Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
ZVie Napoleon im Jahre 5 n > 5 über die Tauber Europas dachte

zusehen, um ihre Stellung nicht zu untergraben. Den Übergang der Armee zu
seinen Fahnen sah er voraus. Aber wie werden die Mächte sich zu seinem
Unternehmen stellen? Werden sie das, was er vor hat, Friedensbruch, Treu¬
bruch und Verleitung hierzu, mit Gewissensruhe mit ansehen können?

Eine Betrachtung der verschiedenen Völker soll ihm Gewißheit geben.

"Die Sachsen, die Genuesen, die Belgier, die Rheinländer und die Polen,
sie alle wollen nichts wissen von den neuen Herren, die man ihnen geben will.
Italien seufzt nach dem Augenblick, da es sich der Herrschaft der Österreicher
entziehen kann. Der König von Neapel mußte sich durch die Erfahrung be¬
lehren lassen, daß sein bester Schutz beim Kaiser liegt; er wird die Erhebung
Italiens unterstützen. Preußen und Österreich werden sich still verhalten, wenn
sie im Besitz ihrer Erwerbungen verbleiben können. Und Österreich, das von
Rußland und Preußen alles zu fürchten hat, das aber vom König von Frank¬
reich nichts zu erhoffen hat, wird zustimmen," so meint der Oberst, "daß Sie
mit den Bourbonen machen können, was Ihnen beliebt, wenn man ihm nur
Italien überläßt. Kurzum, alle Mächte, England ausgenommen, haben mehr
oder minder Veranlassung, sich nicht gegen Sie zu erklären. Bevor aber Eng¬
land auf den Kontinent einwirken und ihn zur Erhebung hinreißen kann, wird
es Euer Majestät möglich sein, sich den Thron so zu sichern, daß jeder Versuch,
ihn wieder umzustürzen, vergeblich ist."

Diese Darlegung der politischen Verhältnisse im allgemeinen, wie sie der
Oberst ihm schildert, veranlaßte den Kaiser nochmal, die einzelnen Länder zu
betrachten und ihre Stellung zu ihm.

Von Rußland fürchtet er nichts. Zwischen dem Kaiser Alexander und ihm
bestehe eine Art Freundschaft. Der Kaiser müsse ihn hochschätzen und den Unter¬
schied merken, der zwischen ihm und einem Ludwig dem Achtzehnter sei. Wenn
er Einsicht genug besitze, müsse es ihm lieber sein, daß Frankreich von einem
starken Mann, von einem unversöhnlichen Gegner Englands regiert werde, als
wenn das Szepter ein Schwächling führe, der noch dazu ein Freund und Vasall
des englischen Prinzregenten sei. Freilich, .Polen und was der Zar sonst noch
wünsche, werde man ihm geben.

Hat er Rußland, so glaubt er Preußen und die kleinen Rheinbundfürsten
zu haben; denn diese werden nur Rußlands Beispiel folgen.

Ungewiß ist die Haltung Österreichs, das gegen ihn nie offen gewesen sei.
Aber er hofft es mit der Drohung, er werde ihm sonst Italien entreißen, im
Zaum halten zu können.

Von Italien erwartet er dankbare Zuneigung und Unterstützung im Kriegs¬
fall. Zum Lohn bietet er ihm Selbständigkeit oder eine Regierung unter dem
Prinzen Eugen. Auch von Murat ist jetzt nach einer Zeit des Schwankens
Unterstützung zu gewärtigen, um so mehr als seine Gattin, des Kaisers Schwester,
ihn sicher leiten werde.

Bleibt noch England I Sein Urteil darüber ist heute doppelt merkwürdig.


ZVie Napoleon im Jahre 5 n > 5 über die Tauber Europas dachte

zusehen, um ihre Stellung nicht zu untergraben. Den Übergang der Armee zu
seinen Fahnen sah er voraus. Aber wie werden die Mächte sich zu seinem
Unternehmen stellen? Werden sie das, was er vor hat, Friedensbruch, Treu¬
bruch und Verleitung hierzu, mit Gewissensruhe mit ansehen können?

Eine Betrachtung der verschiedenen Völker soll ihm Gewißheit geben.

„Die Sachsen, die Genuesen, die Belgier, die Rheinländer und die Polen,
sie alle wollen nichts wissen von den neuen Herren, die man ihnen geben will.
Italien seufzt nach dem Augenblick, da es sich der Herrschaft der Österreicher
entziehen kann. Der König von Neapel mußte sich durch die Erfahrung be¬
lehren lassen, daß sein bester Schutz beim Kaiser liegt; er wird die Erhebung
Italiens unterstützen. Preußen und Österreich werden sich still verhalten, wenn
sie im Besitz ihrer Erwerbungen verbleiben können. Und Österreich, das von
Rußland und Preußen alles zu fürchten hat, das aber vom König von Frank¬
reich nichts zu erhoffen hat, wird zustimmen," so meint der Oberst, „daß Sie
mit den Bourbonen machen können, was Ihnen beliebt, wenn man ihm nur
Italien überläßt. Kurzum, alle Mächte, England ausgenommen, haben mehr
oder minder Veranlassung, sich nicht gegen Sie zu erklären. Bevor aber Eng¬
land auf den Kontinent einwirken und ihn zur Erhebung hinreißen kann, wird
es Euer Majestät möglich sein, sich den Thron so zu sichern, daß jeder Versuch,
ihn wieder umzustürzen, vergeblich ist."

