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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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kriegerische Volkspoesie

Humor aufzubringen vermögen. Vielmehr finden wir oft eine Plastik ver
Schilderung, deren sich selbst große Dichter nicht zu schämen brauchten. Man
höre beispielsweise den folgenden Sang, den ich dichterisch für ganz außer"
ordentlich halte:

Kameraden, was tuts denn so brausen
Übers Feld, daß die Leute ergrausen
Und meinenS, die Welt geht zu End?
Da ist ja kein Donnern und Blitzen
Das seins ja mit ihren Geschützen
Die vom Arlillerieregiment.
Die Fahrenden lupfts wie die Flöhe,
Auf der Protze, da hauts in die Höhe
Im Galopp jeden Mann einen Schuh:
Heringegen die Reitende sitzet,
Wenn der Dreck und die Funken aufspritztet,
Im Sattel und lcichets dazu.
Hurra hoch! wenn wir kommen geprasselt
Auf den Feind, daß es donnert und rasselt,
Einen Ruck -- und auf einmal wirds still.
Aber dann gehts los wie der Teifel,
Und es fragens den Feind, -- hast ein Zweifel? --
Die Kanonen mit lautem Gebrüll.
Und wir säumens nicht lang und wir schmeißen
An den Kopf ihm das glühende Eisen,
Bis er winselnd sinkt in die Knie.
Hurra hoch! und die Schlacht ist gewonnen!
Das macht halt mit ihren Kanonen
Die reitende Artillerie!

Es ist nur selbstverständlich, daß diese Lieder getreulich die ganze Soldatenwelt
ihrer Zeit widerspiegeln. Da wird mit vielem Humor das Leben in den
Kasernen, im Manöver, im Quartier besungen, da gibt es Rekruten-, Grenadier-
und Musketierlieder, selbst der Neservemann stimmt in das allgemeine Singen
mit ein. Sollte nach Jahrtausenden nichts vom 19. Jahrhundert übrig geblieben
sein als seine Soldatenpoesie, so würde doch der dann lebende Kulturhistoriker
sich von dem ganzen Kriegswesen unserer Zeit, seiner Organisation, Taktik und
Strategie, eine gute Vorstellung machen können, und der Historiker würde auch
ein Stückchen Kriegsgeschichte schreiben können, weil die Lieder auch von Helden
und Schlachten singen, von Napoleon dem "Erzkujon" und "Schustergesellen",
von Herzog Öls und General Wrede (1812), von den Düppelschanzen und von
dem Ringen auf Sedans Höhen. Die Zahl der Lieder ist Legion und es gibt
keinen Dialekt und kein Platt in deutschen Landen, in dem es nicht auch
Soldatenlieder gäbe. Der Frieden schafft diese Poesie ebenso wie der Krieg und
nur einen Augenblick gibt es, wo der Krieger all seine schönen Lieder vergißt,
das ist die große Stunde der Erregung, wie wir sie in den ersten Augusttagen
des vergangenen Jahres erlebt haben, die Stunde der Absage an den Feind
und der großen Zusage an das Vaterland. Dann verschwinden mit einem
Schlage all die Schwalangscher-, Musketier-, Kanonier- und Jägerlieder, da denkt
keiner mehr an Kasernen- und Manöoersang, keiner mehr an Regiment und
Waffe, sondern wie im Herzen des Kriegers dann nur für eine Empfindung
Raum ist, so ist auf seinen Lippen auch nur Raum für einen Sang, den Sang
des ganzen Volkes. Die Nationalhymne, obgleich nicht das Lied eines Namen¬
losen, wird in solchen Stunden zur kriegerischen Volkspoesie schlechthin, an ihre
Seite treten alte Lieder wie "Die Wacht am Rhein" oder "Auf, auf zum Kampf!"


kriegerische Volkspoesie

Humor aufzubringen vermögen. Vielmehr finden wir oft eine Plastik ver
Schilderung, deren sich selbst große Dichter nicht zu schämen brauchten. Man
höre beispielsweise den folgenden Sang, den ich dichterisch für ganz außer»
ordentlich halte:

Kameraden, was tuts denn so brausen
Übers Feld, daß die Leute ergrausen
Und meinenS, die Welt geht zu End?
Da ist ja kein Donnern und Blitzen
Das seins ja mit ihren Geschützen
Die vom Arlillerieregiment.
Die Fahrenden lupfts wie die Flöhe,
Auf der Protze, da hauts in die Höhe
Im Galopp jeden Mann einen Schuh:
Heringegen die Reitende sitzet,
Wenn der Dreck und die Funken aufspritztet,
Im Sattel und lcichets dazu.
Hurra hoch! wenn wir kommen geprasselt
Auf den Feind, daß es donnert und rasselt,
Einen Ruck — und auf einmal wirds still.
Aber dann gehts los wie der Teifel,
Und es fragens den Feind, — hast ein Zweifel? —
Die Kanonen mit lautem Gebrüll.
Und wir säumens nicht lang und wir schmeißen
An den Kopf ihm das glühende Eisen,
Bis er winselnd sinkt in die Knie.
Hurra hoch! und die Schlacht ist gewonnen!
Das macht halt mit ihren Kanonen
Die reitende Artillerie!

