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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Die litauisch-baltische Frage

Doch die ganze Kolonialgeschichte Englands straft es Lügen. Allmählich ist den
Völkern ein Licht über die Treulosigkeit und Unwahrhaftigkeit Englands auf¬
gegangen.

Wenn nun die Weltmission, die England zu haben vorgab, an Deutschland
übergehen muß, so sollte dieses die Protektion über die kleineren Völkerschaften
gerne übernehmen. Und die Welt erwartet von ihm, daß es mit Gerechtigkeit
verfahren und die von der Vorsehung geschaffenen Nationalitäten in ihrem
Bestände zu schützen, zu erhalten und ihre Rechte machtvoll zu unterstreichen
bestrebt sein wird. Dafür wird es den Dank und die Achtung der ganzen Welt
ernten und der deutsche Name wird allenthalben einen freudigen Widerhall
finden.

Das bisher russische Litauen mit einem Flächeninhalt von etwa 1500 Quadrat¬
meilen und mit etwa 3 300000 Bewohnern, von denen mindestens 2 Millionen*)
sich der litauischen Sprache bedienen, ist wie dazu geschaffen, ein besonderes
staatliches Gebilde, einen Keil (Pufferstaat) zwischen der germanischen
und slawischen Welt darzustellen. Es besitzt mehrere größere stable,
hat eine ertragreiche Landwirtschaft, auch Anlage zur Entwicklung von In¬
dustrie, und bietet so gute Garantien für eine segensreiche wirtschaftliche
Zukunft.

Die Provinz Ostpreußen und ihre Städte brauchen notwendig ein Hinterland,
um mit diesem Handelsbeziehungen zu unterhalten und in regen wirtschaftlichen
Verkehr zu treten. Besonders in anbetracht der großen Schäden, die der Krieg
über Ostpreußen gebracht hat, bildet für diese Provinz die Schaffung eines
Hinterlandes, dessen Grenzen nicht mehr wie bisher eine fast undurchdringliche
Wand bilden werden, die Lebensfrage.

Die Befürchtung, daß die preußischen Litauer sich einem derartigen
litauischen Staatsgebilde würden anzuschließen wünschen, ist völlig unbegründet.
Die preußischen Litauer haben -- das ist jedem Kenner dieses Volksstammes
ganz klar -- nicht die mindeste Lust, einem anderen Staate, einer anderen
Verwaltung, als gerade der preußisch - deutschen anzugehören. Sie leben in
gutem Wohlstande, sind dankbar für die nutzbringende Fürsorge des preußischen
Staates und würden ihre gegenwärtige, hochentwickelte wirtschaftliche Lage
nimmer gegen eine zweifelhafte Zukunft eintauschen wollen. Auch ist die
preußisch-litauische Bevölkerung in dem von ihr bewohnten Gebiet so stark von
Deutschen durchsetzt, daß sie nur in den nördlichsten Kreisen Memel und Heude-
krug etwa die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmachen dürfte. Es ist auch
für alle Zukunft, wenn ein litauisches Staatswesen an der preußisch-litauischen



*) Manche Statistiker geben die Anzahl der Litauer in Rußland mit 3 Millionen an;
und sie dürfen recht haben, wenn man nämlich die Litauer der dem eigentlichen Litauen
benachbarten Gouvernements Grodno, Storia, Witebsk, Räzica und die bereits stark polonisierten,
russisizierten und lettifizicrten Litauer, die nach einer Umwälzung der politische" Verhältnisse
zur Sprache ihrer Väter zurückkehren dürften, mitzählt.
Die litauisch-baltische Frage

Doch die ganze Kolonialgeschichte Englands straft es Lügen. Allmählich ist den
Völkern ein Licht über die Treulosigkeit und Unwahrhaftigkeit Englands auf¬
gegangen.

Wenn nun die Weltmission, die England zu haben vorgab, an Deutschland
übergehen muß, so sollte dieses die Protektion über die kleineren Völkerschaften
gerne übernehmen. Und die Welt erwartet von ihm, daß es mit Gerechtigkeit
verfahren und die von der Vorsehung geschaffenen Nationalitäten in ihrem
Bestände zu schützen, zu erhalten und ihre Rechte machtvoll zu unterstreichen
bestrebt sein wird. Dafür wird es den Dank und die Achtung der ganzen Welt
ernten und der deutsche Name wird allenthalben einen freudigen Widerhall
finden.

Das bisher russische Litauen mit einem Flächeninhalt von etwa 1500 Quadrat¬
meilen und mit etwa 3 300000 Bewohnern, von denen mindestens 2 Millionen*)
sich der litauischen Sprache bedienen, ist wie dazu geschaffen, ein besonderes
staatliches Gebilde, einen Keil (Pufferstaat) zwischen der germanischen
und slawischen Welt darzustellen. Es besitzt mehrere größere stable,
hat eine ertragreiche Landwirtschaft, auch Anlage zur Entwicklung von In¬
dustrie, und bietet so gute Garantien für eine segensreiche wirtschaftliche
Zukunft.

Die Provinz Ostpreußen und ihre Städte brauchen notwendig ein Hinterland,
um mit diesem Handelsbeziehungen zu unterhalten und in regen wirtschaftlichen
Verkehr zu treten. Besonders in anbetracht der großen Schäden, die der Krieg
über Ostpreußen gebracht hat, bildet für diese Provinz die Schaffung eines
Hinterlandes, dessen Grenzen nicht mehr wie bisher eine fast undurchdringliche
Wand bilden werden, die Lebensfrage.

Die Befürchtung, daß die preußischen Litauer sich einem derartigen
litauischen Staatsgebilde würden anzuschließen wünschen, ist völlig unbegründet.
Die preußischen Litauer haben — das ist jedem Kenner dieses Volksstammes
ganz klar — nicht die mindeste Lust, einem anderen Staate, einer anderen
Verwaltung, als gerade der preußisch - deutschen anzugehören. Sie leben in
gutem Wohlstande, sind dankbar für die nutzbringende Fürsorge des preußischen
Staates und würden ihre gegenwärtige, hochentwickelte wirtschaftliche Lage
nimmer gegen eine zweifelhafte Zukunft eintauschen wollen. Auch ist die
preußisch-litauische Bevölkerung in dem von ihr bewohnten Gebiet so stark von
Deutschen durchsetzt, daß sie nur in den nördlichsten Kreisen Memel und Heude-
krug etwa die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmachen dürfte. Es ist auch
für alle Zukunft, wenn ein litauisches Staatswesen an der preußisch-litauischen



*) Manche Statistiker geben die Anzahl der Litauer in Rußland mit 3 Millionen an;
und sie dürfen recht haben, wenn man nämlich die Litauer der dem eigentlichen Litauen
benachbarten Gouvernements Grodno, Storia, Witebsk, Räzica und die bereits stark polonisierten,
russisizierten und lettifizicrten Litauer, die nach einer Umwälzung der politische» Verhältnisse
zur Sprache ihrer Väter zurückkehren dürften, mitzählt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/249>, abgerufen am 27.09.2024.