Diese Darlegung der politischen Verhältnisse im allgemeinen, wie sie der
Oberst ihm schildert, veranlaßte den Kaiser nochmal, die einzelnen Länder zu
betrachten und ihre Stellung zu ihm.

Von Rußland fürchtet er nichts. Zwischen dem Kaiser Alexander und ihm
bestehe eine Art Freundschaft. Der Kaiser müsse ihn hochschätzen und den Unter¬
schied merken, der zwischen ihm und einem Ludwig dem Achtzehnter sei. Wenn
er Einsicht genug besitze, müsse es ihm lieber sein, daß Frankreich von einem
starken Mann, von einem unversöhnlichen Gegner Englands regiert werde, als
wenn das Szepter ein Schwächling führe, der noch dazu ein Freund und Vasall
des englischen Prinzregenten sei. Freilich, .Polen und was der Zar sonst noch
wünsche, werde man ihm geben.

Hat er Rußland, so glaubt er Preußen und die kleinen Rheinbundfürsten
zu haben; denn diese werden nur Rußlands Beispiel folgen.

Ungewiß ist die Haltung Österreichs, das gegen ihn nie offen gewesen sei.
Aber er hofft es mit der Drohung, er werde ihm sonst Italien entreißen, im
Zaum halten zu können.

Von Italien erwartet er dankbare Zuneigung und Unterstützung im Kriegs¬
fall. Zum Lohn bietet er ihm Selbständigkeit oder eine Regierung unter dem
Prinzen Eugen. Auch von Murat ist jetzt nach einer Zeit des Schwankens
Unterstützung zu gewärtigen, um so mehr als seine Gattin, des Kaisers Schwester,
ihn sicher leiten werde.

