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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

wurde darauf entgegnet, die Doppelmandcite seien eben der Fluch der bösen Tat der
Diätenlosigkeit; well sie bei dieser nicht bestehn könnten, müßten viele Abgeordnete
zum Doppelmandat ihre Zuflucht nehmen. Mit Verlaub, ihr Herren, so liegt die
Sache in ihrer historischen Entwicklung doch nicht. Es existieren recht sprühende
Reden, z. B. des Abgeordneten Nickert und andrer, die zu der Zeit, als die Zu-
lässigkeit des Doppelmaudats im Norddeutschen Reichstage erörtert wurde, erklärten,
daß die Doppelmandate nötig seien, "um den Zusammenhang zwischen dem Reichstage
und dem Abgeordnetenhause, der Vundesgesetzgebung und der Landesgesetzgebung zu
erhalten." Möglich, daß Herrn Nickert und andern Rednern schon damals der
Gedanke vorgeschwebt hat, die Landtagsdiäten als Äquivalent für die Reichstags-
diätenlosigkeit anzunehmen. Was in den neuern Ausführungen als besonders un¬
zulässig erscheint, ist der Hinweis auf die andern großen, diätenbegabten Parlamente.
Erstens steht diesen allen ein Senat, ein Oberhaus gegenüber, zweitens sind das
gesetzgebende Versammlungen einheitlicher Staaten, während unser Reichstag die
Vertretung eines bundesstaatlich organisierten Staatsgebildes darstellt neben dem
Zweikammersystem der Einzelstaaten. Der Reichstag ist somit mit den parlamen¬
tarischen Körperschaften andrer Nationen überhaupt nicht zu vergleichen. Leider hat
er sich ganz anders entwickelt, als er ursprünglich gedacht war und sich im ersten
Jahrzehnt seines Bestehens auch erhalten hat. Der damalige Reichstag hätte Diäten-
zumutungen, wie sie jetzt gäng und gäbe sind, als beleidigend abgewiesen, dem heutigen
*z* Reichstage aber ist durch Diäten ganz gewiß nicht zu helfen.




Erhaltung und Erhöhung der Wehrfähigkeit unsrer Mittelschul¬

jugend.

Wenn meine Augen vom Wandern über die grauen Zeilen der Arbeiten,
worin die Schüler die Künste der ?a,Is,ostriz (Ziesromaug, üben, müde geworden sind,
kann ich sie, was in der Großstadt nichts Kleines ist, auf dem dichte" Blätter¬
gewebe benachbarter Gärten ruhn lassen. Da erfreut sie außer dem Grün der
Ahorne oft ein anmutiges Pentathlon. Spielend und dürrend üben die Kinder
eines hohen Hofbeamten auf Lohe und Rasen die junge Kraft. Gewöhnlich ist der
Vater selbst 7rtttckor^/?^s und verwendet in der körperlichen Erziehung seiner
eignen Kinder die pädagogische Erfahrung und Kunst, die er sich als Offizier in
der Ausbildung seiner Rekruten erworben hat. Mehrmals in der Woche erscheint
am Abend ein Unteroffizier des Jnfanterie-Leib-Regiments und unterweise mit unver¬
kennbarem Takt und mit pädagogischen Geschick die drei Knaben und die zwei
ältern von den Mädchen im Reckturnen, im Klettern, im Dauerlauf, im Hoch- und
im Weitsprung. Drollig sieht es aus und das Herz erfreut es, wenn die jüngere
der kleinen Amazonen, ein fünfjähriges Kind, in Übungen wie die Kniewelle es
den Brüdern nachzutun versucht. Weiter drüben im Grün, jenseits des nächsten
Zauns, ragt ein zweites Turngerüst ins Ahorngettst. Der glückliche Besitzer, der
jüngste Sohn eines Offiziers, teilt dieses Gut mit Quartanern aus der Häuser¬
wüste, die außer der Straße keinen Spielplatz haben, und an freien Nachmittagen
sehe ich oft länger, als dem Gymnasiallehrer in mir zulässig erscheint, den kleinen
Turnplatz und das Gerüst belebt von fröhlicher Jugend. Wird so wie hier durch
die Einsicht der Eltern und durch die Gunst der Verhältnisse die karge körperliche
Erziehung, die das Gymnasium gibt, ergänzt, dann legen die Kinder den weiten
Weg durch die Schule freilich ohne Schaden oder doch mit geringem Schaden
zurück. Aber die Wohltat der körperlichen Erziehung muß auch den Kindern
minder wohlhabender und minder weiser Eltern zuteil werden, nicht bloß einem
kleinen Kreise durch die Freundlichkeit eines guten Kameraden, sondern allen armen
"Tintenbnben," deren Tummelplatz die Straße ist, durch die Fürsorge des Staats.

Diese Forderung schon wieder auszusprechen, drängt mich die Mahnung, die
aus dem Buche des bayrischen Generalstabsarztes z. D. Dr. Anton von Vogt über
"Die wehrpflichtige Jugend Bayerns"*) klingt.