Es ist nur selbstverständlich, daß diese Lieder getreulich die ganze Soldatenwelt
ihrer Zeit widerspiegeln. Da wird mit vielem Humor das Leben in den
Kasernen, im Manöver, im Quartier besungen, da gibt es Rekruten-, Grenadier-
und Musketierlieder, selbst der Neservemann stimmt in das allgemeine Singen
mit ein. Sollte nach Jahrtausenden nichts vom 19. Jahrhundert übrig geblieben
sein als seine Soldatenpoesie, so würde doch der dann lebende Kulturhistoriker
sich von dem ganzen Kriegswesen unserer Zeit, seiner Organisation, Taktik und
Strategie, eine gute Vorstellung machen können, und der Historiker würde auch
ein Stückchen Kriegsgeschichte schreiben können, weil die Lieder auch von Helden
und Schlachten singen, von Napoleon dem „Erzkujon" und „Schustergesellen",
von Herzog Öls und General Wrede (1812), von den Düppelschanzen und von
dem Ringen auf Sedans Höhen. Die Zahl der Lieder ist Legion und es gibt
keinen Dialekt und kein Platt in deutschen Landen, in dem es nicht auch
Soldatenlieder gäbe. Der Frieden schafft diese Poesie ebenso wie der Krieg und
nur einen Augenblick gibt es, wo der Krieger all seine schönen Lieder vergißt,
das ist die große Stunde der Erregung, wie wir sie in den ersten Augusttagen
des vergangenen Jahres erlebt haben, die Stunde der Absage an den Feind
und der großen Zusage an das Vaterland. Dann verschwinden mit einem
Schlage all die Schwalangscher-, Musketier-, Kanonier- und Jägerlieder, da denkt
keiner mehr an Kasernen- und Manöoersang, keiner mehr an Regiment und
Waffe, sondern wie im Herzen des Kriegers dann nur für eine Empfindung
Raum ist, so ist auf seinen Lippen auch nur Raum für einen Sang, den Sang
des ganzen Volkes. Die Nationalhymne, obgleich nicht das Lied eines Namen¬
losen, wird in solchen Stunden zur kriegerischen Volkspoesie schlechthin, an ihre
Seite treten alte Lieder wie „Die Wacht am Rhein" oder „Auf, auf zum Kampf!"


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[0199] kriegerische Volkspoesie Humor aufzubringen vermögen. Vielmehr finden wir oft eine Plastik ver Schilderung, deren sich selbst große Dichter nicht zu schämen brauchten. Man höre beispielsweise den folgenden Sang, den ich dichterisch für ganz außer» ordentlich halte: Kameraden, was tuts denn so brausen Übers Feld, daß die Leute ergrausen Und meinenS, die Welt geht zu End? Da ist ja kein Donnern und Blitzen Das seins ja mit ihren Geschützen Die vom Arlillerieregiment. Die Fahrenden lupfts wie die Flöhe, Auf der Protze, da hauts in die Höhe Im Galopp jeden Mann einen Schuh: Heringegen die Reitende sitzet, Wenn der Dreck und die Funken aufspritztet, Im Sattel und lcichets dazu. Hurra hoch! wenn wir kommen geprasselt Auf den Feind, daß es donnert und rasselt, Einen Ruck — und auf einmal wirds still. Aber dann gehts los wie der Teifel, Und es fragens den Feind, — hast ein Zweifel? — Die Kanonen mit lautem Gebrüll. Und wir säumens nicht lang und wir schmeißen An den Kopf ihm das glühende Eisen, Bis er winselnd sinkt in die Knie. Hurra hoch! und die Schlacht ist gewonnen! Das macht halt mit ihren Kanonen Die reitende Artillerie! Es ist nur selbstverständlich, daß diese Lieder getreulich die ganze Soldatenwelt ihrer Zeit widerspiegeln. Da wird mit vielem Humor das Leben in den Kasernen, im Manöver, im Quartier besungen, da gibt es Rekruten-, Grenadier- und Musketierlieder, selbst der Neservemann stimmt in das allgemeine Singen mit ein. Sollte nach Jahrtausenden nichts vom 19. Jahrhundert übrig geblieben sein als seine Soldatenpoesie, so würde doch der dann lebende Kulturhistoriker sich von dem ganzen Kriegswesen unserer Zeit, seiner Organisation, Taktik und Strategie, eine gute Vorstellung machen können, und der Historiker würde auch ein Stückchen Kriegsgeschichte schreiben können, weil die Lieder auch von Helden und Schlachten singen, von Napoleon dem „Erzkujon" und „Schustergesellen", von Herzog Öls und General Wrede (1812), von den Düppelschanzen und von dem Ringen auf Sedans Höhen. Die Zahl der Lieder ist Legion und es gibt keinen Dialekt und kein Platt in deutschen Landen, in dem es nicht auch Soldatenlieder gäbe. Der Frieden schafft diese Poesie ebenso wie der Krieg und nur einen Augenblick gibt es, wo der Krieger all seine schönen Lieder vergißt, das ist die große Stunde der Erregung, wie wir sie in den ersten Augusttagen des vergangenen Jahres erlebt haben, die Stunde der Absage an den Feind und der großen Zusage an das Vaterland. Dann verschwinden mit einem Schlage all die Schwalangscher-, Musketier-, Kanonier- und Jägerlieder, da denkt keiner mehr an Kasernen- und Manöoersang, keiner mehr an Regiment und Waffe, sondern wie im Herzen des Kriegers dann nur für eine Empfindung Raum ist, so ist auf seinen Lippen auch nur Raum für einen Sang, den Sang des ganzen Volkes. Die Nationalhymne, obgleich nicht das Lied eines Namen¬ losen, wird in solchen Stunden zur kriegerischen Volkspoesie schlechthin, an ihre Seite treten alte Lieder wie „Die Wacht am Rhein" oder „Auf, auf zum Kampf!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/199>, abgerufen am 27.09.2024.