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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Cingeborenenrccht in den deutschen Kolonien

macht grub letzten Endes eine Eingeborenenpolitik das Grab, der die Ware
alles, der Mensch nichts, oder doch auch nur Ware bedeutete. Auch die Auf¬
stände der neueren Zeit, wie sie keiner Kolonialmacht erspart geblieben sind,
führen in ihren letzten Gründen überwiegend auf eine festeingewurzelte An¬
schauungen ungenügend erkennende oder berücksichtigende Eingeborenenpolitik zurück.
Und es ist sehr charakteristisch, daß die deutsche Kolonialverwaltung in die vom
Standpunkt der Eingeborenenpolitik schwierigste Kolonie -- Neuguinea -- neuer¬
dings grundsätzlich nur solche Beamte entsendet, welche sich in den im allgemeinen
einfacheren Verhältnissen Afrikas längere Zeit hindurch geschult und bewährt
haben. Selbstverständlich braucht mau sich als Folgen der Nichtbeachtung der
Eigenart der Eingeborenenbevölkerung nicht gleich Empörungen und ähnliche
einschneidende Wirkungen vorzustellen. Auch in kleineren Vorkommnissen des
Tages treten sie schädigend in die Erscheinung.

Zu Beginn unserer kolonialen Lehrjahre, 1836, war -- so erzählt mau --
ein junger Beamter an einem Küstenplatz Neuguineas stationiert worden. Mit
guten juristischen Vorkenntnissen brachte er zugleich die Auffassung mit, daß alle
Erdensöhne vor dem Gesetz gleich seien, also auch die Kanälen nicht anders denn als
deutsche Staatsbürger behandelt werden dürften. Wochenlang hatte er bereits
auf einen "Fall" gewartet, als er gesprächsweise hörte, der Kanäle F. habe
aus einem Laden ein Lawalawa (d. h. ein Stück Zeug, das als Lendenschurz
benutzt wird) im Werte von fünfzig Pfennigen entwendet und nach seiner, einige
Stunden entfernten Heimatsinsel mitgenommen. Flugs versetzte der Richter
den Attentäter in den Anklagezustand und entsandte den Gerichtskanaken mit
einer schriftlichen Vorladung im Boot nach jener Insel. Zurückgekehrt berichtete
der Mann, der Vorgeladene sei beim Anblick der Vorladung geflüchtet und so
habe er die "Zustellung" durch Niederlegung des Papiers in seiner Hütte
bewirkt. Eine Woche später kam der auf jener Insel stationierte Missionar
hereingesegelt mit der Mitteilung, daß sämtliche Bewohner seit dem Erscheinen
des Gerichtsboten das Jnseldorf verlassen hätten. Die Erzählung von der
Zustellung führte ihn freilich schnell genug zu des Rätsels Losung: Die fürchter¬
liche Angst vor demi Papier, damals, nach Kanakenauffassung, noch dem denk¬
bar ärgsten Zauber, hatte die Leute sämtlich aus dem Dorfe getrieben; niemand
hatte es wagen wollen, weiterhin in so gefährlicher Nachbarschaft zu wohnen.
-- schweren Herzens entschloß sich der Herr Richter zum Verzicht auf das
persönliche Erscheinen des Missetäters. Dem Missionar aber gelang es erst nach
wochenlanger Arbeit, die Leute davon zu überzeugen, daß mit dem Vorladungs¬
dokument der böse Zauber von ihnen entfernt und die Luft rein sei, und sie
zur Rückkehr zu bewegen. Aber es war doch nur ein glücklicher Zufall -- die
Anwesenheit eines einflußreichen Landeskundigen --, der vor weiterreichenden
Folgen unverständiger Gerichtshandlungen gegenüber Eingeborenen bewahrte.

