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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Historisch - dramatisches Figurenkabinett

wügung zieht, daß der Knoten durch die Machenschaften eines so unter¬
nehmenden Hoffräuleins wie der Eboli geschürzt wird, verrät die Art, wie
der Herzog gezeichnet ist, die Meisterhand und gibt uns schon einen Vor¬
geschmack des spätern Friedlünders. Alba gehört nicht zu denen, die in der
Geschichte schlecht weggekommen sind. Was er war, war er in so ausge-
sprochner Weise, klug, besonnen, tapfer, heimtückisch, fanatisch, grausam, er
handelte unter den beiden Regenten, deren brauchbarster Feldherr er war, so
ganz im Sinne des AnVerlangens, das Posa dem König Schuld gibt:


Sie wollen
Nur meinen Arm und meinen Mut im Felde,
Nur meinen Kopf im Rat. Nicht meine Taten,
Der Beifall, den sie finden an dem Thron,
Soll meiner Taten Endzweck sein,

daß ihn weder seine Zeitgenossen noch die Epigonen mißverstehn konnten.

Die Zeiten, in denen der spanische Einfluß auf die Franzosen und die
Italiener überaus mächtig war, und die etwas spätern, in denen dasselbe in den
Niederlanden und sonst in den Besitzungen der österreichischen Habsburger der
Fall war, liegen so weit hinter uns, daß wir eine recht lebhafte Vorstellung
eigentlich nur von dem einen spanischen Typus haben, den ich als den feierlich
ernsten der spanischen Hofleute, Beamten und Soldaten bezeichnen möchte.
Daß es daneben einen bäuerlich behaglichen, übermütig lustigen gab, der uns
namentlich aus den Schäferspielen und den Autos fast noch lebhafter entgegentritt
als aus der italienischen eommsäig. alsit' arts, vergessen wir dabei ganz, und
man darf Wohl bedauern, daß Schiller es nicht für angebracht gehalten hat,
in seinem Don Carlos mit diesem Gegensatz zu wirken. Da das Trauerspiel
infolge der nötigen und mit hoher Meisterschaft gegebnen Charakterisierung
so vieler in die Handlung eingreifender Personen schon ohnehin für einen
Abend zu lang ist, so war für Szenen, wie sie Goethe mit so viel Glück
in seinem Egmont angebracht hat, leider kein Raum. Leider, denn es würde
dem Zuschauer außerordentlich wohlgetan haben, wenn er sich dem Zwang
einer unerträglichen Etikette, wäre es auch nur für noch so kurze Zeit
gewesen, Hütte entheben können, und die Persönlichkeit des Herzogs Alba,
mit der wir es hier zu tun haben, würde viel wirksamer hervorgetreten
sein, wenn man sie nicht immer an den jeder freien Regung und Bewegung
beraubten großen Herren des Madrider Hofes zu messen brauchte, sondern sie
auch einigen urwüchsigen spanischen Volksgestalten gegenüberstellen könnte.
Hätte es in Madrid nichts als Aldas, Domingos, Lermas und Ferias ge¬
geben, so würde man sich wohl oder übel bescheiden müssen; aber da es ein
urfideles Volk gab, aus dem weder der Despot, noch fanatische Mönche, noch
sonstwer eine Herde von Duckmäusern Hütte machen können, so wäre es eine
Wohltat, wenn Schiller Mittel und Wege gefunden Hütte, den Zuschauer ab
und zu zum Volk oder dieses zum Zuschauer schlüpfen zu lassen. So ein
mit lauter feierlichen Leuten und lauter feierlichen Gesprächen verbrachter
Abend macht einen selbst so feierlich, daß man bei der Heimkehr seinen Tee
stehend trinkt und schließlich nicht weiß, ob man sich zu Bett legen und nicht


Historisch - dramatisches Figurenkabinett

wügung zieht, daß der Knoten durch die Machenschaften eines so unter¬
nehmenden Hoffräuleins wie der Eboli geschürzt wird, verrät die Art, wie
der Herzog gezeichnet ist, die Meisterhand und gibt uns schon einen Vor¬
geschmack des spätern Friedlünders. Alba gehört nicht zu denen, die in der
Geschichte schlecht weggekommen sind. Was er war, war er in so ausge-
sprochner Weise, klug, besonnen, tapfer, heimtückisch, fanatisch, grausam, er
handelte unter den beiden Regenten, deren brauchbarster Feldherr er war, so
ganz im Sinne des AnVerlangens, das Posa dem König Schuld gibt:


Sie wollen
Nur meinen Arm und meinen Mut im Felde,
Nur meinen Kopf im Rat. Nicht meine Taten,
Der Beifall, den sie finden an dem Thron,
Soll meiner Taten Endzweck sein,

daß ihn weder seine Zeitgenossen noch die Epigonen mißverstehn konnten.

