harte Wahrheit aussprechen. Was sie wollen, ist nicht Trieft und Trient, sondern der Untergang der Monarchie, dieser Einrichtung, an der die Nation mit ihrem Herzblut hängt. Diese unverschämten Anschläge einer frechen, verschwindenden Minderheit finden im Ausland die gebührende Wür¬ digung."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/275>, abgerufen am 27.09.2024.