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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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U)in Napoleon im Jahre ^8^5 über die Länder Europas dachte

Seine Gedanken schreiten dann weiter zu den Bourbonen und ihrer
Regierung. Er hatte gehofft, daß sie durch ihr Unglück belehrt nicht mehr in
die alten Fehler verfallen würden. Aber was muß er da alles von dem
Obersten hören! Die Emigranten, die Priester und Adeligen spielen wieder
die alte Rolle zum Schaden des Landes. "Als es bloß darauf ankam, schöne
Waden zu zeigen in meinen Vorzimmern, da hatte ich mehr von diesen Leuten,
als mir lieb war. Als sie sich aber als Männer beweisen sollten, zogen sie
sich zurück wie Hunde. Es war ein großer Fehler von mir, daß ich diese
antinationale Gesellschaft zurückrief. Aber ich wollte Europa versöhnen und die
Revolution zum Abschluß bringen." So urteilt er über die Emigranten. Mit
großer Befriedigung hört er dann, daß die Bourbonen nicht regieren können,
hört von den Fehlern, die sie machen, von der bonapartistischen Stimmung in
der Armee, von der Sehnsucht der alten Soldaten nach dem Kaiser, von den
bitteren Gefühlen des Volkes gegen den König, der es wieder in die frühere
Nichtigkeit zurückstoßen wolle. "Wie soll das enden?" fragt er begierig. "Glaubt
man, es komme eine neue Revolution?"

"Sire." erwiderte der Oberst, "die Geister sind derart unzufrieden und
hoffnungslos, daß die geringste Bewegung auch nur eines Bruchteiles der
Nation notwendigerweise eine allgemeine Erhebung zur Folge haben wird. Und
niemand wird erstaunt sein, wenn sie eines schönen Tages losbricht!"

"Aber was wollt ihr denn, wenn ihr die Bourbonen verjagt? Wollt ihr
wieder eine Republik aufrichten?"

"Eine Republik, Sire? Kein Mensch denkt daran! Vielleicht setzt man
eine Regentschaft ein!"

"Eine Regentschaft?" rief der Kaiser überrascht. "Warum? Bin ich
denn tot? ... In zwei Tagen wäre ich in Frankreich, wenn die Nation mich
ruft . . . Glauben Sie, ich tue gut daran, wenn ich zurückkehre?"

Der Oberst zögerte, diese bedeutungsvolle Frage zu beantworten. Lag doch
das Geschick Frankreichs und noch mehr vielleicht in dem Wörtlein "ja". Endlich
aber sprach er es aus und setzte hinzu: "Der Ekel und die Abneigung der
Franzosen gegen die Negierung lastet so schwer auf der Nation und der Armee,
daß jeder, der sie davon befreien wollte, selbst wenn es nicht Eure Majestät
wäre, die Franzosen bereit finden würde, ihm zu folgen."

Da bemächtigte sich des Kaisers tiefste Erregung und bald sprach er das
entscheidende Wort: "Ich bin dazu entschlossen ... ich werde abreisen!"

Soviel mußte wohl erwähnt werden, um die folgenden Bemerkungen über
die Länder Europas in ihrer Bedeutung voll zu erfassen. Sie fielen in einer
Stunde, da des Kaisers Geist rege war, und alle Schärfe anwandte, um zu
klarer Erkenntnis zu gelangen.

Daß er aus die Polen und die Grenadiere sich verlassen könne, wußte er.
Die alten Marschälle, die er zwar mit Ehren und Reichtümern überhäuft hatte,
die aber alt und kampsesüberdrüssig geworden waren, würden wohl tatenlos


Grenzboten I 191S 16
U)in Napoleon im Jahre ^8^5 über die Länder Europas dachte

Seine Gedanken schreiten dann weiter zu den Bourbonen und ihrer
Regierung. Er hatte gehofft, daß sie durch ihr Unglück belehrt nicht mehr in
die alten Fehler verfallen würden. Aber was muß er da alles von dem
Obersten hören! Die Emigranten, die Priester und Adeligen spielen wieder
die alte Rolle zum Schaden des Landes. „Als es bloß darauf ankam, schöne
Waden zu zeigen in meinen Vorzimmern, da hatte ich mehr von diesen Leuten,
als mir lieb war. Als sie sich aber als Männer beweisen sollten, zogen sie
sich zurück wie Hunde. Es war ein großer Fehler von mir, daß ich diese
antinationale Gesellschaft zurückrief. Aber ich wollte Europa versöhnen und die
Revolution zum Abschluß bringen." So urteilt er über die Emigranten. Mit
großer Befriedigung hört er dann, daß die Bourbonen nicht regieren können,
hört von den Fehlern, die sie machen, von der bonapartistischen Stimmung in
der Armee, von der Sehnsucht der alten Soldaten nach dem Kaiser, von den
bitteren Gefühlen des Volkes gegen den König, der es wieder in die frühere
Nichtigkeit zurückstoßen wolle. „Wie soll das enden?" fragt er begierig. „Glaubt
man, es komme eine neue Revolution?"

„Sire." erwiderte der Oberst, „die Geister sind derart unzufrieden und
hoffnungslos, daß die geringste Bewegung auch nur eines Bruchteiles der
Nation notwendigerweise eine allgemeine Erhebung zur Folge haben wird. Und
niemand wird erstaunt sein, wenn sie eines schönen Tages losbricht!"

