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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Auf Lonrad Ferdinand Meyers Spuren

Haupt aus der Wand, dort hing ein gewaltiger Leib über den Abgrund.
Mitten im weißen Gischt lag ein Riese, ließ sich den ganzen Sturz und Stoß
auf die Brust prallen und brüllte vor Wonne."

Malmort, den Sitz der Judicatrix Stemma, das mit seinen dicken Mauern
"wie aus dem Felsen gewachsene rhätische Kastell", möchten wir auf dem senk¬
recht vom Rhein her aufsteigenden Felsen suchen, der heute die Ruinen der vor
langen Jahrhunderten zerstörten Burg Hohen-Realta oder Hohen - Rhätien
trägt. Wie bei Malmort donnert hier "der Strom, der den Felsen benagt
und unter der Burg zu Tale stürzt", und wie dort bietet sich auch hier "der
Ausblick in den Talgrund mit seinen Türmen und Weilern". Vor den: noch
erhaltenen Hauptturm der Ruine erstreckt sich bis zum Rande des Felsens eine
niedrigere, geräumige Fläche; hier mochte der Dichter vor seinem geistigen Auge
die "halbrunde Bastei" von Malmort erstehen sehen, die, "ein paar Stufen
tiefer als der Hof, über dem senkrechten Abgrunde ragte, durch welchen die
Bergfink in ungeheurem Sturze zu Tale fiel". Endlich liegt auch nicht fern
von Hohen - Rhätien das Schloß Rhäzüns mit seinem trotzig über dem Rhein
aufragenden Mauerwerk, der Sitz von Stemmas abgewiesenen Freier, dem
Rhäzünser, der ihren Vater, den alten Index, in grimmer Rachefehde "streckte".




Nur ein kleiner Ausschnitt aus dem dichterischen Schaffenskreis C. F. Meyers
ist es, dem wir auf unserer Pilgerfahrt nachgehen konnten, aber es sind die¬
jenigen Werke, die aus dem Boden seiner schweizerischen Heimat, ihren urkräftiger
Arven vergleichbar, entsprossen und deshalb so vor allen anderen geeignet sind,
uns in das Wesen des Dichters einzuführen.

In ergreifenden Worten, mit stolzer Bescheidenheit, hat Meyer in seinem
herrlichen "Firnelicht" ausgesprochen, was er der Heimat verdankte, wie sehr
er sich in ihrer Schuld fühlte:

"Nie prahlt' ich mit der Heimat noch
Und liebe sie von Herzen doch,
In meinem Wesen und Gedicht
Allüberall ist Firnelicht,
Das große stille Leuchten.
Was kann ich für die Heimat tun,
Bevor ich geh' im Grabe ruhn?
Was geb' ich, das dem Tod entflieht?
Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied,
Ein kleines stilles LeuchtenI"



Auf Lonrad Ferdinand Meyers Spuren

Haupt aus der Wand, dort hing ein gewaltiger Leib über den Abgrund.
Mitten im weißen Gischt lag ein Riese, ließ sich den ganzen Sturz und Stoß
auf die Brust prallen und brüllte vor Wonne."

Malmort, den Sitz der Judicatrix Stemma, das mit seinen dicken Mauern
„wie aus dem Felsen gewachsene rhätische Kastell", möchten wir auf dem senk¬
recht vom Rhein her aufsteigenden Felsen suchen, der heute die Ruinen der vor
langen Jahrhunderten zerstörten Burg Hohen-Realta oder Hohen - Rhätien
trägt. Wie bei Malmort donnert hier „der Strom, der den Felsen benagt
und unter der Burg zu Tale stürzt", und wie dort bietet sich auch hier „der
Ausblick in den Talgrund mit seinen Türmen und Weilern". Vor den: noch
erhaltenen Hauptturm der Ruine erstreckt sich bis zum Rande des Felsens eine
niedrigere, geräumige Fläche; hier mochte der Dichter vor seinem geistigen Auge
die „halbrunde Bastei" von Malmort erstehen sehen, die, „ein paar Stufen
tiefer als der Hof, über dem senkrechten Abgrunde ragte, durch welchen die
Bergfink in ungeheurem Sturze zu Tale fiel". Endlich liegt auch nicht fern
von Hohen - Rhätien das Schloß Rhäzüns mit seinem trotzig über dem Rhein
aufragenden Mauerwerk, der Sitz von Stemmas abgewiesenen Freier, dem
Rhäzünser, der ihren Vater, den alten Index, in grimmer Rachefehde „streckte".