') München, I. F. Lehmanns Verlag, 1905.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

wurde darauf entgegnet, die Doppelmandcite seien eben der Fluch der bösen Tat der
Diätenlosigkeit; well sie bei dieser nicht bestehn könnten, müßten viele Abgeordnete
zum Doppelmandat ihre Zuflucht nehmen. Mit Verlaub, ihr Herren, so liegt die
Sache in ihrer historischen Entwicklung doch nicht. Es existieren recht sprühende
Reden, z. B. des Abgeordneten Nickert und andrer, die zu der Zeit, als die Zu-
lässigkeit des Doppelmaudats im Norddeutschen Reichstage erörtert wurde, erklärten,
daß die Doppelmandate nötig seien, „um den Zusammenhang zwischen dem Reichstage
und dem Abgeordnetenhause, der Vundesgesetzgebung und der Landesgesetzgebung zu
erhalten." Möglich, daß Herrn Nickert und andern Rednern schon damals der
Gedanke vorgeschwebt hat, die Landtagsdiäten als Äquivalent für die Reichstags-
diätenlosigkeit anzunehmen. Was in den neuern Ausführungen als besonders un¬
zulässig erscheint, ist der Hinweis auf die andern großen, diätenbegabten Parlamente.
Erstens steht diesen allen ein Senat, ein Oberhaus gegenüber, zweitens sind das
gesetzgebende Versammlungen einheitlicher Staaten, während unser Reichstag die
Vertretung eines bundesstaatlich organisierten Staatsgebildes darstellt neben dem
Zweikammersystem der Einzelstaaten. Der Reichstag ist somit mit den parlamen¬
tarischen Körperschaften andrer Nationen überhaupt nicht zu vergleichen. Leider hat
er sich ganz anders entwickelt, als er ursprünglich gedacht war und sich im ersten
Jahrzehnt seines Bestehens auch erhalten hat. Der damalige Reichstag hätte Diäten-
zumutungen, wie sie jetzt gäng und gäbe sind, als beleidigend abgewiesen, dem heutigen
*z* Reichstage aber ist durch Diäten ganz gewiß nicht zu helfen.




Erhaltung und Erhöhung der Wehrfähigkeit unsrer Mittelschul¬

jugend.

Wenn meine Augen vom Wandern über die grauen Zeilen der Arbeiten,
worin die Schüler die Künste der ?a,Is,ostriz (Ziesromaug, üben, müde geworden sind,
kann ich sie, was in der Großstadt nichts Kleines ist, auf dem dichte« Blätter¬
gewebe benachbarter Gärten ruhn lassen. Da erfreut sie außer dem Grün der
Ahorne oft ein anmutiges Pentathlon. Spielend und dürrend üben die Kinder
eines hohen Hofbeamten auf Lohe und Rasen die junge Kraft. Gewöhnlich ist der
Vater selbst 7rtttckor^/?^s und verwendet in der körperlichen Erziehung seiner
eignen Kinder die pädagogische Erfahrung und Kunst, die er sich als Offizier in
der Ausbildung seiner Rekruten erworben hat. Mehrmals in der Woche erscheint
am Abend ein Unteroffizier des Jnfanterie-Leib-Regiments und unterweise mit unver¬
kennbarem Takt und mit pädagogischen Geschick die drei Knaben und die zwei
ältern von den Mädchen im Reckturnen, im Klettern, im Dauerlauf, im Hoch- und
im Weitsprung. Drollig sieht es aus und das Herz erfreut es, wenn die jüngere
der kleinen Amazonen, ein fünfjähriges Kind, in Übungen wie die Kniewelle es
den Brüdern nachzutun versucht. Weiter drüben im Grün, jenseits des nächsten
Zauns, ragt ein zweites Turngerüst ins Ahorngettst. Der glückliche Besitzer, der
jüngste Sohn eines Offiziers, teilt dieses Gut mit Quartanern aus der Häuser¬
wüste, die außer der Straße keinen Spielplatz haben, und an freien Nachmittagen
sehe ich oft länger, als dem Gymnasiallehrer in mir zulässig erscheint, den kleinen
Turnplatz und das Gerüst belebt von fröhlicher Jugend. Wird so wie hier durch
die Einsicht der Eltern und durch die Gunst der Verhältnisse die karge körperliche
Erziehung, die das Gymnasium gibt, ergänzt, dann legen die Kinder den weiten
Weg durch die Schule freilich ohne Schaden oder doch mit geringem Schaden
zurück. Aber die Wohltat der körperlichen Erziehung muß auch den Kindern
minder wohlhabender und minder weiser Eltern zuteil werden, nicht bloß einem
kleinen Kreise durch die Freundlichkeit eines guten Kameraden, sondern allen armen
„Tintenbnben," deren Tummelplatz die Straße ist, durch die Fürsorge des Staats.

Diese Forderung schon wieder auszusprechen, drängt mich die Mahnung, die
aus dem Buche des bayrischen Generalstabsarztes z. D. Dr. Anton von Vogt über
„Die wehrpflichtige Jugend Bayerns"*) klingt.



