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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

fasser die Zurückdrängung der Russen aus dem größten Teile Sibiriens. Auf
Seite 26 scheint der Verfasser noch einige Zweifel über solche Behauptungen zu
hegen, denn an dieser Stelle ist die Prophezeiung noch in die vorsichtige Form
gekleidet: "Weitere Kämpfe in kommenden Jahrzehnten dürften die Russen immer
weiter nach Westen zurückdrängen." Auf Seite 241 weiß der Verfasser aber schou
ganz bestimmt auf einer durch Sperrdruck hervorgehobnen Stelle zu erklären: "In
fünfzig Jahren schon wird Rußland den größten Teil Sibiriens an die gelbe Rasse
verloren haben." So und ähnlich ist mit dem Fortschreiten der Arbeit die Phantasie
des Verfassers fortgeschritten; die Möglichkeit wird zur Wirklichkeit, das Futurum
zum Präsens.

Daß die japanischen Finanzen und die Wohlstandsverhältuisse von dem Verfasser
günstig beurteilt werden, entspricht seiner Grundauffassung. Ob aus dieser Auf¬
fassung aber der Schluß abgeleitet werden kann, daß "aller Voraussicht nach" auch
in Zukunft die japanischen Anleihen "regelmäßig höher stehn" werden als die
russischen (S. 227), daß der Nationalreichtum der 45 Millionen Japaner "in wenig
Jahrzehnten vielleicht das Nationalvermögen der 142 Millionen Russen erreichen"
wird, sowie daß den Japanern das Geld zur Zivilisierung Koreas und der Mand¬
schurei "haufenweise" zuströmen wird (S. 128), erscheint immerhin fraglich. Jeden¬
falls ist der Verfasser für diese Behauptungen den Beweis schuldig geblieben. Bei
ihm ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Daß die erste russische Volks¬
vertretung die "Trägerin arger politischer und sozialer Kämpfe" werden wird
(S. 198), daß ein russisches Parlament "stets, besonders aber in dem nächsten
halben Jahrhundert ein wahrer Born revolutionärer Gefahr" sein wird (S. 200),
und daß "die beginnende russische Revolution auch in dreißig bis vierzig Jahren
noch nicht völlig beendigt" sein wird, ist dem Verfasser unumstößliche Wahrheit.
Hierfür, ebenso wie für seine Behauptung, daß die revolutionäre Bewegung in
Rußland "an Dauer und Stärke die französische Revolution weit überragen" wird,
bleibt der Verfasser jeden Schein eines Beweises schuldig. Als Mitglied des
Kaiserlichen Statistischen Amtes, als das er berufen ist, das wissenschaftliche Ansehen
dieser Behörde mit zu wahren, scheint der Verfasser Beweise für seine Behauptungen
überhaupt nicht für nötig zu halten. Es genügt ihm, daß er die Behauptung
aufstellt, und die "urteilslose Masse" (S. 136) hats dem Herrn Regierungsrat zu
glauben!

Mit den düstern Prophezeiungen über Rußlands Zukunft steht freilich die
Darlegung auf Seite 184 nicht ganz im Einklang, wonach die "gewaltige Aus¬
dehnung der Ländermassen" ein starkes Gegengewicht gegenüber der Revolution
sein wird, wonach weiter sich bei der ländlichen Bevölkerung die "Gleichgiltigkeit
gegen die Revolution in noch stärkeren Maße in Rußland geltend machen" wird
als in Frankreich, und wonach der Zar "schon als Oberhaupt der Kirche" bei allen
"Wechselfällen der großen russischen Revolution bei Millionen Bauern Anerkennung
und Unterstützung finden" wird (S. 186).

Ein Hauptpunkt, auf den der Verfasser seine Prophezeiungen stützt, ist die
Lage und die Entwicklung der russischen Landwirtschaft. Die Lage der russischen Land¬
wirtschaft ist "hoffnungslos." Dem Verfasser ist es nach Seite 78 zweifellos, daß
mit der Mißernte von 1905 eine "wiedereröffnete Reihe der Mißernten" begonnen
hat. Er sieht voraus (Seite 48), daß die innern Getreidepreise in den nächsten
Jahren in Rußland sinken werden, es ist ihm sicher (Seite 56), daß die russische
Landwirtschaft "die doppelte -- warum der Verfasser hier seine Lieblingszahl
"dreifach" nicht anwendet, ist nicht klar -- Zeit wie die deutsche brauchen" wird
für den Übergang zur Fruchtwechselwirtschaft, es erscheint ihm (Seite 57) "aus¬
geschlossen, daß die russische Landwirtschaft, die heute den vier- bis fünffachen Ertrag
der Aussaat bringt, vor hundert Jahren den zwölffachen Ertrag hervorbringen wird,
den die Fruchtbarkeit des russischen Bodens an sich ermöglicht." Der Verfasser
weiß ganz genau: "erst in fünfzig bis hundert Jahren wird der russische Bauer