Bleibt noch England I Sein Urteil darüber ist heute doppelt merkwürdig.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323351"/>
          <fw type="header" place="top"> ZVie Napoleon im Jahre 5 n &gt; 5 über die Tauber Europas dachte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_813" prev="#ID_812"> zusehen, um ihre Stellung nicht zu untergraben. Den Übergang der Armee zu<lb/>
seinen Fahnen sah er voraus. Aber wie werden die Mächte sich zu seinem<lb/>
Unternehmen stellen? Werden sie das, was er vor hat, Friedensbruch, Treu¬<lb/>
bruch und Verleitung hierzu, mit Gewissensruhe mit ansehen können?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_814"> Eine Betrachtung der verschiedenen Völker soll ihm Gewißheit geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_815"> &#x201E;Die Sachsen, die Genuesen, die Belgier, die Rheinländer und die Polen,<lb/>
sie alle wollen nichts wissen von den neuen Herren, die man ihnen geben will.<lb/>
Italien seufzt nach dem Augenblick, da es sich der Herrschaft der Österreicher<lb/>
entziehen kann. Der König von Neapel mußte sich durch die Erfahrung be¬<lb/>
lehren lassen, daß sein bester Schutz beim Kaiser liegt; er wird die Erhebung<lb/>
Italiens unterstützen. Preußen und Österreich werden sich still verhalten, wenn<lb/>
sie im Besitz ihrer Erwerbungen verbleiben können. Und Österreich, das von<lb/>
Rußland und Preußen alles zu fürchten hat, das aber vom König von Frank¬<lb/>
reich nichts zu erhoffen hat, wird zustimmen," so meint der Oberst, &#x201E;daß Sie<lb/>
mit den Bourbonen machen können, was Ihnen beliebt, wenn man ihm nur<lb/>
Italien überläßt. Kurzum, alle Mächte, England ausgenommen, haben mehr<lb/>
oder minder Veranlassung, sich nicht gegen Sie zu erklären. Bevor aber Eng¬<lb/>
land auf den Kontinent einwirken und ihn zur Erhebung hinreißen kann, wird<lb/>
es Euer Majestät möglich sein, sich den Thron so zu sichern, daß jeder Versuch,<lb/>
ihn wieder umzustürzen, vergeblich ist."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_816"> Diese Darlegung der politischen Verhältnisse im allgemeinen, wie sie der<lb/>
Oberst ihm schildert, veranlaßte den Kaiser nochmal, die einzelnen Länder zu<lb/>
betrachten und ihre Stellung zu ihm.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_817"> Von Rußland fürchtet er nichts. Zwischen dem Kaiser Alexander und ihm<lb/>
bestehe eine Art Freundschaft. Der Kaiser müsse ihn hochschätzen und den Unter¬<lb/>
schied merken, der zwischen ihm und einem Ludwig dem Achtzehnter sei. Wenn<lb/>
er Einsicht genug besitze, müsse es ihm lieber sein, daß Frankreich von einem<lb/>
starken Mann, von einem unversöhnlichen Gegner Englands regiert werde, als<lb/>
wenn das Szepter ein Schwächling führe, der noch dazu ein Freund und Vasall<lb/>
des englischen Prinzregenten sei. Freilich, .Polen und was der Zar sonst noch<lb/>
wünsche, werde man ihm geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_818"> Hat er Rußland, so glaubt er Preußen und die kleinen Rheinbundfürsten<lb/>
zu haben; denn diese werden nur Rußlands Beispiel folgen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_819"> Ungewiß ist die Haltung Österreichs, das gegen ihn nie offen gewesen sei.<lb/>
Aber er hofft es mit der Drohung, er werde ihm sonst Italien entreißen, im<lb/>
Zaum halten zu können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_820"> Von Italien erwartet er dankbare Zuneigung und Unterstützung im Kriegs¬<lb/>
fall. Zum Lohn bietet er ihm Selbständigkeit oder eine Regierung unter dem<lb/>
Prinzen Eugen. Auch von Murat ist jetzt nach einer Zeit des Schwankens<lb/>
Unterstützung zu gewärtigen, um so mehr als seine Gattin, des Kaisers Schwester,<lb/>
ihn sicher leiten werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_821"> Bleibt noch England I Sein Urteil darüber ist heute doppelt merkwürdig.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0254] ZVie Napoleon im Jahre 5 n > 5 über die Tauber Europas dachte zusehen, um ihre Stellung nicht zu untergraben. Den Übergang der Armee zu seinen Fahnen sah er voraus. Aber wie werden die Mächte sich zu seinem Unternehmen stellen? Werden sie das, was er vor hat, Friedensbruch, Treu¬ bruch und Verleitung hierzu, mit Gewissensruhe mit ansehen können? Eine Betrachtung der verschiedenen Völker soll ihm Gewißheit geben. „Die Sachsen, die Genuesen, die Belgier, die Rheinländer und die Polen, sie alle wollen nichts wissen von den neuen Herren, die man ihnen geben will. Italien seufzt nach dem Augenblick, da es sich der Herrschaft der Österreicher entziehen kann. Der König von Neapel mußte sich durch die Erfahrung be¬ lehren lassen, daß sein bester Schutz beim Kaiser liegt; er wird die Erhebung Italiens unterstützen. Preußen und Österreich werden sich still verhalten, wenn sie im Besitz ihrer Erwerbungen verbleiben können. Und Österreich, das von Rußland und Preußen alles zu fürchten hat, das aber vom König von Frank¬ reich nichts zu erhoffen hat, wird zustimmen," so meint der Oberst, „daß Sie mit den Bourbonen machen können, was Ihnen beliebt, wenn man ihm nur Italien überläßt. Kurzum, alle Mächte, England ausgenommen, haben mehr oder minder Veranlassung, sich nicht gegen Sie zu erklären. Bevor aber Eng¬ land auf den Kontinent einwirken und ihn zur Erhebung hinreißen kann, wird es Euer Majestät möglich sein, sich den Thron so zu sichern, daß jeder Versuch, ihn wieder umzustürzen, vergeblich ist." Diese Darlegung der politischen Verhältnisse im allgemeinen, wie sie der Oberst ihm schildert, veranlaßte den Kaiser nochmal, die einzelnen Länder zu betrachten und ihre Stellung zu ihm. Von Rußland fürchtet er nichts. Zwischen dem Kaiser Alexander und ihm bestehe eine Art Freundschaft. Der Kaiser müsse ihn hochschätzen und den Unter¬ schied merken, der zwischen ihm und einem Ludwig dem Achtzehnter sei. Wenn er Einsicht genug besitze, müsse es ihm lieber sein, daß Frankreich von einem starken Mann, von einem unversöhnlichen Gegner Englands regiert werde, als wenn das Szepter ein Schwächling führe, der noch dazu ein Freund und Vasall des englischen Prinzregenten sei. Freilich, .Polen und was der Zar sonst noch wünsche, werde man ihm geben. Hat er Rußland, so glaubt er Preußen und die kleinen Rheinbundfürsten zu haben; denn diese werden nur Rußlands Beispiel folgen. Ungewiß ist die Haltung Österreichs, das gegen ihn nie offen gewesen sei. Aber er hofft es mit der Drohung, er werde ihm sonst Italien entreißen, im Zaum halten zu können. Von Italien erwartet er dankbare Zuneigung und Unterstützung im Kriegs¬ fall. Zum Lohn bietet er ihm Selbständigkeit oder eine Regierung unter dem Prinzen Eugen. Auch von Murat ist jetzt nach einer Zeit des Schwankens Unterstützung zu gewärtigen, um so mehr als seine Gattin, des Kaisers Schwester, ihn sicher leiten werde. Bleibt noch England I Sein Urteil darüber ist heute doppelt merkwürdig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/254
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/254>, abgerufen am 27.09.2024.