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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Das alte und das neue Blockaderecht

jenes Erlasses, den die Neutralen, vielleicht nach Absendung der üblichen papiernen
Proteste, tatsächlich hingenommen haben. Auch im Kriegsrecht gilt der Satz:
"Was dem einen recht ist, ist dem andern billig." Was. wenn es England
tut, recht ist, kann nicht, wenn es Deutschland tut, unrecht sein. "Wie England
das Gebiet zwischen Schottland und Norwegen als Kriegsschauplatz bezeichnet
hat. so bezeichnet Deutschland die Gewässer ringsum von Großbritannien und
Irland mit Einschluß des gesamten Englischen Kanals als Kriegsschauplatz."
(Deutsche Denkschrift vom 4. Februar 1915.) Es kann sich dabei noch zum
Überfluß auf das Zeugnis des Marin emitarbeiters der Times berufen, der am
20. Oktober 1914 schrieb: "Es liegt vollkommen innerhalb der Rechtsbefugnisse
der Kriegführenden, der neutralen Schiffahrt solche Seegebiete zu verschließen,
in denen militärische Operationen ausgeführt werden." Ein Neutraler, der die
englische Nordseesperrung duldet, aber die deutsche Gefährdungserklärung bekämpft,
kann füglich nicht darauf rechnen, daß seine Einwendungen beachtet werden.

Dabei bleibt, was nicht übersehen werden sollte, die deutsche Warnung an
Schärfe weit hinter der englischen zurück. Sie bezieht sich zunächst auf ein
wesentlich kleineres Gebiet. Sie gewährt sodann eine hinreichende Zeit, inner¬
halb deren die neutralen Schiffe ihre Maßnahmen zur Vermeidung der Gefahr¬
zone in aller Ruhe treffen können. Und sie erklärt endlich mit aller Be¬
stimmtheit, daß neutrale Schiffe keinesfalls absichtlich angegriffen werden sollen.

Diese Zusage kann natürlich nur für solche Schiffe gelten, welche als
neutrale erkennbar sind. Diese Erkennbarkeit ist allerdings durch den englischen
Geheimerlaß in hohem Grade erschwert, jenen Erlaß, dessen Übereinstimmung
mit dem internationalen Seerecht England dadurch zu beweisen sucht, daß er
in Englands nationalem Seerecht einen Anhalt findet. Mag England allen
Schiffen der Welt zum Schutz vor der Erbeutung die Führung seiner Flagge
gestatten -- die Frage, ob englische Schiffe die Flaggen anderer Staaten führen
dürfen, bestimmt sich nicht nach dem englischen, sondern nach dem Recht der
nichtenglischen Staaten. Ein Beispiel für viele: das deutsche Flaggengesetz stellt
die Führung der Neichsflagge durch ein nichtdeutsches Schiff, sei es im Inlande.
sei es im Auslande, sei es auf hoher See, unter Strafe; der Kapitän wird
mit Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder mit Gefängnisstrafe bis zu
sechs Monaten bestraft, und außerdem kann auf Einziehung des Schiffes erkannt
werden. Im Völkerrecht findet mithin der englische Geheim erlaß keine Stütze.
Wenn ihn aber die neutralen Staaten mit der in diesem Kriege England gegenüber
stets bewiesenen Lammesgeduld tatenlos hinnehmen und also englischen Handels¬
schiffen dazu Beihilfe leisten, den Folgen der englischen Eigenschaft zu entgehen,
dann ist Deutschland, das dem unverfänglichen neutralen Handel eine freie Bahn
bezeichnet hat, berechtigt, zu vermuten, daß jedes in den englischen Gewässern
betroffene Kauffahrteischiff feindlich ist, und dementsprechend zu handeln.




Das alte und das neue Blockaderecht

jenes Erlasses, den die Neutralen, vielleicht nach Absendung der üblichen papiernen
Proteste, tatsächlich hingenommen haben. Auch im Kriegsrecht gilt der Satz:
„Was dem einen recht ist, ist dem andern billig." Was. wenn es England
tut, recht ist, kann nicht, wenn es Deutschland tut, unrecht sein. „Wie England
das Gebiet zwischen Schottland und Norwegen als Kriegsschauplatz bezeichnet
hat. so bezeichnet Deutschland die Gewässer ringsum von Großbritannien und
Irland mit Einschluß des gesamten Englischen Kanals als Kriegsschauplatz."
(Deutsche Denkschrift vom 4. Februar 1915.) Es kann sich dabei noch zum
Überfluß auf das Zeugnis des Marin emitarbeiters der Times berufen, der am
20. Oktober 1914 schrieb: „Es liegt vollkommen innerhalb der Rechtsbefugnisse
der Kriegführenden, der neutralen Schiffahrt solche Seegebiete zu verschließen,
in denen militärische Operationen ausgeführt werden." Ein Neutraler, der die
englische Nordseesperrung duldet, aber die deutsche Gefährdungserklärung bekämpft,
kann füglich nicht darauf rechnen, daß seine Einwendungen beachtet werden.

Dabei bleibt, was nicht übersehen werden sollte, die deutsche Warnung an
Schärfe weit hinter der englischen zurück. Sie bezieht sich zunächst auf ein
wesentlich kleineres Gebiet. Sie gewährt sodann eine hinreichende Zeit, inner¬
halb deren die neutralen Schiffe ihre Maßnahmen zur Vermeidung der Gefahr¬
zone in aller Ruhe treffen können. Und sie erklärt endlich mit aller Be¬
stimmtheit, daß neutrale Schiffe keinesfalls absichtlich angegriffen werden sollen.

