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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Belgiens Neutralität

sogar Gramonts voreilige Erklärung als nachahmenswertes Beispiel für Preußen
hingestellt. Jetzt, nach Zuspitzung der Frage, hielt es sich vorsichtig zurück.

Bismarck machte seinem Unmut darüber gegen Moritz Busch Luft, als er
ihm eine Stelle in der Nationalzeitung zeigte, die besagte, daß die Engländer
einen Angriff auf Belgien nicht dulden würden. "Gut," fagte Bismarck dazu,
"aber waS hilft es den Belgiern, wenn man wartet mit seinem Schutz und
seiner Unterstützung? Wenn, was Gott verhüte, Deutschland erst geschlagen
wäre, würden die Engländer den Belgiern gar nichts nützen können, sondern
froh sein, wenn sie selbst im Lande sicher blieben." Dieser ärgerliche Eindruck
der Haltung Englands wurde bei Bismarck verstärkt durch Meldungen von
größeren wirtschaftlichen Unterstützungen, die England durch Kohlenzufuhr und
Pferdesendungen Frankreich zukommen ließ. Als am 21. Juli Gramont in
einem Rundschreiben an die diplomatischen Vertreter der französischen Regierung
durch Entstellung der preußischen Politik in der Kandidatur Hohenzollern die
öffentliche Meinung des Auslandes, namentlich die Englands, an sich zu reißen
versuchte, entschloß sich Bismarck zu einem Schritt, von dem er sich die weit¬
gehendste Wirkung auf Englands Haltung in jeder Beziehung, auch in der
belgischen Frage versprechen konnte.

Der preußische Gesandte in London, Graf Bernstorff, erhielt von ihm den
Auftrag, der damals deutschfreundlichen Times die Kopie eines Dokumentes zu
übergeben, das sie am 25. Juli unter der Überschrift: "Entwurf eines
französisch-preußischen Vertrags. Von Benedeiti" veröffentlichte. Die Haupt¬
gedanken des diplomatischen Aktenstücks waren folgende: Frankreich bestätigte
Preußen seine Erwerbungen durch den Krieg 1866 und läßt ihm freie Hand
bei der Gestaltung des Norddeutschen Bundes und bei einem Zusammenschluß
des Norddeutschen Bundes mit Süddeutschland. Dafür verspricht Preußen,
Frankreich die Erwerbung Luxemburgs zu erleichtern und eine Eroberung
Belgiens mit seiner gesamten Land- und Seemacht zu unterstützen. Das Bündnis
sollte offensiv und defensiv sein.

Die englische Regierung beeilte sich noch an demselben Tage die Erklärung
abzugeben, daß sie der Veröffentlichung fern stände. Am nächsten Tage erfuhren
die ausländischen Diplomaten in Berlin, Bismarck werde ein Vertragsprojekt
veröffentlichen, das mit jenem in der Times übereinstimme.

Die preußische Presse brachte den Abdruck am 28. Juli. Dem Vertrags¬
entwurf war hier eine Einleitung vorausgeschickt, die einen Überblick über die
französischen Kompensationsforderungen während des Sommers 1866 gab und
die Überreichung des Projeklmanuskripts durch Benedetti in die Zeit der Luxem¬
burger Angelegenheit 1867 verlegte. In einem längeren Schreiben an Bernstorff,
das ebenfalls sogleich veröffentlicht wurde als Antwort auf das Kriegsmanisest
Napoleons vom 23. Juli und auf ein zweites Rundschreiben Gramonts vom
24. Juli, schildert Bismarck noch eingehender die Geschichte der französischen
Kompensationsforderungen, die mit dem Jahre 1862 begannen, und deutet


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Belgiens Neutralität

sogar Gramonts voreilige Erklärung als nachahmenswertes Beispiel für Preußen
hingestellt. Jetzt, nach Zuspitzung der Frage, hielt es sich vorsichtig zurück.

Bismarck machte seinem Unmut darüber gegen Moritz Busch Luft, als er
ihm eine Stelle in der Nationalzeitung zeigte, die besagte, daß die Engländer
einen Angriff auf Belgien nicht dulden würden. „Gut," fagte Bismarck dazu,
„aber waS hilft es den Belgiern, wenn man wartet mit seinem Schutz und
seiner Unterstützung? Wenn, was Gott verhüte, Deutschland erst geschlagen
wäre, würden die Engländer den Belgiern gar nichts nützen können, sondern
froh sein, wenn sie selbst im Lande sicher blieben." Dieser ärgerliche Eindruck
der Haltung Englands wurde bei Bismarck verstärkt durch Meldungen von
größeren wirtschaftlichen Unterstützungen, die England durch Kohlenzufuhr und
Pferdesendungen Frankreich zukommen ließ. Als am 21. Juli Gramont in
einem Rundschreiben an die diplomatischen Vertreter der französischen Regierung
durch Entstellung der preußischen Politik in der Kandidatur Hohenzollern die
öffentliche Meinung des Auslandes, namentlich die Englands, an sich zu reißen
versuchte, entschloß sich Bismarck zu einem Schritt, von dem er sich die weit¬
gehendste Wirkung auf Englands Haltung in jeder Beziehung, auch in der
belgischen Frage versprechen konnte.

Der preußische Gesandte in London, Graf Bernstorff, erhielt von ihm den
Auftrag, der damals deutschfreundlichen Times die Kopie eines Dokumentes zu
übergeben, das sie am 25. Juli unter der Überschrift: „Entwurf eines
französisch-preußischen Vertrags. Von Benedeiti" veröffentlichte. Die Haupt¬
gedanken des diplomatischen Aktenstücks waren folgende: Frankreich bestätigte
Preußen seine Erwerbungen durch den Krieg 1866 und läßt ihm freie Hand
bei der Gestaltung des Norddeutschen Bundes und bei einem Zusammenschluß
des Norddeutschen Bundes mit Süddeutschland. Dafür verspricht Preußen,
Frankreich die Erwerbung Luxemburgs zu erleichtern und eine Eroberung
Belgiens mit seiner gesamten Land- und Seemacht zu unterstützen. Das Bündnis
sollte offensiv und defensiv sein.

Die englische Regierung beeilte sich noch an demselben Tage die Erklärung
abzugeben, daß sie der Veröffentlichung fern stände. Am nächsten Tage erfuhren
die ausländischen Diplomaten in Berlin, Bismarck werde ein Vertragsprojekt
veröffentlichen, das mit jenem in der Times übereinstimme.

Die preußische Presse brachte den Abdruck am 28. Juli. Dem Vertrags¬
entwurf war hier eine Einleitung vorausgeschickt, die einen Überblick über die
französischen Kompensationsforderungen während des Sommers 1866 gab und
die Überreichung des Projeklmanuskripts durch Benedetti in die Zeit der Luxem¬
burger Angelegenheit 1867 verlegte. In einem längeren Schreiben an Bernstorff,
das ebenfalls sogleich veröffentlicht wurde als Antwort auf das Kriegsmanisest
Napoleons vom 23. Juli und auf ein zweites Rundschreiben Gramonts vom
24. Juli, schildert Bismarck noch eingehender die Geschichte der französischen
Kompensationsforderungen, die mit dem Jahre 1862 begannen, und deutet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/143>, abgerufen am 27.09.2024.