Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Vernichtungskrieg und seine Folgen

gehörigen zu schützen? LKarit^ bsZinns at Kome -- sagt der Engländer.
Wenn erst einmal unsere Gegner sehen, daß wir nicht nur die "dummen
Deutschen" sind, daß sich nicht nur "Peitsche auf Deutsche" reimt, wie Börne
so geschmackvoll herausgefunden hat, werden sie klein beigeben, das Rechen-
exempel machen, daß wir viel mehr Staatsangehörige von ihnen in der Hand
haben, als sie von uns, und werden sich dann genau ebenso fügen, wie dies
Frankreich in der Frage der widerrechtlich gefangenen Parlamentäre auf ernst¬
liche Drohung hin getan hat.

Der stärkste Widersacher gegen Vegeltungsmaßregeln ist der deutsche For¬
malismus -- besser gesagt die deutsche Feigheit vor der Macht der Form.
Seit jenen Tagen der übereilten Rezeption des römischen Rechtes, als eine
unserm Empfinden fremde Form die deutschen Rechtsbegriffe knechtete, wo der
Widerstand gegen ihre Anwendung, insbesondere ihre Anwendung zur Regelung
des Grundbesitzes, niederbrach in den Bauernrevolten, hat der Deutsche die
Herrschaft der Form anerkannt, -- er ist ihr Knecht geworden, statt sie zu
beherrschen. Gerade die aus Gelehrtenkreisen stammenden Proteste gegen Ver¬
geltungsmaßnahmen sind nicht unbeeinflußt durch dies Beugen unter die Macht
der Form, durch eine gewisse Angst vor dem einmal Anerkannten, und gar
vor der eigenen Verantwortung einem übernommenen, aber jetzt nicht mehr
angebrachten Moralbegriff gegenüber.

Aber selbst eine rein formale Auffassung würde übrigens speziell in der
Frage der völkerrechtlich verbotenen Geschosse uns Vergeltungsmaßregeln gegen
die gefangenen Offiziere gestatten. Daß die Dum-Dum-Geschosse, um diesen
Sammelnamen zu brauchen, völkerrechtlich verboten sind, weiß auch der jüngste
englische wie französische Leutnant, also auch, daß ihre Anwendung ein Ver¬
brechen darstellt. Dieses Verbrechen fällt aber dem Offizier, der ihm durch
Kommandos und Befehle Vorschub leistet, mit zur Last. Von der moralischen
Stellung eines Offiziers muß man verlangen können, daß er sich weigert, ein
solches Verbrechen zu begehen, und für seine Leute andere Munition ernstlich
fordert. Die gewiß besonders strengen deutschen Vorschriften enthalten die
Bestimmung, daß einem Befehl, der ein Verbrechen fordert, Gehorsam nicht zu
leisten sei. Wir sind also formal wie innerlich völlig berechtigt, die gefangenen
Offiziere, unter deren Befehl das Völkerrecht durch Anwendung von Dum-Dum-
Geschossen verletzt ist, hierfür zur Verantwortung zu ziehen, und verdienter
Strafe zu überliefern.

Die Vergeltungsmaßrcgeln des deutschen Staates würden sich nach obigen
Ausführungen nach drei Richtungen zu erstrecken haben.

Zunächst muß für alle diejenigen, deren wirtschaftliche Lage untergraben
ist, sei es durch Einziehung ihres im Ausland befindlichen Vermögens, oder
durch mittelbaren Verlust desselben infolge des Krieges, sei es durch Herab¬
minderung ihrer körperlichen oder geistigen persönlichen Erwerbsfähigkeit, eine
hinreichende Entschädigung für das Verlorene geschaffen werden. Wie gesagt,


Der Vernichtungskrieg und seine Folgen

gehörigen zu schützen? LKarit^ bsZinns at Kome — sagt der Engländer.
Wenn erst einmal unsere Gegner sehen, daß wir nicht nur die „dummen
Deutschen" sind, daß sich nicht nur „Peitsche auf Deutsche" reimt, wie Börne
so geschmackvoll herausgefunden hat, werden sie klein beigeben, das Rechen-
exempel machen, daß wir viel mehr Staatsangehörige von ihnen in der Hand
haben, als sie von uns, und werden sich dann genau ebenso fügen, wie dies
Frankreich in der Frage der widerrechtlich gefangenen Parlamentäre auf ernst¬
liche Drohung hin getan hat.

Der stärkste Widersacher gegen Vegeltungsmaßregeln ist der deutsche For¬
malismus — besser gesagt die deutsche Feigheit vor der Macht der Form.
Seit jenen Tagen der übereilten Rezeption des römischen Rechtes, als eine
unserm Empfinden fremde Form die deutschen Rechtsbegriffe knechtete, wo der
Widerstand gegen ihre Anwendung, insbesondere ihre Anwendung zur Regelung
des Grundbesitzes, niederbrach in den Bauernrevolten, hat der Deutsche die
Herrschaft der Form anerkannt, — er ist ihr Knecht geworden, statt sie zu
beherrschen. Gerade die aus Gelehrtenkreisen stammenden Proteste gegen Ver¬
geltungsmaßnahmen sind nicht unbeeinflußt durch dies Beugen unter die Macht
der Form, durch eine gewisse Angst vor dem einmal Anerkannten, und gar
vor der eigenen Verantwortung einem übernommenen, aber jetzt nicht mehr
angebrachten Moralbegriff gegenüber.

