Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Ein Später Derer van Doorn Er warf die Kleider über. Er floh in die Morgenluft. Er war an demselben Tage schon wieder in der Heimat. Wie er durch sein Dorf schritt, sahen seine Fischersleute, daß sein Haar An: anderen Tage nach langen: Fasten und blutiger Kasteiung war Hiero¬ Der Kirchenfürst war über den Anblick des zermarterten, vernichteten Menschen Wie der würdige Herr alles begriffen hatte, war er zunächst beflissen, die Das ist ihm auch unschwer gelungen. Und vor allein hatte er Hieronymus tiefe Entwürdigungen auferlegt, Als im beginnenden Frühling Herr und Frau Kroen wieder in ihr Strand¬ Sie wußten zuerst nicht, ob sie recht gesehen. Aber wie sie ihn mit zutraulichen Gruße grüßten, war der zernagte Mensch Wer ihn sah, sah einen, der nicht mehr jung schien, nur zerfurcht von dem Jetzt war Hieronymus wirklich ein Gebetsrnfer aus der Tiefe seiner Seelen- Eines Tages, ein zwei Jahre nachher, hatten an einem Weihnachstage Grenzboten I 19124L
Ein Später Derer van Doorn Er warf die Kleider über. Er floh in die Morgenluft. Er war an demselben Tage schon wieder in der Heimat. Wie er durch sein Dorf schritt, sahen seine Fischersleute, daß sein Haar An: anderen Tage nach langen: Fasten und blutiger Kasteiung war Hiero¬ Der Kirchenfürst war über den Anblick des zermarterten, vernichteten Menschen Wie der würdige Herr alles begriffen hatte, war er zunächst beflissen, die Das ist ihm auch unschwer gelungen. Und vor allein hatte er Hieronymus tiefe Entwürdigungen auferlegt, Als im beginnenden Frühling Herr und Frau Kroen wieder in ihr Strand¬ Sie wußten zuerst nicht, ob sie recht gesehen. Aber wie sie ihn mit zutraulichen Gruße grüßten, war der zernagte Mensch Wer ihn sah, sah einen, der nicht mehr jung schien, nur zerfurcht von dem Jetzt war Hieronymus wirklich ein Gebetsrnfer aus der Tiefe seiner Seelen- Eines Tages, ein zwei Jahre nachher, hatten an einem Weihnachstage Grenzboten I 19124L
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Ein Später Derer van Doorn
Er warf die Kleider über.
Er floh in die Morgenluft.
Er war an demselben Tage schon wieder in der Heimat.
Wie er durch sein Dorf schritt, sahen seine Fischersleute, daß sein Haar
weiß geworden. n
An: anderen Tage nach langen: Fasten und blutiger Kasteiung war Hiero¬
nymus zum Bischof gefahren.
Der Kirchenfürst war über den Anblick des zermarterten, vernichteten Menschen
bis ins Innerste erschrocken. Er mußte sich lange bemühen, Sinn in Hieronymus
gehetzte Worte zu bringen.
Wie der würdige Herr alles begriffen hatte, war er zunächst beflissen, die
irdischen Spuren der begangenen Verbrechen noch vor dem völligen Ruchbar¬
werden auszutilgen.
Das ist ihm auch unschwer gelungen.
Und vor allein hatte er Hieronymus tiefe Entwürdigungen auferlegt,
wodurch die gräuliche Sündenlast langsam gebüßt werden sollte.
Als im beginnenden Frühling Herr und Frau Kroen wieder in ihr Strand¬
schlößchen einkehrten und am Strande entlangritten, hatten sie bald den Pfarrer
des Dorfes begegnet.
Sie wußten zuerst nicht, ob sie recht gesehen.
Aber wie sie ihn mit zutraulichen Gruße grüßten, war der zernagte Mensch
mit scheuer Gebärde, und als wenn er vor dem Glänze der Höllenkönigin auf
der Hut wäre, an ihnen vorübergehastet.
Wer ihn sah, sah einen, der nicht mehr jung schien, nur zerfurcht von dem
Hunger nach Reinheit, einen ganz in sich Gelehrten und Verzehrten, der nnr
immer neu die heimlichen Qualen niederrang.
Jetzt war Hieronymus wirklich ein Gebetsrnfer aus der Tiefe seiner Seelen-
schande geworden, von der ihn kein Bischof und keine irdische Sündenvergebung
mehr löste, einer, der die heiße, heilige Anklammerung an die Verheißung der
göttlichen Gnade nur lebte und litt, wie eine flüchtige Spanne Heil in der
Jagd seiner immer neu aufwachsenden Gewissenspein.
Eines Tages, ein zwei Jahre nachher, hatten an einem Weihnachstage
die Fischersleute in der Dorfkirche vergeblich auf Hieronymus gewartet. Er
war nicht vor dem Altar erschienen. Wie man ins Pfarrhaus eindrang, fand
man ihn halb entblößt, den Rücken mit blutigen Striemen bedeckt, in seinem
Schlafzimmer vor dem Kreuze erstarrt auf der Diele liegen, mitten aus der
Inbrunst seiner Zerknirschung mit sanfter Hand in die ewige Ruhe gebettet.
Grenzboten I 19124L
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