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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Htaat und Kirche in Frankreich unter der Monarchie

"is gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts hatte Frankreich
eine aufs engste mit der nationalen Monarchie verbundn? Staats¬
religion, deren Bekenntnis für jeden französischen Untertan obli¬
gatorisch war, wenn er im Vollbesitz der bürgerlichen und der
I politischen Rechte leben wollte. Nur der zatholische Kultus war
öffentlich erlaubt. Die Herrschaft der Kirche stützte sich auf einen reichen feu¬
dalen Besitzstand; und wie sie die Gewissen lenkte, und wie alle Akte des sozialen
Lebens unter ihrer Botmäßigkeit standen, so nahm sie auch für sich das Recht
in Anspruch, in alle Staatsangelegenheiten einzugreifen, die öffentlichen Ein¬
richtungen und Anschauungen wie die privaten Sitten und Gewohnheiten zu be¬
herrschen. Um so merkwürdiger erscheint die plötzliche Umgestaltung der kirchlichen
Verhältnisse am Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts. In dem seit der frühesten
Zeit dem Katholizismus treu ergebner, strenggläubigen Lande, das sich mit Stolz
die älteste Tochter der Kirche nannte und sich der Msta ohl xsr ?ran<zos rühmte,
wurde damals nicht nur die katholische Kirche ihrer bevorrechtigten Stellung auf
immer beraubt, sondern auch die Existenz des Christentums selbst in Frage ge¬
stellt. Innerhalb weniger Jahre gelangten die beim Beginn der Revolution
in ihrer großen Mehrheit keineswegs antiklerikalen Volksvertreter von fast
ängstlich bescheidnen Reformversuchen zur Verkündung der absoluten Kultus¬
freiheit, zur Trennung von Kirche und Staat im Jahre 1794, endlich zur syste¬
matischen Entchristlichung des Landes und zu blutiger Glaubensverfolgung. Ein
Rückblick auf diesen Zusammenbruch der alten Einrichtungen und die religiösen
Kämpfe der Revolutionszeit scheint gegenwärtig von besonderm Interesse, da die
französischen Republikaner wiederum vor ähnlichen kirchlichen Fragen stehn, wie
sie schon einmal das Land in seinen Grundfesten erschüttert und auf den Ver¬
lauf der Revolution bestimmend eingewirkt haben. Waldeck - Rousseau sprach
einmal von "den zwei Frankreichs, die durch eine unüberbrückbare Kluft von¬
einander getrennt seien." In der Tat handelt es sich bei dem jetzigen franzö¬
sischen "Kulturkampf" nicht um ein Zurückweisen einzelner hierarchischer Übergriffe,
sondern um einen Prinzipienkampf auf Leben und Tod zwischen der katholischen
Kirche, die auf ihren altgewohnten Einfluß im öffentlichen und im privaten Leben