Maßgebliches und Unmaßgebliches

fasser die Zurückdrängung der Russen aus dem größten Teile Sibiriens. Auf
Seite 26 scheint der Verfasser noch einige Zweifel über solche Behauptungen zu
hegen, denn an dieser Stelle ist die Prophezeiung noch in die vorsichtige Form
gekleidet: „Weitere Kämpfe in kommenden Jahrzehnten dürften die Russen immer
weiter nach Westen zurückdrängen." Auf Seite 241 weiß der Verfasser aber schou
ganz bestimmt auf einer durch Sperrdruck hervorgehobnen Stelle zu erklären: „In
fünfzig Jahren schon wird Rußland den größten Teil Sibiriens an die gelbe Rasse
verloren haben." So und ähnlich ist mit dem Fortschreiten der Arbeit die Phantasie
des Verfassers fortgeschritten; die Möglichkeit wird zur Wirklichkeit, das Futurum
zum Präsens.

Daß die japanischen Finanzen und die Wohlstandsverhältuisse von dem Verfasser
günstig beurteilt werden, entspricht seiner Grundauffassung. Ob aus dieser Auf¬
fassung aber der Schluß abgeleitet werden kann, daß „aller Voraussicht nach" auch
in Zukunft die japanischen Anleihen „regelmäßig höher stehn" werden als die
russischen (S. 227), daß der Nationalreichtum der 45 Millionen Japaner „in wenig
Jahrzehnten vielleicht das Nationalvermögen der 142 Millionen Russen erreichen"
wird, sowie daß den Japanern das Geld zur Zivilisierung Koreas und der Mand¬
schurei „haufenweise" zuströmen wird (S. 128), erscheint immerhin fraglich. Jeden¬
falls ist der Verfasser für diese Behauptungen den Beweis schuldig geblieben. Bei
ihm ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Daß die erste russische Volks¬
vertretung die „Trägerin arger politischer und sozialer Kämpfe" werden wird
(S. 198), daß ein russisches Parlament „stets, besonders aber in dem nächsten
halben Jahrhundert ein wahrer Born revolutionärer Gefahr" sein wird (S. 200),
und daß „die beginnende russische Revolution auch in dreißig bis vierzig Jahren
noch nicht völlig beendigt" sein wird, ist dem Verfasser unumstößliche Wahrheit.
Hierfür, ebenso wie für seine Behauptung, daß die revolutionäre Bewegung in
Rußland „an Dauer und Stärke die französische Revolution weit überragen" wird,
bleibt der Verfasser jeden Schein eines Beweises schuldig. Als Mitglied des
Kaiserlichen Statistischen Amtes, als das er berufen ist, das wissenschaftliche Ansehen
dieser Behörde mit zu wahren, scheint der Verfasser Beweise für seine Behauptungen
überhaupt nicht für nötig zu halten. Es genügt ihm, daß er die Behauptung
aufstellt, und die „urteilslose Masse" (S. 136) hats dem Herrn Regierungsrat zu
glauben!

Mit den düstern Prophezeiungen über Rußlands Zukunft steht freilich die
Darlegung auf Seite 184 nicht ganz im Einklang, wonach die „gewaltige Aus¬
dehnung der Ländermassen" ein starkes Gegengewicht gegenüber der Revolution
sein wird, wonach weiter sich bei der ländlichen Bevölkerung die „Gleichgiltigkeit
gegen die Revolution in noch stärkeren Maße in Rußland geltend machen" wird
als in Frankreich, und wonach der Zar „schon als Oberhaupt der Kirche" bei allen
„Wechselfällen der großen russischen Revolution bei Millionen Bauern Anerkennung
und Unterstützung finden" wird (S. 186).

Ein Hauptpunkt, auf den der Verfasser seine Prophezeiungen stützt, ist die
Lage und die Entwicklung der russischen Landwirtschaft. Die Lage der russischen Land¬
wirtschaft ist „hoffnungslos." Dem Verfasser ist es nach Seite 78 zweifellos, daß
mit der Mißernte von 1905 eine „wiedereröffnete Reihe der Mißernten" begonnen
hat. Er sieht voraus (Seite 48), daß die innern Getreidepreise in den nächsten
Jahren in Rußland sinken werden, es ist ihm sicher (Seite 56), daß die russische
Landwirtschaft „die doppelte — warum der Verfasser hier seine Lieblingszahl
»dreifach« nicht anwendet, ist nicht klar — Zeit wie die deutsche brauchen" wird
für den Übergang zur Fruchtwechselwirtschaft, es erscheint ihm (Seite 57) „aus¬
geschlossen, daß die russische Landwirtschaft, die heute den vier- bis fünffachen Ertrag
der Aussaat bringt, vor hundert Jahren den zwölffachen Ertrag hervorbringen wird,
den die Fruchtbarkeit des russischen Bodens an sich ermöglicht." Der Verfasser
weiß ganz genau: „erst in fünfzig bis hundert Jahren wird der russische Bauer