Diese Zusage kann natürlich nur für solche Schiffe gelten, welche als
neutrale erkennbar sind. Diese Erkennbarkeit ist allerdings durch den englischen
Geheimerlaß in hohem Grade erschwert, jenen Erlaß, dessen Übereinstimmung
mit dem internationalen Seerecht England dadurch zu beweisen sucht, daß er
in Englands nationalem Seerecht einen Anhalt findet. Mag England allen
Schiffen der Welt zum Schutz vor der Erbeutung die Führung seiner Flagge
gestatten — die Frage, ob englische Schiffe die Flaggen anderer Staaten führen
dürfen, bestimmt sich nicht nach dem englischen, sondern nach dem Recht der
nichtenglischen Staaten. Ein Beispiel für viele: das deutsche Flaggengesetz stellt
die Führung der Neichsflagge durch ein nichtdeutsches Schiff, sei es im Inlande.
sei es im Auslande, sei es auf hoher See, unter Strafe; der Kapitän wird
mit Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder mit Gefängnisstrafe bis zu
sechs Monaten bestraft, und außerdem kann auf Einziehung des Schiffes erkannt
werden. Im Völkerrecht findet mithin der englische Geheim erlaß keine Stütze.
Wenn ihn aber die neutralen Staaten mit der in diesem Kriege England gegenüber
stets bewiesenen Lammesgeduld tatenlos hinnehmen und also englischen Handels¬
schiffen dazu Beihilfe leisten, den Folgen der englischen Eigenschaft zu entgehen,
dann ist Deutschland, das dem unverfänglichen neutralen Handel eine freie Bahn
bezeichnet hat, berechtigt, zu vermuten, daß jedes in den englischen Gewässern
betroffene Kauffahrteischiff feindlich ist, und dementsprechend zu handeln.




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[0215] Das alte und das neue Blockaderecht jenes Erlasses, den die Neutralen, vielleicht nach Absendung der üblichen papiernen Proteste, tatsächlich hingenommen haben. Auch im Kriegsrecht gilt der Satz: „Was dem einen recht ist, ist dem andern billig." Was. wenn es England tut, recht ist, kann nicht, wenn es Deutschland tut, unrecht sein. „Wie England das Gebiet zwischen Schottland und Norwegen als Kriegsschauplatz bezeichnet hat. so bezeichnet Deutschland die Gewässer ringsum von Großbritannien und Irland mit Einschluß des gesamten Englischen Kanals als Kriegsschauplatz." (Deutsche Denkschrift vom 4. Februar 1915.) Es kann sich dabei noch zum Überfluß auf das Zeugnis des Marin emitarbeiters der Times berufen, der am 20. Oktober 1914 schrieb: „Es liegt vollkommen innerhalb der Rechtsbefugnisse der Kriegführenden, der neutralen Schiffahrt solche Seegebiete zu verschließen, in denen militärische Operationen ausgeführt werden." Ein Neutraler, der die englische Nordseesperrung duldet, aber die deutsche Gefährdungserklärung bekämpft, kann füglich nicht darauf rechnen, daß seine Einwendungen beachtet werden. Dabei bleibt, was nicht übersehen werden sollte, die deutsche Warnung an Schärfe weit hinter der englischen zurück. Sie bezieht sich zunächst auf ein wesentlich kleineres Gebiet. Sie gewährt sodann eine hinreichende Zeit, inner¬ halb deren die neutralen Schiffe ihre Maßnahmen zur Vermeidung der Gefahr¬ zone in aller Ruhe treffen können. Und sie erklärt endlich mit aller Be¬ stimmtheit, daß neutrale Schiffe keinesfalls absichtlich angegriffen werden sollen. Diese Zusage kann natürlich nur für solche Schiffe gelten, welche als neutrale erkennbar sind. Diese Erkennbarkeit ist allerdings durch den englischen Geheimerlaß in hohem Grade erschwert, jenen Erlaß, dessen Übereinstimmung mit dem internationalen Seerecht England dadurch zu beweisen sucht, daß er in Englands nationalem Seerecht einen Anhalt findet. Mag England allen Schiffen der Welt zum Schutz vor der Erbeutung die Führung seiner Flagge gestatten — die Frage, ob englische Schiffe die Flaggen anderer Staaten führen dürfen, bestimmt sich nicht nach dem englischen, sondern nach dem Recht der nichtenglischen Staaten. Ein Beispiel für viele: das deutsche Flaggengesetz stellt die Führung der Neichsflagge durch ein nichtdeutsches Schiff, sei es im Inlande. sei es im Auslande, sei es auf hoher See, unter Strafe; der Kapitän wird mit Geldstrafe bis zu fünfzehnhundert Mark oder mit Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten bestraft, und außerdem kann auf Einziehung des Schiffes erkannt werden. Im Völkerrecht findet mithin der englische Geheim erlaß keine Stütze. Wenn ihn aber die neutralen Staaten mit der in diesem Kriege England gegenüber stets bewiesenen Lammesgeduld tatenlos hinnehmen und also englischen Handels¬ schiffen dazu Beihilfe leisten, den Folgen der englischen Eigenschaft zu entgehen, dann ist Deutschland, das dem unverfänglichen neutralen Handel eine freie Bahn bezeichnet hat, berechtigt, zu vermuten, daß jedes in den englischen Gewässern betroffene Kauffahrteischiff feindlich ist, und dementsprechend zu handeln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/215>, abgerufen am 27.09.2024.