„Aber was wollt ihr denn, wenn ihr die Bourbonen verjagt? Wollt ihr
wieder eine Republik aufrichten?"

„Eine Republik, Sire? Kein Mensch denkt daran! Vielleicht setzt man
eine Regentschaft ein!"

„Eine Regentschaft?" rief der Kaiser überrascht. „Warum? Bin ich
denn tot? ... In zwei Tagen wäre ich in Frankreich, wenn die Nation mich
ruft . . . Glauben Sie, ich tue gut daran, wenn ich zurückkehre?"

Der Oberst zögerte, diese bedeutungsvolle Frage zu beantworten. Lag doch
das Geschick Frankreichs und noch mehr vielleicht in dem Wörtlein „ja". Endlich
aber sprach er es aus und setzte hinzu: „Der Ekel und die Abneigung der
Franzosen gegen die Negierung lastet so schwer auf der Nation und der Armee,
daß jeder, der sie davon befreien wollte, selbst wenn es nicht Eure Majestät
wäre, die Franzosen bereit finden würde, ihm zu folgen."

Da bemächtigte sich des Kaisers tiefste Erregung und bald sprach er das
entscheidende Wort: „Ich bin dazu entschlossen ... ich werde abreisen!"

Soviel mußte wohl erwähnt werden, um die folgenden Bemerkungen über
die Länder Europas in ihrer Bedeutung voll zu erfassen. Sie fielen in einer
Stunde, da des Kaisers Geist rege war, und alle Schärfe anwandte, um zu
klarer Erkenntnis zu gelangen.

Daß er aus die Polen und die Grenadiere sich verlassen könne, wußte er.
Die alten Marschälle, die er zwar mit Ehren und Reichtümern überhäuft hatte,
die aber alt und kampsesüberdrüssig geworden waren, würden wohl tatenlos


Grenzboten I 191S 16
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[0253] U)in Napoleon im Jahre ^8^5 über die Länder Europas dachte Seine Gedanken schreiten dann weiter zu den Bourbonen und ihrer Regierung. Er hatte gehofft, daß sie durch ihr Unglück belehrt nicht mehr in die alten Fehler verfallen würden. Aber was muß er da alles von dem Obersten hören! Die Emigranten, die Priester und Adeligen spielen wieder die alte Rolle zum Schaden des Landes. „Als es bloß darauf ankam, schöne Waden zu zeigen in meinen Vorzimmern, da hatte ich mehr von diesen Leuten, als mir lieb war. Als sie sich aber als Männer beweisen sollten, zogen sie sich zurück wie Hunde. Es war ein großer Fehler von mir, daß ich diese antinationale Gesellschaft zurückrief. Aber ich wollte Europa versöhnen und die Revolution zum Abschluß bringen." So urteilt er über die Emigranten. Mit großer Befriedigung hört er dann, daß die Bourbonen nicht regieren können, hört von den Fehlern, die sie machen, von der bonapartistischen Stimmung in der Armee, von der Sehnsucht der alten Soldaten nach dem Kaiser, von den bitteren Gefühlen des Volkes gegen den König, der es wieder in die frühere Nichtigkeit zurückstoßen wolle. „Wie soll das enden?" fragt er begierig. „Glaubt man, es komme eine neue Revolution?" „Sire." erwiderte der Oberst, „die Geister sind derart unzufrieden und hoffnungslos, daß die geringste Bewegung auch nur eines Bruchteiles der Nation notwendigerweise eine allgemeine Erhebung zur Folge haben wird. Und niemand wird erstaunt sein, wenn sie eines schönen Tages losbricht!" „Aber was wollt ihr denn, wenn ihr die Bourbonen verjagt? Wollt ihr wieder eine Republik aufrichten?" „Eine Republik, Sire? Kein Mensch denkt daran! Vielleicht setzt man eine Regentschaft ein!" „Eine Regentschaft?" rief der Kaiser überrascht. „Warum? Bin ich denn tot? ... In zwei Tagen wäre ich in Frankreich, wenn die Nation mich ruft . . . Glauben Sie, ich tue gut daran, wenn ich zurückkehre?" Der Oberst zögerte, diese bedeutungsvolle Frage zu beantworten. Lag doch das Geschick Frankreichs und noch mehr vielleicht in dem Wörtlein „ja". Endlich aber sprach er es aus und setzte hinzu: „Der Ekel und die Abneigung der Franzosen gegen die Negierung lastet so schwer auf der Nation und der Armee, daß jeder, der sie davon befreien wollte, selbst wenn es nicht Eure Majestät wäre, die Franzosen bereit finden würde, ihm zu folgen." Da bemächtigte sich des Kaisers tiefste Erregung und bald sprach er das entscheidende Wort: „Ich bin dazu entschlossen ... ich werde abreisen!" Soviel mußte wohl erwähnt werden, um die folgenden Bemerkungen über die Länder Europas in ihrer Bedeutung voll zu erfassen. Sie fielen in einer Stunde, da des Kaisers Geist rege war, und alle Schärfe anwandte, um zu klarer Erkenntnis zu gelangen. Daß er aus die Polen und die Grenadiere sich verlassen könne, wußte er. Die alten Marschälle, die er zwar mit Ehren und Reichtümern überhäuft hatte, die aber alt und kampsesüberdrüssig geworden waren, würden wohl tatenlos Grenzboten I 191S 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/253>, abgerufen am 27.09.2024.