Nur ein kleiner Ausschnitt aus dem dichterischen Schaffenskreis C. F. Meyers
ist es, dem wir auf unserer Pilgerfahrt nachgehen konnten, aber es sind die¬
jenigen Werke, die aus dem Boden seiner schweizerischen Heimat, ihren urkräftiger
Arven vergleichbar, entsprossen und deshalb so vor allen anderen geeignet sind,
uns in das Wesen des Dichters einzuführen.

In ergreifenden Worten, mit stolzer Bescheidenheit, hat Meyer in seinem
herrlichen „Firnelicht" ausgesprochen, was er der Heimat verdankte, wie sehr
er sich in ihrer Schuld fühlte:

„Nie prahlt' ich mit der Heimat noch
Und liebe sie von Herzen doch,
In meinem Wesen und Gedicht
Allüberall ist Firnelicht,
Das große stille Leuchten.
Was kann ich für die Heimat tun,
Bevor ich geh' im Grabe ruhn?
Was geb' ich, das dem Tod entflieht?
Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied,
Ein kleines stilles LeuchtenI"



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[0352] Auf Lonrad Ferdinand Meyers Spuren Haupt aus der Wand, dort hing ein gewaltiger Leib über den Abgrund. Mitten im weißen Gischt lag ein Riese, ließ sich den ganzen Sturz und Stoß auf die Brust prallen und brüllte vor Wonne." Malmort, den Sitz der Judicatrix Stemma, das mit seinen dicken Mauern „wie aus dem Felsen gewachsene rhätische Kastell", möchten wir auf dem senk¬ recht vom Rhein her aufsteigenden Felsen suchen, der heute die Ruinen der vor langen Jahrhunderten zerstörten Burg Hohen-Realta oder Hohen - Rhätien trägt. Wie bei Malmort donnert hier „der Strom, der den Felsen benagt und unter der Burg zu Tale stürzt", und wie dort bietet sich auch hier „der Ausblick in den Talgrund mit seinen Türmen und Weilern". Vor den: noch erhaltenen Hauptturm der Ruine erstreckt sich bis zum Rande des Felsens eine niedrigere, geräumige Fläche; hier mochte der Dichter vor seinem geistigen Auge die „halbrunde Bastei" von Malmort erstehen sehen, die, „ein paar Stufen tiefer als der Hof, über dem senkrechten Abgrunde ragte, durch welchen die Bergfink in ungeheurem Sturze zu Tale fiel". Endlich liegt auch nicht fern von Hohen - Rhätien das Schloß Rhäzüns mit seinem trotzig über dem Rhein aufragenden Mauerwerk, der Sitz von Stemmas abgewiesenen Freier, dem Rhäzünser, der ihren Vater, den alten Index, in grimmer Rachefehde „streckte". Nur ein kleiner Ausschnitt aus dem dichterischen Schaffenskreis C. F. Meyers ist es, dem wir auf unserer Pilgerfahrt nachgehen konnten, aber es sind die¬ jenigen Werke, die aus dem Boden seiner schweizerischen Heimat, ihren urkräftiger Arven vergleichbar, entsprossen und deshalb so vor allen anderen geeignet sind, uns in das Wesen des Dichters einzuführen. In ergreifenden Worten, mit stolzer Bescheidenheit, hat Meyer in seinem herrlichen „Firnelicht" ausgesprochen, was er der Heimat verdankte, wie sehr er sich in ihrer Schuld fühlte: „Nie prahlt' ich mit der Heimat noch Und liebe sie von Herzen doch, In meinem Wesen und Gedicht Allüberall ist Firnelicht, Das große stille Leuchten. Was kann ich für die Heimat tun, Bevor ich geh' im Grabe ruhn? Was geb' ich, das dem Tod entflieht? Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied, Ein kleines stilles LeuchtenI"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/352>, abgerufen am 27.09.2024.