') München, I. F. Lehmanns Verlag, 1905.
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[0058] Maßgebliches und Unmaßgebliches wurde darauf entgegnet, die Doppelmandcite seien eben der Fluch der bösen Tat der Diätenlosigkeit; well sie bei dieser nicht bestehn könnten, müßten viele Abgeordnete zum Doppelmandat ihre Zuflucht nehmen. Mit Verlaub, ihr Herren, so liegt die Sache in ihrer historischen Entwicklung doch nicht. Es existieren recht sprühende Reden, z. B. des Abgeordneten Nickert und andrer, die zu der Zeit, als die Zu- lässigkeit des Doppelmaudats im Norddeutschen Reichstage erörtert wurde, erklärten, daß die Doppelmandate nötig seien, „um den Zusammenhang zwischen dem Reichstage und dem Abgeordnetenhause, der Vundesgesetzgebung und der Landesgesetzgebung zu erhalten." Möglich, daß Herrn Nickert und andern Rednern schon damals der Gedanke vorgeschwebt hat, die Landtagsdiäten als Äquivalent für die Reichstags- diätenlosigkeit anzunehmen. Was in den neuern Ausführungen als besonders un¬ zulässig erscheint, ist der Hinweis auf die andern großen, diätenbegabten Parlamente. Erstens steht diesen allen ein Senat, ein Oberhaus gegenüber, zweitens sind das gesetzgebende Versammlungen einheitlicher Staaten, während unser Reichstag die Vertretung eines bundesstaatlich organisierten Staatsgebildes darstellt neben dem Zweikammersystem der Einzelstaaten. Der Reichstag ist somit mit den parlamen¬ tarischen Körperschaften andrer Nationen überhaupt nicht zu vergleichen. Leider hat er sich ganz anders entwickelt, als er ursprünglich gedacht war und sich im ersten Jahrzehnt seines Bestehens auch erhalten hat. Der damalige Reichstag hätte Diäten- zumutungen, wie sie jetzt gäng und gäbe sind, als beleidigend abgewiesen, dem heutigen *z* Reichstage aber ist durch Diäten ganz gewiß nicht zu helfen. Erhaltung und Erhöhung der Wehrfähigkeit unsrer Mittelschul¬ jugend. Wenn meine Augen vom Wandern über die grauen Zeilen der Arbeiten, worin die Schüler die Künste der ?a,Is,ostriz (Ziesromaug, üben, müde geworden sind, kann ich sie, was in der Großstadt nichts Kleines ist, auf dem dichte« Blätter¬ gewebe benachbarter Gärten ruhn lassen. Da erfreut sie außer dem Grün der Ahorne oft ein anmutiges Pentathlon. Spielend und dürrend üben die Kinder eines hohen Hofbeamten auf Lohe und Rasen die junge Kraft. Gewöhnlich ist der Vater selbst 7rtttckor^/?^s und verwendet in der körperlichen Erziehung seiner eignen Kinder die pädagogische Erfahrung und Kunst, die er sich als Offizier in der Ausbildung seiner Rekruten erworben hat. Mehrmals in der Woche erscheint am Abend ein Unteroffizier des Jnfanterie-Leib-Regiments und unterweise mit unver¬ kennbarem Takt und mit pädagogischen Geschick die drei Knaben und die zwei ältern von den Mädchen im Reckturnen, im Klettern, im Dauerlauf, im Hoch- und im Weitsprung. Drollig sieht es aus und das Herz erfreut es, wenn die jüngere der kleinen Amazonen, ein fünfjähriges Kind, in Übungen wie die Kniewelle es den Brüdern nachzutun versucht. Weiter drüben im Grün, jenseits des nächsten Zauns, ragt ein zweites Turngerüst ins Ahorngettst. Der glückliche Besitzer, der jüngste Sohn eines Offiziers, teilt dieses Gut mit Quartanern aus der Häuser¬ wüste, die außer der Straße keinen Spielplatz haben, und an freien Nachmittagen sehe ich oft länger, als dem Gymnasiallehrer in mir zulässig erscheint, den kleinen Turnplatz und das Gerüst belebt von fröhlicher Jugend. Wird so wie hier durch die Einsicht der Eltern und durch die Gunst der Verhältnisse die karge körperliche Erziehung, die das Gymnasium gibt, ergänzt, dann legen die Kinder den weiten Weg durch die Schule freilich ohne Schaden oder doch mit geringem Schaden zurück. Aber die Wohltat der körperlichen Erziehung muß auch den Kindern minder wohlhabender und minder weiser Eltern zuteil werden, nicht bloß einem kleinen Kreise durch die Freundlichkeit eines guten Kameraden, sondern allen armen „Tintenbnben," deren Tummelplatz die Straße ist, durch die Fürsorge des Staats. Diese Forderung schon wieder auszusprechen, drängt mich die Mahnung, die aus dem Buche des bayrischen Generalstabsarztes z. D. Dr. Anton von Vogt über „Die wehrpflichtige Jugend Bayerns"*) klingt. ') München, I. F. Lehmanns Verlag, 1905.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/58>, abgerufen am 27.09.2024.