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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Auch wir besitzen unleugbar in Holland aufrichtige Freunde: Militärs vor
allem, Politiker und Wirtschaftler, vielleicht auch Finanzleute, Reeber, Gro߬
kaufleute. Diese fürchten sich nicht, ihre Meinung offen zu äußern und Holland
den Spiegel der Wahrheit vorzuhalten. Aber alle die in gerechter Anerkennung
unsres Verhaltens und unseres Könnens verfaßten, gewiß willkommenen Schriften
und Reden der Colyn, Staat, Van Houten, Vatters und anderer, sind zu tech¬
nischer Natur, um auf das Volk einzuwirken. Nur optimistisch urteilende
Männer können der Meinung sein, daß derartige Äußerungen und Schriften
ein Anzeichen von beginnender besserer Stimmung im deutschfreundlichen
Sinne sind. Nun könnte sich wohl in kürzester Zeit eine Änderung im
Verhalten der Niederlande vollziehen, von der die Holländer wahrscheinlich zur
Stunde selbst noch nichts wissen. Immer drückender fühlt Holland seine Fesseln
nach innen und außen. Es ist keine Kleinigkeit, ein Heer wahrscheinlich auf
lange Zeit hinaus uuter Waffen zu halten, das so gut wie das Volk selbst
ernährt sein will. Es ist mehr als bezeichnend, daß die Kriegsanleihe nur mit
Ach und Krach untergebracht werden konnte, denn es ist damit der sehnliche
Wunsch des Volkes zum Ausdruck gebracht, dem Hangen und Bangen endlich
ein Ende gemacht zu sehen. Man beginnt darüber nachzudenken, daß alles,
was bisher England zum Schaden der Neutralen zur See unternahm, ein
Kinderspiel war gegen das, was nach dem 18. Februar kommen muß, wenn
wir England und Frankreich in die Schranken einer "kair pia^" Politik und
in diejenigen des allgemeinen Seerechts zurückweisen werden. Bricht das Aus¬
hungerungssystem, das sich England auf der Grundlage völlig falscher Voraus¬
setzungen gegen uns erlauben wollte, durch unsere Blockadetaktik in sich selbst
zusammen, so wird auch Holland nicht unberührt davon bleiben, und auch
dort werden Kartoffeln und Kohlen teuer, ja unerschwinglich werden. Ferner
quält Holland der Gedanke, wie das künftige Belgien aussehen wird, beziehungs¬
weise, ob es ein solches noch geben wird? Wie wird sich die vlämische Frage
politisch gestalten? Aus dem Nebel der Gegenwart sieht Holland noch nicht den
unbewölkter Himmel einer lichten Zukunft winken. Es mag einsehen, daß die
Regierenden sich nicht immer nach der Volksseele richten können, deren Liebe
und Abneigung spontanen Regungen unterliegt. Holland wollte bis vor kurzem
den schlauen Kaufmann spielen und entwarf seine Konjunkturen. Sie liefen
weniger auf ein späteres politisches als auf ein handelspolitisches Verhältnis
mit den übrigen Mächten hinaus. Bis in die jüngste Zeit hinein glaubte es
annehmen zu können, daß die Dreiverbandsmächte, wenn auch nicht siegen,
doch zu einem Frieden mit Deutschland gelangen würden, der für uns mehr
oder weniger eine halb zugegebene Niederlage gewesen wäre, insofern, als die
Diplomatie nicht imstande sein würde das auszubauen, was durch das
Schwert errungen wurde. Es glaubte, es würde eine Zeit wie nach 1870
kommen, als Holland in unserem Gefolge glänzende Geschäfte machte. Dieses
Spiel hätte sich vielleicht jetzt mit unserer Gegenpartei erneuern können. Mit jedem


Auch wir besitzen unleugbar in Holland aufrichtige Freunde: Militärs vor
allem, Politiker und Wirtschaftler, vielleicht auch Finanzleute, Reeber, Gro߬
kaufleute. Diese fürchten sich nicht, ihre Meinung offen zu äußern und Holland
den Spiegel der Wahrheit vorzuhalten. Aber alle die in gerechter Anerkennung
unsres Verhaltens und unseres Könnens verfaßten, gewiß willkommenen Schriften
und Reden der Colyn, Staat, Van Houten, Vatters und anderer, sind zu tech¬
nischer Natur, um auf das Volk einzuwirken. Nur optimistisch urteilende
Männer können der Meinung sein, daß derartige Äußerungen und Schriften
ein Anzeichen von beginnender besserer Stimmung im deutschfreundlichen
Sinne sind. Nun könnte sich wohl in kürzester Zeit eine Änderung im
Verhalten der Niederlande vollziehen, von der die Holländer wahrscheinlich zur
Stunde selbst noch nichts wissen. Immer drückender fühlt Holland seine Fesseln
nach innen und außen. Es ist keine Kleinigkeit, ein Heer wahrscheinlich auf
lange Zeit hinaus uuter Waffen zu halten, das so gut wie das Volk selbst
ernährt sein will. Es ist mehr als bezeichnend, daß die Kriegsanleihe nur mit
Ach und Krach untergebracht werden konnte, denn es ist damit der sehnliche
Wunsch des Volkes zum Ausdruck gebracht, dem Hangen und Bangen endlich
ein Ende gemacht zu sehen. Man beginnt darüber nachzudenken, daß alles,
was bisher England zum Schaden der Neutralen zur See unternahm, ein
Kinderspiel war gegen das, was nach dem 18. Februar kommen muß, wenn
wir England und Frankreich in die Schranken einer „kair pia^" Politik und
