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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Wie Napoleon im Jahre ^S^5> über die Länder Europas dachte

1915 jener tollkühnen Landung Napoleons des Ersten an der Küste Frankreichs
gedenken, freilich nicht in der Weise, -- was ja unter anderen Verhältnissen
sicherlich eingehend geschehen würde, -- daß wir untersuchen, wie der Kaiser
seinen Plan ins Werk setzte und warum er so herrlich gelang, sondern wir
wollen nur das herausheben, was Napoleon damals gerade über jene Länder
Europas dachte und urteilte, die heute wieder im Vordergrunde des Interesses
stehen, und wie er überhaupt die damalige Lage Europas betrachtete. An
bemerkenswerten Vergleichen mit unserer Gegenwart wird der aufmerksame
Leser dann mancherlei finden.

Genauer Aufschluß über das Zustandekommen des kühnen Planes Napoleons
finden wir in den 1820 zu London erschienenen Lebenserinnerungen seines
Kabinettssekretärs während der hundert Tage, des Fleury de Chaboulon.
Dieser Vertraute des Kaisers nahm darin auch einen Bericht eines Obersten
P . . . S. . . auf: "Die Geschichte des 20. März 1815." Darin erzählt der
nichtgenannte Oberst seine höchst abenteuerliche Reise nach Elba und deren
Folgen, eben die schleunigste Abreise des Kaisers. Dieser Bericht wurde dem
Fleury de Chaboulon vom Oberst übergeben, als dieser sich zur Armee begab, und
zwar mit dem ausdrücklichen Auftrag, er möge für dessen Veröffentlichung Sorge
tragen, falls ihm etwas zustoße. Und tatsächlich ist der Oberst, wie Chaboulon
anmerkt, in der Schlacht von Waterloo bei Mont-Samt-Jean gefallen. Der
Kaiser selbst war von den, Vorhandensein unseres Schriftstücks unterrichtet,
forderte es von seinein Kabinettssekretär, genehmigte aber die Veröffentlichung
mit den Worten: "Der Oberst hat die Wahrheit gesagt, und nichts als die
Wahrheit!"

Hören wir nnn, was uns daraus zur Jetztzeit interessieren kann*):

Kaum war der Oberst nach Elba gekommen, wurde er vor den Kaiser
geführt und hatte mit ihm verschiedene Unterredungen.

Natürlich boten zunächst die Umstünde, die zur Abdankung des Kaisers
führten, den Gesprächsstoff. Bittere Anklagen schleudert Napoleon gegen den
"Schuft" Marmont und den "von den Verbündeten bestochenen" Talleyrand.
er beklagt den Vertrag von Chatillon, den Ludwig der Achtzehnte am 23. April
1814 unterzeichnet hatte; damit hatte er ja "mit einem Federzug Belgien und
alle seit der Revolution gewonnenen Besitzungen abgetrennt und alle Arsenale,
die ganze Flotte, die Lagerhäuser, die Artillerie, ein ungeheures Material, das
er in den Festungen und Häfen aufgespeichert hatte, den Feinden preis¬
gegeben." Er will zeigen, wie sehr damals gesündigt wurde, und will den
Engländern, Russen und Österreichern "die Maske vom Gesicht reißen", damit
Europa einsehe, "wo damals die Begierde nach Blut und Tollkühnheit herrschte,"
bei ihm oder bei denen, die Frankreich einen solchen Vertrag aufnötigten.



*) Eine Bearbeitung dieses Teiles der Memoiren des Chaboulon wird zu gelegener
Zeit erscheinen.
Wie Napoleon im Jahre ^S^5> über die Länder Europas dachte

1915 jener tollkühnen Landung Napoleons des Ersten an der Küste Frankreichs
gedenken, freilich nicht in der Weise, — was ja unter anderen Verhältnissen
sicherlich eingehend geschehen würde, — daß wir untersuchen, wie der Kaiser
seinen Plan ins Werk setzte und warum er so herrlich gelang, sondern wir
wollen nur das herausheben, was Napoleon damals gerade über jene Länder
Europas dachte und urteilte, die heute wieder im Vordergrunde des Interesses
stehen, und wie er überhaupt die damalige Lage Europas betrachtete. An
bemerkenswerten Vergleichen mit unserer Gegenwart wird der aufmerksame
Leser dann mancherlei finden.

Genauer Aufschluß über das Zustandekommen des kühnen Planes Napoleons
finden wir in den 1820 zu London erschienenen Lebenserinnerungen seines
Kabinettssekretärs während der hundert Tage, des Fleury de Chaboulon.
Dieser Vertraute des Kaisers nahm darin auch einen Bericht eines Obersten
P . . . S. . . auf: „Die Geschichte des 20. März 1815." Darin erzählt der
nichtgenannte Oberst seine höchst abenteuerliche Reise nach Elba und deren
Folgen, eben die schleunigste Abreise des Kaisers. Dieser Bericht wurde dem
Fleury de Chaboulon vom Oberst übergeben, als dieser sich zur Armee begab, und
zwar mit dem ausdrücklichen Auftrag, er möge für dessen Veröffentlichung Sorge
tragen, falls ihm etwas zustoße. Und tatsächlich ist der Oberst, wie Chaboulon
anmerkt, in der Schlacht von Waterloo bei Mont-Samt-Jean gefallen. Der
Kaiser selbst war von den, Vorhandensein unseres Schriftstücks unterrichtet,
forderte es von seinein Kabinettssekretär, genehmigte aber die Veröffentlichung
mit den Worten: „Der Oberst hat die Wahrheit gesagt, und nichts als die
Wahrheit!"

Hören wir nnn, was uns daraus zur Jetztzeit interessieren kann*):

Kaum war der Oberst nach Elba gekommen, wurde er vor den Kaiser
geführt und hatte mit ihm verschiedene Unterredungen.

Natürlich boten zunächst die Umstünde, die zur Abdankung des Kaisers
führten, den Gesprächsstoff. Bittere Anklagen schleudert Napoleon gegen den
„Schuft" Marmont und den „von den Verbündeten bestochenen" Talleyrand.
er beklagt den Vertrag von Chatillon, den Ludwig der Achtzehnte am 23. April
1814 unterzeichnet hatte; damit hatte er ja „mit einem Federzug Belgien und
alle seit der Revolution gewonnenen Besitzungen abgetrennt und alle Arsenale,
die ganze Flotte, die Lagerhäuser, die Artillerie, ein ungeheures Material, das
er in den Festungen und Häfen aufgespeichert hatte, den Feinden preis¬
gegeben." Er will zeigen, wie sehr damals gesündigt wurde, und will den
Engländern, Russen und Österreichern „die Maske vom Gesicht reißen", damit
Europa einsehe, „wo damals die Begierde nach Blut und Tollkühnheit herrschte,"
bei ihm oder bei denen, die Frankreich einen solchen Vertrag aufnötigten.



*) Eine Bearbeitung dieses Teiles der Memoiren des Chaboulon wird zu gelegener
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/252>, abgerufen am 27.09.2024.