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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Ausflüge im böhmischen Mittelgebirge

im Annaberger Hüttenstreit auftritt, ja ihn zum Teil hervorgerufen hat. Er,
der kein zünftiger Hüttenmeister war, hatte bei seinen Arbeiten an der Empore
Steinmetzgesellen beschäftigt, ein Verfahren, worin die Magdeburger Hütte
eine Herabsetzung ihres Standes sah, und derenwegen sie Meister Jakob von
Schweinfurth als den Leiter der Annaberger Hütte zur Rede setzte. (Vgl.
Gurlitt a. a. O. steche, Beschreibende Darstellung der ältern Bau- und Kunst¬
denkmäler des Königreichs Sachsen, 4. Heft, S. 19 f. Bode begeht in der
Geschichte der deutschen Plastik S. 203 denselben Fehler wie Lübke.) Da wir
also Franz von Magdeburg als "den" Annaberger Bildhauer kennen gelernt
haben, so würde sich daraus ergeben, daß die Brüxer Reliefs, wenn man sie
durchaus auf den Schüler eines Annaberger Meisters zurückführen will, von
einem Schüler jenes Mannes herrühren. Meines Erachtens sollte man sich
aber begnügen, darauf hinzuweisen, daß die Brüxer Kirche wie in so vielen
Dingen so auch in den Reliefs lebhafte Beziehungen zu der Annaberger
Kirche zeigt.

Auch die Zeit, die Lübke für die Entstehung des Emporenschmucks an¬
nimmt, dürfte nicht richtig sein. Er meint, die Platten seien nicht vor 1580
angefertigt worden, weil 1578 die 1540 vollendete Kirche vollständig aus¬
gebrannt sei. Ich meine doch, daß wenn man von der Vollendung der Kirche
spricht, auch die Reliefs fertig gewesen sein müssen, die ja für die Jnnenwirkung
von der allergrößten Wichtigkeit waren. Und wenn man einwenden wollte,
daß sie durch den Brand beschädigt worden seien, sodaß die alten Platten
durch neue Hütten ersetzt werden müssen, so könnte auch das nicht als wahr¬
scheinlich zugegeben werden; denn die aus gebrannter Erde oder aus Stein
gefertigten Reliefs waren, wenn nicht durch die ganze Profilierung der Brüstung,
so doch schon durch das Material genügend geschützt.

Die einzelnen Darstellungen sind von ungleicher Länge, immer aber von¬
einander geschieden durch Ornamentplatten mit deutlichen Nenaissanccmotiven;
nicht nur kehren immer und immer ineinander verschlungne glatte, nasenlose
Kreise wieder, sondern was weit wichtiger ist, regelmäßig bilden rechts und
links kleine Säulen den Abschluß, deren Kapitäle stark an korinthische Formen
erinnern, und deren Schäfte unten von Akcmthusblättern, die aus der Basis
herauszuwachsen scheinen, umgeben sind.

Der Chor bietet nichts besondres; er ist fünfseitig, aber nicht aus dem
Zehn-, wie man zunächst denken sollte, sondern aus dem Zwölfeck entwickelt
und macht deshalb von außen bei unserm Zusehen einen merkwürdig unregel¬
mäßigen Eindruck. Die Empore setzt sich auch im Chor fort; von den hier
entstehenden untern Räumen wird jedoch nur einer so wie an den Längsseiten
verwandt; ein zweiter, über die Außenfront hinausgerückt, ist die Sakristei
mit wundervoller Sternwölbung; der mittelste birgt die oben erwähnte Spindel¬
treppe, und in den beiden noch übrigen Räumen stehn Beichtstühle. Dadurch
daß die zwei Ostpfeiler näher aneinander gerückt sind, wird der Chorschluß
im Mittelschiff polygonal, ganz so wie wir es in manchen andern Kirchen
der Spätgotik, zum Beispiel in der Münchner Frauenkirche und in der Jngol-
städter Liebfrauenkirche finden.