Aber selbst eine rein formale Auffassung würde übrigens speziell in der
Frage der völkerrechtlich verbotenen Geschosse uns Vergeltungsmaßregeln gegen
die gefangenen Offiziere gestatten. Daß die Dum-Dum-Geschosse, um diesen
Sammelnamen zu brauchen, völkerrechtlich verboten sind, weiß auch der jüngste
englische wie französische Leutnant, also auch, daß ihre Anwendung ein Ver¬
brechen darstellt. Dieses Verbrechen fällt aber dem Offizier, der ihm durch
Kommandos und Befehle Vorschub leistet, mit zur Last. Von der moralischen
Stellung eines Offiziers muß man verlangen können, daß er sich weigert, ein
solches Verbrechen zu begehen, und für seine Leute andere Munition ernstlich
fordert. Die gewiß besonders strengen deutschen Vorschriften enthalten die
Bestimmung, daß einem Befehl, der ein Verbrechen fordert, Gehorsam nicht zu
leisten sei. Wir sind also formal wie innerlich völlig berechtigt, die gefangenen
Offiziere, unter deren Befehl das Völkerrecht durch Anwendung von Dum-Dum-
Geschossen verletzt ist, hierfür zur Verantwortung zu ziehen, und verdienter
Strafe zu überliefern.

Die Vergeltungsmaßrcgeln des deutschen Staates würden sich nach obigen
Ausführungen nach drei Richtungen zu erstrecken haben.