in diejenigen des allgemeinen Seerechts zurückweisen werden. Bricht das Aus¬
hungerungssystem, das sich England auf der Grundlage völlig falscher Voraus¬
setzungen gegen uns erlauben wollte, durch unsere Blockadetaktik in sich selbst
zusammen, so wird auch Holland nicht unberührt davon bleiben, und auch
dort werden Kartoffeln und Kohlen teuer, ja unerschwinglich werden. Ferner
quält Holland der Gedanke, wie das künftige Belgien aussehen wird, beziehungs¬
weise, ob es ein solches noch geben wird? Wie wird sich die vlämische Frage
politisch gestalten? Aus dem Nebel der Gegenwart sieht Holland noch nicht den
unbewölkter Himmel einer lichten Zukunft winken. Es mag einsehen, daß die
Regierenden sich nicht immer nach der Volksseele richten können, deren Liebe
und Abneigung spontanen Regungen unterliegt. Holland wollte bis vor kurzem
den schlauen Kaufmann spielen und entwarf seine Konjunkturen. Sie liefen
weniger auf ein späteres politisches als auf ein handelspolitisches Verhältnis
mit den übrigen Mächten hinaus. Bis in die jüngste Zeit hinein glaubte es
annehmen zu können, daß die Dreiverbandsmächte, wenn auch nicht siegen,
doch zu einem Frieden mit Deutschland gelangen würden, der für uns mehr
oder weniger eine halb zugegebene Niederlage gewesen wäre, insofern, als die
Diplomatie nicht imstande sein würde das auszubauen, was durch das
Schwert errungen wurde. Es glaubte, es würde eine Zeit wie nach 1870
kommen, als Holland in unserem Gefolge glänzende Geschäfte machte. Dieses
Spiel hätte sich vielleicht jetzt mit unserer Gegenpartei erneuern können. Mit jedem


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[0229] Auch wir besitzen unleugbar in Holland aufrichtige Freunde: Militärs vor allem, Politiker und Wirtschaftler, vielleicht auch Finanzleute, Reeber, Gro߬ kaufleute. Diese fürchten sich nicht, ihre Meinung offen zu äußern und Holland den Spiegel der Wahrheit vorzuhalten. Aber alle die in gerechter Anerkennung unsres Verhaltens und unseres Könnens verfaßten, gewiß willkommenen Schriften und Reden der Colyn, Staat, Van Houten, Vatters und anderer, sind zu tech¬ nischer Natur, um auf das Volk einzuwirken. Nur optimistisch urteilende Männer können der Meinung sein, daß derartige Äußerungen und Schriften ein Anzeichen von beginnender besserer Stimmung im deutschfreundlichen Sinne sind. Nun könnte sich wohl in kürzester Zeit eine Änderung im Verhalten der Niederlande vollziehen, von der die Holländer wahrscheinlich zur Stunde selbst noch nichts wissen. Immer drückender fühlt Holland seine Fesseln nach innen und außen. Es ist keine Kleinigkeit, ein Heer wahrscheinlich auf lange Zeit hinaus uuter Waffen zu halten, das so gut wie das Volk selbst ernährt sein will. Es ist mehr als bezeichnend, daß die Kriegsanleihe nur mit Ach und Krach untergebracht werden konnte, denn es ist damit der sehnliche Wunsch des Volkes zum Ausdruck gebracht, dem Hangen und Bangen endlich ein Ende gemacht zu sehen. Man beginnt darüber nachzudenken, daß alles, was bisher England zum Schaden der Neutralen zur See unternahm, ein Kinderspiel war gegen das, was nach dem 18. Februar kommen muß, wenn wir England und Frankreich in die Schranken einer „kair pia^" Politik und in diejenigen des allgemeinen Seerechts zurückweisen werden. Bricht das Aus¬ hungerungssystem, das sich England auf der Grundlage völlig falscher Voraus¬ setzungen gegen uns erlauben wollte, durch unsere Blockadetaktik in sich selbst zusammen, so wird auch Holland nicht unberührt davon bleiben, und auch dort werden Kartoffeln und Kohlen teuer, ja unerschwinglich werden. Ferner quält Holland der Gedanke, wie das künftige Belgien aussehen wird, beziehungs¬ weise, ob es ein solches noch geben wird? Wie wird sich die vlämische Frage politisch gestalten? Aus dem Nebel der Gegenwart sieht Holland noch nicht den unbewölkter Himmel einer lichten Zukunft winken. Es mag einsehen, daß die Regierenden sich nicht immer nach der Volksseele richten können, deren Liebe und Abneigung spontanen Regungen unterliegt. Holland wollte bis vor kurzem den schlauen Kaufmann spielen und entwarf seine Konjunkturen. Sie liefen weniger auf ein späteres politisches als auf ein handelspolitisches Verhältnis mit den übrigen Mächten hinaus. Bis in die jüngste Zeit hinein glaubte es annehmen zu können, daß die Dreiverbandsmächte, wenn auch nicht siegen, doch zu einem Frieden mit Deutschland gelangen würden, der für uns mehr oder weniger eine halb zugegebene Niederlage gewesen wäre, insofern, als die Diplomatie nicht imstande sein würde das auszubauen, was durch das Schwert errungen wurde. Es glaubte, es würde eine Zeit wie nach 1870 kommen, als Holland in unserem Gefolge glänzende Geschäfte machte. Dieses Spiel hätte sich vielleicht jetzt mit unserer Gegenpartei erneuern können. Mit jedem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/229>, abgerufen am 27.09.2024.