Den Gefahren, welche unrichtige Behandlung von Eingeborenenrechtssachen
durch den weißen Beamten in sich schließt, wird im deutschen Kolonialrecht


Cingeborenenrccht in den deutschen Kolonien

macht grub letzten Endes eine Eingeborenenpolitik das Grab, der die Ware
alles, der Mensch nichts, oder doch auch nur Ware bedeutete. Auch die Auf¬
stände der neueren Zeit, wie sie keiner Kolonialmacht erspart geblieben sind,
führen in ihren letzten Gründen überwiegend auf eine festeingewurzelte An¬
schauungen ungenügend erkennende oder berücksichtigende Eingeborenenpolitik zurück.
Und es ist sehr charakteristisch, daß die deutsche Kolonialverwaltung in die vom
Standpunkt der Eingeborenenpolitik schwierigste Kolonie — Neuguinea — neuer¬
dings grundsätzlich nur solche Beamte entsendet, welche sich in den im allgemeinen
einfacheren Verhältnissen Afrikas längere Zeit hindurch geschult und bewährt
haben. Selbstverständlich braucht mau sich als Folgen der Nichtbeachtung der
Eigenart der Eingeborenenbevölkerung nicht gleich Empörungen und ähnliche
einschneidende Wirkungen vorzustellen. Auch in kleineren Vorkommnissen des
Tages treten sie schädigend in die Erscheinung.

Zu Beginn unserer kolonialen Lehrjahre, 1836, war — so erzählt mau —
ein junger Beamter an einem Küstenplatz Neuguineas stationiert worden. Mit
guten juristischen Vorkenntnissen brachte er zugleich die Auffassung mit, daß alle
Erdensöhne vor dem Gesetz gleich seien, also auch die Kanälen nicht anders denn als
deutsche Staatsbürger behandelt werden dürften. Wochenlang hatte er bereits
auf einen „Fall" gewartet, als er gesprächsweise hörte, der Kanäle F. habe
aus einem Laden ein Lawalawa (d. h. ein Stück Zeug, das als Lendenschurz
benutzt wird) im Werte von fünfzig Pfennigen entwendet und nach seiner, einige
Stunden entfernten Heimatsinsel mitgenommen. Flugs versetzte der Richter
den Attentäter in den Anklagezustand und entsandte den Gerichtskanaken mit
einer schriftlichen Vorladung im Boot nach jener Insel. Zurückgekehrt berichtete
der Mann, der Vorgeladene sei beim Anblick der Vorladung geflüchtet und so
habe er die „Zustellung" durch Niederlegung des Papiers in seiner Hütte
bewirkt. Eine Woche später kam der auf jener Insel stationierte Missionar
hereingesegelt mit der Mitteilung, daß sämtliche Bewohner seit dem Erscheinen
des Gerichtsboten das Jnseldorf verlassen hätten. Die Erzählung von der
Zustellung führte ihn freilich schnell genug zu des Rätsels Losung: Die fürchter¬
liche Angst vor demi Papier, damals, nach Kanakenauffassung, noch dem denk¬
bar ärgsten Zauber, hatte die Leute sämtlich aus dem Dorfe getrieben; niemand
hatte es wagen wollen, weiterhin in so gefährlicher Nachbarschaft zu wohnen.
— schweren Herzens entschloß sich der Herr Richter zum Verzicht auf das
persönliche Erscheinen des Missetäters. Dem Missionar aber gelang es erst nach
wochenlanger Arbeit, die Leute davon zu überzeugen, daß mit dem Vorladungs¬
dokument der böse Zauber von ihnen entfernt und die Luft rein sei, und sie
zur Rückkehr zu bewegen. Aber es war doch nur ein glücklicher Zufall — die
Anwesenheit eines einflußreichen Landeskundigen —, der vor weiterreichenden
Folgen unverständiger Gerichtshandlungen gegenüber Eingeborenen bewahrte.