Grenzboten III 1906 1


Htaat und Kirche in Frankreich unter der Monarchie

»is gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts hatte Frankreich
eine aufs engste mit der nationalen Monarchie verbundn? Staats¬
religion, deren Bekenntnis für jeden französischen Untertan obli¬
gatorisch war, wenn er im Vollbesitz der bürgerlichen und der
I politischen Rechte leben wollte. Nur der zatholische Kultus war
öffentlich erlaubt. Die Herrschaft der Kirche stützte sich auf einen reichen feu¬
dalen Besitzstand; und wie sie die Gewissen lenkte, und wie alle Akte des sozialen
Lebens unter ihrer Botmäßigkeit standen, so nahm sie auch für sich das Recht
in Anspruch, in alle Staatsangelegenheiten einzugreifen, die öffentlichen Ein¬
richtungen und Anschauungen wie die privaten Sitten und Gewohnheiten zu be¬
herrschen. Um so merkwürdiger erscheint die plötzliche Umgestaltung der kirchlichen
Verhältnisse am Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts. In dem seit der frühesten
Zeit dem Katholizismus treu ergebner, strenggläubigen Lande, das sich mit Stolz
die älteste Tochter der Kirche nannte und sich der Msta ohl xsr ?ran<zos rühmte,
wurde damals nicht nur die katholische Kirche ihrer bevorrechtigten Stellung auf
immer beraubt, sondern auch die Existenz des Christentums selbst in Frage ge¬
stellt. Innerhalb weniger Jahre gelangten die beim Beginn der Revolution
in ihrer großen Mehrheit keineswegs antiklerikalen Volksvertreter von fast
ängstlich bescheidnen Reformversuchen zur Verkündung der absoluten Kultus¬
freiheit, zur Trennung von Kirche und Staat im Jahre 1794, endlich zur syste¬
matischen Entchristlichung des Landes und zu blutiger Glaubensverfolgung. Ein
Rückblick auf diesen Zusammenbruch der alten Einrichtungen und die religiösen
Kämpfe der Revolutionszeit scheint gegenwärtig von besonderm Interesse, da die
französischen Republikaner wiederum vor ähnlichen kirchlichen Fragen stehn, wie
sie schon einmal das Land in seinen Grundfesten erschüttert und auf den Ver¬
lauf der Revolution bestimmend eingewirkt haben. Waldeck - Rousseau sprach
einmal von „den zwei Frankreichs, die durch eine unüberbrückbare Kluft von¬
einander getrennt seien." In der Tat handelt es sich bei dem jetzigen franzö¬
sischen „Kulturkampf" nicht um ein Zurückweisen einzelner hierarchischer Übergriffe,
sondern um einen Prinzipienkampf auf Leben und Tod zwischen der katholischen
Kirche, die auf ihren altgewohnten Einfluß im öffentlichen und im privaten Leben


Grenzboten III 1906 1
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[0009] [Abbildung] Htaat und Kirche in Frankreich unter der Monarchie »is gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts hatte Frankreich eine aufs engste mit der nationalen Monarchie verbundn? Staats¬ religion, deren Bekenntnis für jeden französischen Untertan obli¬ gatorisch war, wenn er im Vollbesitz der bürgerlichen und der I politischen Rechte leben wollte. Nur der zatholische Kultus war öffentlich erlaubt. Die Herrschaft der Kirche stützte sich auf einen reichen feu¬ dalen Besitzstand; und wie sie die Gewissen lenkte, und wie alle Akte des sozialen Lebens unter ihrer Botmäßigkeit standen, so nahm sie auch für sich das Recht in Anspruch, in alle Staatsangelegenheiten einzugreifen, die öffentlichen Ein¬ richtungen und Anschauungen wie die privaten Sitten und Gewohnheiten zu be¬ herrschen. Um so merkwürdiger erscheint die plötzliche Umgestaltung der kirchlichen Verhältnisse am Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts. In dem seit der frühesten Zeit dem Katholizismus treu ergebner, strenggläubigen Lande, das sich mit Stolz die älteste Tochter der Kirche nannte und sich der Msta ohl xsr ?ran<zos rühmte, wurde damals nicht nur die katholische Kirche ihrer bevorrechtigten Stellung auf immer beraubt, sondern auch die Existenz des Christentums selbst in Frage ge¬ stellt. Innerhalb weniger Jahre gelangten die beim Beginn der Revolution in ihrer großen Mehrheit keineswegs antiklerikalen Volksvertreter von fast ängstlich bescheidnen Reformversuchen zur Verkündung der absoluten Kultus¬ freiheit, zur Trennung von Kirche und Staat im Jahre 1794, endlich zur syste¬ matischen Entchristlichung des Landes und zu blutiger Glaubensverfolgung. Ein Rückblick auf diesen Zusammenbruch der alten Einrichtungen und die religiösen Kämpfe der Revolutionszeit scheint gegenwärtig von besonderm Interesse, da die französischen Republikaner wiederum vor ähnlichen kirchlichen Fragen stehn, wie sie schon einmal das Land in seinen Grundfesten erschüttert und auf den Ver¬ lauf der Revolution bestimmend eingewirkt haben. Waldeck - Rousseau sprach einmal von „den zwei Frankreichs, die durch eine unüberbrückbare Kluft von¬ einander getrennt seien." In der Tat handelt es sich bei dem jetzigen franzö¬ sischen „Kulturkampf" nicht um ein Zurückweisen einzelner hierarchischer Übergriffe, sondern um einen Prinzipienkampf auf Leben und Tod zwischen der katholischen Kirche, die auf ihren altgewohnten Einfluß im öffentlichen und im privaten Leben Grenzboten III 1906 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/9>, abgerufen am 27.09.2024.