Ausflüge im böhmischen Mittelgebirge

im Annaberger Hüttenstreit auftritt, ja ihn zum Teil hervorgerufen hat. Er,
der kein zünftiger Hüttenmeister war, hatte bei seinen Arbeiten an der Empore
Steinmetzgesellen beschäftigt, ein Verfahren, worin die Magdeburger Hütte
eine Herabsetzung ihres Standes sah, und derenwegen sie Meister Jakob von
Schweinfurth als den Leiter der Annaberger Hütte zur Rede setzte. (Vgl.
Gurlitt a. a. O. steche, Beschreibende Darstellung der ältern Bau- und Kunst¬
denkmäler des Königreichs Sachsen, 4. Heft, S. 19 f. Bode begeht in der
Geschichte der deutschen Plastik S. 203 denselben Fehler wie Lübke.) Da wir
also Franz von Magdeburg als „den" Annaberger Bildhauer kennen gelernt
haben, so würde sich daraus ergeben, daß die Brüxer Reliefs, wenn man sie
durchaus auf den Schüler eines Annaberger Meisters zurückführen will, von
einem Schüler jenes Mannes herrühren. Meines Erachtens sollte man sich
aber begnügen, darauf hinzuweisen, daß die Brüxer Kirche wie in so vielen
Dingen so auch in den Reliefs lebhafte Beziehungen zu der Annaberger
Kirche zeigt.

Auch die Zeit, die Lübke für die Entstehung des Emporenschmucks an¬
nimmt, dürfte nicht richtig sein. Er meint, die Platten seien nicht vor 1580
angefertigt worden, weil 1578 die 1540 vollendete Kirche vollständig aus¬
gebrannt sei. Ich meine doch, daß wenn man von der Vollendung der Kirche
spricht, auch die Reliefs fertig gewesen sein müssen, die ja für die Jnnenwirkung
von der allergrößten Wichtigkeit waren. Und wenn man einwenden wollte,
daß sie durch den Brand beschädigt worden seien, sodaß die alten Platten
durch neue Hütten ersetzt werden müssen, so könnte auch das nicht als wahr¬
scheinlich zugegeben werden; denn die aus gebrannter Erde oder aus Stein
gefertigten Reliefs waren, wenn nicht durch die ganze Profilierung der Brüstung,
so doch schon durch das Material genügend geschützt.

Die einzelnen Darstellungen sind von ungleicher Länge, immer aber von¬
einander geschieden durch Ornamentplatten mit deutlichen Nenaissanccmotiven;
nicht nur kehren immer und immer ineinander verschlungne glatte, nasenlose
Kreise wieder, sondern was weit wichtiger ist, regelmäßig bilden rechts und
links kleine Säulen den Abschluß, deren Kapitäle stark an korinthische Formen
erinnern, und deren Schäfte unten von Akcmthusblättern, die aus der Basis
herauszuwachsen scheinen, umgeben sind.

Der Chor bietet nichts besondres; er ist fünfseitig, aber nicht aus dem
Zehn-, wie man zunächst denken sollte, sondern aus dem Zwölfeck entwickelt
und macht deshalb von außen bei unserm Zusehen einen merkwürdig unregel¬
mäßigen Eindruck. Die Empore setzt sich auch im Chor fort; von den hier
entstehenden untern Räumen wird jedoch nur einer so wie an den Längsseiten
verwandt; ein zweiter, über die Außenfront hinausgerückt, ist die Sakristei
mit wundervoller Sternwölbung; der mittelste birgt die oben erwähnte Spindel¬
treppe, und in den beiden noch übrigen Räumen stehn Beichtstühle. Dadurch
daß die zwei Ostpfeiler näher aneinander gerückt sind, wird der Chorschluß
im Mittelschiff polygonal, ganz so wie wir es in manchen andern Kirchen
der Spätgotik, zum Beispiel in der Münchner Frauenkirche und in der Jngol-
städter Liebfrauenkirche finden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/675>, abgerufen am 27.09.2024.