Die Zeiten, in denen der spanische Einfluß auf die Franzosen und die
Italiener überaus mächtig war, und die etwas spätern, in denen dasselbe in den
Niederlanden und sonst in den Besitzungen der österreichischen Habsburger der
Fall war, liegen so weit hinter uns, daß wir eine recht lebhafte Vorstellung
eigentlich nur von dem einen spanischen Typus haben, den ich als den feierlich
ernsten der spanischen Hofleute, Beamten und Soldaten bezeichnen möchte.
Daß es daneben einen bäuerlich behaglichen, übermütig lustigen gab, der uns
namentlich aus den Schäferspielen und den Autos fast noch lebhafter entgegentritt
als aus der italienischen eommsäig. alsit' arts, vergessen wir dabei ganz, und
man darf Wohl bedauern, daß Schiller es nicht für angebracht gehalten hat,
in seinem Don Carlos mit diesem Gegensatz zu wirken. Da das Trauerspiel
infolge der nötigen und mit hoher Meisterschaft gegebnen Charakterisierung
so vieler in die Handlung eingreifender Personen schon ohnehin für einen
Abend zu lang ist, so war für Szenen, wie sie Goethe mit so viel Glück
in seinem Egmont angebracht hat, leider kein Raum. Leider, denn es würde
dem Zuschauer außerordentlich wohlgetan haben, wenn er sich dem Zwang
einer unerträglichen Etikette, wäre es auch nur für noch so kurze Zeit
gewesen, Hütte entheben können, und die Persönlichkeit des Herzogs Alba,
mit der wir es hier zu tun haben, würde viel wirksamer hervorgetreten
sein, wenn man sie nicht immer an den jeder freien Regung und Bewegung
beraubten großen Herren des Madrider Hofes zu messen brauchte, sondern sie
auch einigen urwüchsigen spanischen Volksgestalten gegenüberstellen könnte.
Hätte es in Madrid nichts als Aldas, Domingos, Lermas und Ferias ge¬
geben, so würde man sich wohl oder übel bescheiden müssen; aber da es ein
urfideles Volk gab, aus dem weder der Despot, noch fanatische Mönche, noch
sonstwer eine Herde von Duckmäusern Hütte machen können, so wäre es eine
Wohltat, wenn Schiller Mittel und Wege gefunden Hütte, den Zuschauer ab
und zu zum Volk oder dieses zum Zuschauer schlüpfen zu lassen. So ein
mit lauter feierlichen Leuten und lauter feierlichen Gesprächen verbrachter
Abend macht einen selbst so feierlich, daß man bei der Heimkehr seinen Tee
stehend trinkt und schließlich nicht weiß, ob man sich zu Bett legen und nicht


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[0668] Historisch - dramatisches Figurenkabinett wügung zieht, daß der Knoten durch die Machenschaften eines so unter¬ nehmenden Hoffräuleins wie der Eboli geschürzt wird, verrät die Art, wie der Herzog gezeichnet ist, die Meisterhand und gibt uns schon einen Vor¬ geschmack des spätern Friedlünders. Alba gehört nicht zu denen, die in der Geschichte schlecht weggekommen sind. Was er war, war er in so ausge- sprochner Weise, klug, besonnen, tapfer, heimtückisch, fanatisch, grausam, er handelte unter den beiden Regenten, deren brauchbarster Feldherr er war, so ganz im Sinne des AnVerlangens, das Posa dem König Schuld gibt: Sie wollen Nur meinen Arm und meinen Mut im Felde, Nur meinen Kopf im Rat. Nicht meine Taten, Der Beifall, den sie finden an dem Thron, Soll meiner Taten Endzweck sein, daß ihn weder seine Zeitgenossen noch die Epigonen mißverstehn konnten. Die Zeiten, in denen der spanische Einfluß auf die Franzosen und die Italiener überaus mächtig war, und die etwas spätern, in denen dasselbe in den Niederlanden und sonst in den Besitzungen der österreichischen Habsburger der Fall war, liegen so weit hinter uns, daß wir eine recht lebhafte Vorstellung eigentlich nur von dem einen spanischen Typus haben, den ich als den feierlich ernsten der spanischen Hofleute, Beamten und Soldaten bezeichnen möchte. Daß es daneben einen bäuerlich behaglichen, übermütig lustigen gab, der uns namentlich aus den Schäferspielen und den Autos fast noch lebhafter entgegentritt als aus der italienischen eommsäig. alsit' arts, vergessen wir dabei ganz, und man darf Wohl bedauern, daß Schiller es nicht für angebracht gehalten hat, in seinem Don Carlos mit diesem Gegensatz zu wirken. Da das Trauerspiel infolge der nötigen und mit hoher Meisterschaft gegebnen Charakterisierung so vieler in die Handlung eingreifender Personen schon ohnehin für einen Abend zu lang ist, so war für Szenen, wie sie Goethe mit so viel Glück in seinem Egmont angebracht hat, leider kein Raum. Leider, denn es würde dem Zuschauer außerordentlich wohlgetan haben, wenn er sich dem Zwang einer unerträglichen Etikette, wäre es auch nur für noch so kurze Zeit gewesen, Hütte entheben können, und die Persönlichkeit des Herzogs Alba, mit der wir es hier zu tun haben, würde viel wirksamer hervorgetreten sein, wenn man sie nicht immer an den jeder freien Regung und Bewegung beraubten großen Herren des Madrider Hofes zu messen brauchte, sondern sie auch einigen urwüchsigen spanischen Volksgestalten gegenüberstellen könnte. Hätte es in Madrid nichts als Aldas, Domingos, Lermas und Ferias ge¬ geben, so würde man sich wohl oder übel bescheiden müssen; aber da es ein urfideles Volk gab, aus dem weder der Despot, noch fanatische Mönche, noch sonstwer eine Herde von Duckmäusern Hütte machen können, so wäre es eine Wohltat, wenn Schiller Mittel und Wege gefunden Hütte, den Zuschauer ab und zu zum Volk oder dieses zum Zuschauer schlüpfen zu lassen. So ein mit lauter feierlichen Leuten und lauter feierlichen Gesprächen verbrachter Abend macht einen selbst so feierlich, daß man bei der Heimkehr seinen Tee stehend trinkt und schließlich nicht weiß, ob man sich zu Bett legen und nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/668>, abgerufen am 27.09.2024.