Zunächst muß für alle diejenigen, deren wirtschaftliche Lage untergraben
ist, sei es durch Einziehung ihres im Ausland befindlichen Vermögens, oder
durch mittelbaren Verlust desselben infolge des Krieges, sei es durch Herab¬
minderung ihrer körperlichen oder geistigen persönlichen Erwerbsfähigkeit, eine
hinreichende Entschädigung für das Verlorene geschaffen werden. Wie gesagt,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323213"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Vernichtungskrieg und seine Folgen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_317" prev="#ID_316"> gehörigen zu schützen? LKarit^ bsZinns at Kome &#x2014; sagt der Engländer.<lb/>
Wenn erst einmal unsere Gegner sehen, daß wir nicht nur die &#x201E;dummen<lb/>
Deutschen" sind, daß sich nicht nur &#x201E;Peitsche auf Deutsche" reimt, wie Börne<lb/>
so geschmackvoll herausgefunden hat, werden sie klein beigeben, das Rechen-<lb/>
exempel machen, daß wir viel mehr Staatsangehörige von ihnen in der Hand<lb/>
haben, als sie von uns, und werden sich dann genau ebenso fügen, wie dies<lb/>
Frankreich in der Frage der widerrechtlich gefangenen Parlamentäre auf ernst¬<lb/>
liche Drohung hin getan hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_318"> Der stärkste Widersacher gegen Vegeltungsmaßregeln ist der deutsche For¬<lb/>
malismus &#x2014; besser gesagt die deutsche Feigheit vor der Macht der Form.<lb/>
Seit jenen Tagen der übereilten Rezeption des römischen Rechtes, als eine<lb/>
unserm Empfinden fremde Form die deutschen Rechtsbegriffe knechtete, wo der<lb/>
Widerstand gegen ihre Anwendung, insbesondere ihre Anwendung zur Regelung<lb/>
des Grundbesitzes, niederbrach in den Bauernrevolten, hat der Deutsche die<lb/>
Herrschaft der Form anerkannt, &#x2014; er ist ihr Knecht geworden, statt sie zu<lb/>
beherrschen. Gerade die aus Gelehrtenkreisen stammenden Proteste gegen Ver¬<lb/>
geltungsmaßnahmen sind nicht unbeeinflußt durch dies Beugen unter die Macht<lb/>
der Form, durch eine gewisse Angst vor dem einmal Anerkannten, und gar<lb/>
vor der eigenen Verantwortung einem übernommenen, aber jetzt nicht mehr<lb/>
angebrachten Moralbegriff gegenüber.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_319"> Aber selbst eine rein formale Auffassung würde übrigens speziell in der<lb/>
Frage der völkerrechtlich verbotenen Geschosse uns Vergeltungsmaßregeln gegen<lb/>
die gefangenen Offiziere gestatten. Daß die Dum-Dum-Geschosse, um diesen<lb/>
Sammelnamen zu brauchen, völkerrechtlich verboten sind, weiß auch der jüngste<lb/>
englische wie französische Leutnant, also auch, daß ihre Anwendung ein Ver¬<lb/>
brechen darstellt. Dieses Verbrechen fällt aber dem Offizier, der ihm durch<lb/>
Kommandos und Befehle Vorschub leistet, mit zur Last. Von der moralischen<lb/>
Stellung eines Offiziers muß man verlangen können, daß er sich weigert, ein<lb/>
solches Verbrechen zu begehen, und für seine Leute andere Munition ernstlich<lb/>
fordert. Die gewiß besonders strengen deutschen Vorschriften enthalten die<lb/>
Bestimmung, daß einem Befehl, der ein Verbrechen fordert, Gehorsam nicht zu<lb/>
leisten sei. Wir sind also formal wie innerlich völlig berechtigt, die gefangenen<lb/>
Offiziere, unter deren Befehl das Völkerrecht durch Anwendung von Dum-Dum-<lb/>
Geschossen verletzt ist, hierfür zur Verantwortung zu ziehen, und verdienter<lb/>
Strafe zu überliefern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_320"> Die Vergeltungsmaßrcgeln des deutschen Staates würden sich nach obigen<lb/>
Ausführungen nach drei Richtungen zu erstrecken haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_321" next="#ID_322"> Zunächst muß für alle diejenigen, deren wirtschaftliche Lage untergraben<lb/>
ist, sei es durch Einziehung ihres im Ausland befindlichen Vermögens, oder<lb/>
durch mittelbaren Verlust desselben infolge des Krieges, sei es durch Herab¬<lb/>
minderung ihrer körperlichen oder geistigen persönlichen Erwerbsfähigkeit, eine<lb/>
hinreichende Entschädigung für das Verlorene geschaffen werden.  Wie gesagt,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0116] Der Vernichtungskrieg und seine Folgen gehörigen zu schützen? LKarit^ bsZinns at Kome — sagt der Engländer. Wenn erst einmal unsere Gegner sehen, daß wir nicht nur die „dummen Deutschen" sind, daß sich nicht nur „Peitsche auf Deutsche" reimt, wie Börne so geschmackvoll herausgefunden hat, werden sie klein beigeben, das Rechen- exempel machen, daß wir viel mehr Staatsangehörige von ihnen in der Hand haben, als sie von uns, und werden sich dann genau ebenso fügen, wie dies Frankreich in der Frage der widerrechtlich gefangenen Parlamentäre auf ernst¬ liche Drohung hin getan hat. Der stärkste Widersacher gegen Vegeltungsmaßregeln ist der deutsche For¬ malismus — besser gesagt die deutsche Feigheit vor der Macht der Form. Seit jenen Tagen der übereilten Rezeption des römischen Rechtes, als eine unserm Empfinden fremde Form die deutschen Rechtsbegriffe knechtete, wo der Widerstand gegen ihre Anwendung, insbesondere ihre Anwendung zur Regelung des Grundbesitzes, niederbrach in den Bauernrevolten, hat der Deutsche die Herrschaft der Form anerkannt, — er ist ihr Knecht geworden, statt sie zu beherrschen. Gerade die aus Gelehrtenkreisen stammenden Proteste gegen Ver¬ geltungsmaßnahmen sind nicht unbeeinflußt durch dies Beugen unter die Macht der Form, durch eine gewisse Angst vor dem einmal Anerkannten, und gar vor der eigenen Verantwortung einem übernommenen, aber jetzt nicht mehr angebrachten Moralbegriff gegenüber. Aber selbst eine rein formale Auffassung würde übrigens speziell in der Frage der völkerrechtlich verbotenen Geschosse uns Vergeltungsmaßregeln gegen die gefangenen Offiziere gestatten. Daß die Dum-Dum-Geschosse, um diesen Sammelnamen zu brauchen, völkerrechtlich verboten sind, weiß auch der jüngste englische wie französische Leutnant, also auch, daß ihre Anwendung ein Ver¬ brechen darstellt. Dieses Verbrechen fällt aber dem Offizier, der ihm durch Kommandos und Befehle Vorschub leistet, mit zur Last. Von der moralischen Stellung eines Offiziers muß man verlangen können, daß er sich weigert, ein solches Verbrechen zu begehen, und für seine Leute andere Munition ernstlich fordert. Die gewiß besonders strengen deutschen Vorschriften enthalten die Bestimmung, daß einem Befehl, der ein Verbrechen fordert, Gehorsam nicht zu leisten sei. Wir sind also formal wie innerlich völlig berechtigt, die gefangenen Offiziere, unter deren Befehl das Völkerrecht durch Anwendung von Dum-Dum- Geschossen verletzt ist, hierfür zur Verantwortung zu ziehen, und verdienter Strafe zu überliefern. Die Vergeltungsmaßrcgeln des deutschen Staates würden sich nach obigen Ausführungen nach drei Richtungen zu erstrecken haben. Zunächst muß für alle diejenigen, deren wirtschaftliche Lage untergraben ist, sei es durch Einziehung ihres im Ausland befindlichen Vermögens, oder durch mittelbaren Verlust desselben infolge des Krieges, sei es durch Herab¬ minderung ihrer körperlichen oder geistigen persönlichen Erwerbsfähigkeit, eine hinreichende Entschädigung für das Verlorene geschaffen werden. Wie gesagt,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/116
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/116>, abgerufen am 27.09.2024.