Den Gefahren, welche unrichtige Behandlung von Eingeborenenrechtssachen
durch den weißen Beamten in sich schließt, wird im deutschen Kolonialrecht


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[0018] Cingeborenenrccht in den deutschen Kolonien macht grub letzten Endes eine Eingeborenenpolitik das Grab, der die Ware alles, der Mensch nichts, oder doch auch nur Ware bedeutete. Auch die Auf¬ stände der neueren Zeit, wie sie keiner Kolonialmacht erspart geblieben sind, führen in ihren letzten Gründen überwiegend auf eine festeingewurzelte An¬ schauungen ungenügend erkennende oder berücksichtigende Eingeborenenpolitik zurück. Und es ist sehr charakteristisch, daß die deutsche Kolonialverwaltung in die vom Standpunkt der Eingeborenenpolitik schwierigste Kolonie — Neuguinea — neuer¬ dings grundsätzlich nur solche Beamte entsendet, welche sich in den im allgemeinen einfacheren Verhältnissen Afrikas längere Zeit hindurch geschult und bewährt haben. Selbstverständlich braucht mau sich als Folgen der Nichtbeachtung der Eigenart der Eingeborenenbevölkerung nicht gleich Empörungen und ähnliche einschneidende Wirkungen vorzustellen. Auch in kleineren Vorkommnissen des Tages treten sie schädigend in die Erscheinung. Zu Beginn unserer kolonialen Lehrjahre, 1836, war — so erzählt mau — ein junger Beamter an einem Küstenplatz Neuguineas stationiert worden. Mit guten juristischen Vorkenntnissen brachte er zugleich die Auffassung mit, daß alle Erdensöhne vor dem Gesetz gleich seien, also auch die Kanälen nicht anders denn als deutsche Staatsbürger behandelt werden dürften. Wochenlang hatte er bereits auf einen „Fall" gewartet, als er gesprächsweise hörte, der Kanäle F. habe aus einem Laden ein Lawalawa (d. h. ein Stück Zeug, das als Lendenschurz benutzt wird) im Werte von fünfzig Pfennigen entwendet und nach seiner, einige Stunden entfernten Heimatsinsel mitgenommen. Flugs versetzte der Richter den Attentäter in den Anklagezustand und entsandte den Gerichtskanaken mit einer schriftlichen Vorladung im Boot nach jener Insel. Zurückgekehrt berichtete der Mann, der Vorgeladene sei beim Anblick der Vorladung geflüchtet und so habe er die „Zustellung" durch Niederlegung des Papiers in seiner Hütte bewirkt. Eine Woche später kam der auf jener Insel stationierte Missionar hereingesegelt mit der Mitteilung, daß sämtliche Bewohner seit dem Erscheinen des Gerichtsboten das Jnseldorf verlassen hätten. Die Erzählung von der Zustellung führte ihn freilich schnell genug zu des Rätsels Losung: Die fürchter¬ liche Angst vor demi Papier, damals, nach Kanakenauffassung, noch dem denk¬ bar ärgsten Zauber, hatte die Leute sämtlich aus dem Dorfe getrieben; niemand hatte es wagen wollen, weiterhin in so gefährlicher Nachbarschaft zu wohnen. — schweren Herzens entschloß sich der Herr Richter zum Verzicht auf das persönliche Erscheinen des Missetäters. Dem Missionar aber gelang es erst nach wochenlanger Arbeit, die Leute davon zu überzeugen, daß mit dem Vorladungs¬ dokument der böse Zauber von ihnen entfernt und die Luft rein sei, und sie zur Rückkehr zu bewegen. Aber es war doch nur ein glücklicher Zufall — die Anwesenheit eines einflußreichen Landeskundigen —, der vor weiterreichenden Folgen unverständiger Gerichtshandlungen gegenüber Eingeborenen bewahrte. Den Gefahren, welche unrichtige Behandlung von Eingeborenenrechtssachen durch den weißen Beamten in sich schließt, wird im deutschen Kolonialrecht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/18>, abgerufen am 27.09.2024.