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[0571] Maßgebliches und Unmaßgebliches fasser die Zurückdrängung der Russen aus dem größten Teile Sibiriens. Auf Seite 26 scheint der Verfasser noch einige Zweifel über solche Behauptungen zu hegen, denn an dieser Stelle ist die Prophezeiung noch in die vorsichtige Form gekleidet: „Weitere Kämpfe in kommenden Jahrzehnten dürften die Russen immer weiter nach Westen zurückdrängen." Auf Seite 241 weiß der Verfasser aber schou ganz bestimmt auf einer durch Sperrdruck hervorgehobnen Stelle zu erklären: „In fünfzig Jahren schon wird Rußland den größten Teil Sibiriens an die gelbe Rasse verloren haben." So und ähnlich ist mit dem Fortschreiten der Arbeit die Phantasie des Verfassers fortgeschritten; die Möglichkeit wird zur Wirklichkeit, das Futurum zum Präsens. Daß die japanischen Finanzen und die Wohlstandsverhältuisse von dem Verfasser günstig beurteilt werden, entspricht seiner Grundauffassung. Ob aus dieser Auf¬ fassung aber der Schluß abgeleitet werden kann, daß „aller Voraussicht nach" auch in Zukunft die japanischen Anleihen „regelmäßig höher stehn" werden als die russischen (S. 227), daß der Nationalreichtum der 45 Millionen Japaner „in wenig Jahrzehnten vielleicht das Nationalvermögen der 142 Millionen Russen erreichen" wird, sowie daß den Japanern das Geld zur Zivilisierung Koreas und der Mand¬ schurei „haufenweise" zuströmen wird (S. 128), erscheint immerhin fraglich. Jeden¬ falls ist der Verfasser für diese Behauptungen den Beweis schuldig geblieben. Bei ihm ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Daß die erste russische Volks¬ vertretung die „Trägerin arger politischer und sozialer Kämpfe" werden wird (S. 198), daß ein russisches Parlament „stets, besonders aber in dem nächsten halben Jahrhundert ein wahrer Born revolutionärer Gefahr" sein wird (S. 200), und daß „die beginnende russische Revolution auch in dreißig bis vierzig Jahren noch nicht völlig beendigt" sein wird, ist dem Verfasser unumstößliche Wahrheit. Hierfür, ebenso wie für seine Behauptung, daß die revolutionäre Bewegung in Rußland „an Dauer und Stärke die französische Revolution weit überragen" wird, bleibt der Verfasser jeden Schein eines Beweises schuldig. Als Mitglied des Kaiserlichen Statistischen Amtes, als das er berufen ist, das wissenschaftliche Ansehen dieser Behörde mit zu wahren, scheint der Verfasser Beweise für seine Behauptungen überhaupt nicht für nötig zu halten. Es genügt ihm, daß er die Behauptung aufstellt, und die „urteilslose Masse" (S. 136) hats dem Herrn Regierungsrat zu glauben! Mit den düstern Prophezeiungen über Rußlands Zukunft steht freilich die Darlegung auf Seite 184 nicht ganz im Einklang, wonach die „gewaltige Aus¬ dehnung der Ländermassen" ein starkes Gegengewicht gegenüber der Revolution sein wird, wonach weiter sich bei der ländlichen Bevölkerung die „Gleichgiltigkeit gegen die Revolution in noch stärkeren Maße in Rußland geltend machen" wird als in Frankreich, und wonach der Zar „schon als Oberhaupt der Kirche" bei allen „Wechselfällen der großen russischen Revolution bei Millionen Bauern Anerkennung und Unterstützung finden" wird (S. 186). Ein Hauptpunkt, auf den der Verfasser seine Prophezeiungen stützt, ist die Lage und die Entwicklung der russischen Landwirtschaft. Die Lage der russischen Land¬ wirtschaft ist „hoffnungslos." Dem Verfasser ist es nach Seite 78 zweifellos, daß mit der Mißernte von 1905 eine „wiedereröffnete Reihe der Mißernten" begonnen hat. Er sieht voraus (Seite 48), daß die innern Getreidepreise in den nächsten Jahren in Rußland sinken werden, es ist ihm sicher (Seite 56), daß die russische Landwirtschaft „die doppelte — warum der Verfasser hier seine Lieblingszahl »dreifach« nicht anwendet, ist nicht klar — Zeit wie die deutsche brauchen" wird für den Übergang zur Fruchtwechselwirtschaft, es erscheint ihm (Seite 57) „aus¬ geschlossen, daß die russische Landwirtschaft, die heute den vier- bis fünffachen Ertrag der Aussaat bringt, vor hundert Jahren den zwölffachen Ertrag hervorbringen wird, den die Fruchtbarkeit des russischen Bodens an sich ermöglicht." Der Verfasser weiß ganz genau: „erst in fünfzig bis hundert Jahren wird der russische Bauer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/571>, abgerufen am 27.09.2024.