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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gekommen erachtet, zu erklären, daß auch Kanada in die Einflußsphäre des Sternen¬
banners falle. Vielleicht wird man bis dahin noch erfahren, ob das englisch¬
japanische Bündnis nicht noch geheime Abmachungen wegen Amerikas enthält.

Einige Blätter regen sich darüber auf, daß Prinz Heinrich nach Flensburg
gereist ist, um dort den Besuch des englischen Admirals Wilson zu empfangen und
zu erwidern, und sehen darin eine Änderung der Haltung des Kaisers gegen¬
über dem Flottenbesuch. Tatsächlich ist Prinz Heinrich doch Chef der Ostseestation,
und Flensburg liegt, viel mehr als Swinemünde und Danzig, gleichsam vor den
Toren von Kiel in seinem Befehlsbereich. Es ist wohl eigentlich selbstverständlich,
daß der Chef der Ostseestation, wenn eine so starke fremde Flotte in einem nnter
ihn gestellten Hafen in der Nähe seines Dienstsitzes erscheint, die Meldung des
Admirals empfängt und seinen Besuch erwidert. Zudem ist Prinz Heinrich ebenso
wie der Kaiser Ehrenadmiral der britischen Flotte. Das Unterlassen einer Be¬
gegnung mit der Kanalflotte innerhalb seines Befehlsbereichs würde mithin eine
di rekte UnHöflichkeit gewesen sein. _


Die "angebliche Zukunft Rußlands und Japans."

Unter Posaunen¬
stößen der Reklame hat ein Beamter des Kaiserlichen Statistischen Amtes, Regierungsrat
Rudolf Martin, ein Werk im Buchhandel erscheinen lassen, das seinem Titel "Die
Zukunft Rußlands und Japans" den Aufsehen erregenden Untertitel: "Soll
Deutschland die Zeche bezahlen?" und "Die deutschen Milliarden in Gefahr!" hin¬
zufügt, und dessen Inhalt dahin ausmündet, daß der Verfasser "aus nationalen und
sozialen Gründen öffentlich Einspruch erhebt gegen die Zulassung neuer russischer
Anleihen an deutschen Börsen." Wir wollen nicht erörtern, ob es geschmackvoll war,
daß Herr Martin seinem Buche eine reklmnehafte äußere Ausstattung verliehen, und
daß er zugelassen hat, daß sein Verleger in der Ankündigung des Werkes verkündet,
"es dürfte in der ganzen Welt das größte Aufsehen erregen, daß ein Mitglied des
Kaiserlichen Statistischen Amtes mit seinem Namen und nnter voller Verwendung
seines Amtstitels öffentlich gegen jede weitere russische Anleihe an deutschen Börsen
Einspruch erhoben hat." Aber wenn schon der Verfasser es für gut befunden hat,
sich mit besondern, Nachdruck als Beamter des Kaiserlichen Statistischen Amtes in
die Öffentlichkeit einzuführen, also mit dem wohlbegründeten wissenschaftlichen Ruf
dieser Behörde für sein Werk Propaganda zu machen sucht, dann wird er sich auch
nicht wundern dürfen, daß man das pomphafte Buch recht genau darauf prüft, ob
es den wissenschaftlichen Anforderungen, die man an ein Mitglied einer solchen
Behörde stellen muß, gerecht wird. Das Ergebnis einer solchen Prüfung ist freilich
ein andres, als der Verleger in dem Ankündigungsschreiben mitteilt: an "strenger
Wissenschaftlichkeit des Buches" können wir wenig finden! Schon das ungewöhnlich
starke Maß von Druckerschwärze, das zu der Hervorhebung der Schlagworte, namentlich
in dem letzten Abschnitt: "Deutschland am Scheidewege" aufgetragen ist, die ganze
äußere Ausstattung, die wuchtige Art des buchhändlerischen Vertriebs erinnern eher
an einen Sensationsroman als an eine wissenschaftliche Arbeit. Die Art der Beweis¬
führung entspricht keineswegs der bei wissenschaftlichen Büchern üblichen Art und
Gründlichkeit. Für viele Behauptungen bleibt der Verfasser den Beweis einfach
schuldig. Viele anekdotenhafte Einschaltungen und entbehrliche Exkurse, billige nach¬
trägliche Ratschläge, wie man vor hundert und mehr Jahren hätte handeln müssen,
eine sonderbare Auffassung des Charakters der französischen Revolution: "Die fran¬
zösische Revolution wird in der Weltgeschichte künftig bezeichnet werden als die kurze
Revolution oder die Revolution der kleinen Gegensätze," zeigen den wenig wissen¬
schaftlichen Charakter des Werkes. Von entscheidender Bedeutung für die Frage,
ob es sich um ein Werk von wissenschaftlichem Werte handelt, ist die Tatsache, daß
die Art der Beweisführung wissenschaftlichen Grundsätzen in keiner Weise entspricht.
Wer, wie der Verfasser, das Zeug in sich fühlt, die künftige Entwicklung eines großen
Staatswesens uicht etwa für wenig Jahre sondern auf hundert und hundertundfunfzig


Grenzboten III 1905 71
Maßgebliches und Unmaßgebliches

gekommen erachtet, zu erklären, daß auch Kanada in die Einflußsphäre des Sternen¬
banners falle. Vielleicht wird man bis dahin noch erfahren, ob das englisch¬
japanische Bündnis nicht noch geheime Abmachungen wegen Amerikas enthält.

Einige Blätter regen sich darüber auf, daß Prinz Heinrich nach Flensburg
gereist ist, um dort den Besuch des englischen Admirals Wilson zu empfangen und
zu erwidern, und sehen darin eine Änderung der Haltung des Kaisers gegen¬
über dem Flottenbesuch. Tatsächlich ist Prinz Heinrich doch Chef der Ostseestation,
und Flensburg liegt, viel mehr als Swinemünde und Danzig, gleichsam vor den
Toren von Kiel in seinem Befehlsbereich. Es ist wohl eigentlich selbstverständlich,
daß der Chef der Ostseestation, wenn eine so starke fremde Flotte in einem nnter
ihn gestellten Hafen in der Nähe seines Dienstsitzes erscheint, die Meldung des
Admirals empfängt und seinen Besuch erwidert. Zudem ist Prinz Heinrich ebenso
wie der Kaiser Ehrenadmiral der britischen Flotte. Das Unterlassen einer Be¬
gegnung mit der Kanalflotte innerhalb seines Befehlsbereichs würde mithin eine
di rekte UnHöflichkeit gewesen sein. _


Die „angebliche Zukunft Rußlands und Japans."

Unter Posaunen¬
stößen der Reklame hat ein Beamter des Kaiserlichen Statistischen Amtes, Regierungsrat
Rudolf Martin, ein Werk im Buchhandel erscheinen lassen, das seinem Titel „Die
Zukunft Rußlands und Japans" den Aufsehen erregenden Untertitel: „Soll
Deutschland die Zeche bezahlen?" und „Die deutschen Milliarden in Gefahr!" hin¬
zufügt, und dessen Inhalt dahin ausmündet, daß der Verfasser „aus nationalen und
sozialen Gründen öffentlich Einspruch erhebt gegen die Zulassung neuer russischer
Anleihen an deutschen Börsen." Wir wollen nicht erörtern, ob es geschmackvoll war,
daß Herr Martin seinem Buche eine reklmnehafte äußere Ausstattung verliehen, und
daß er zugelassen hat, daß sein Verleger in der Ankündigung des Werkes verkündet,
„es dürfte in der ganzen Welt das größte Aufsehen erregen, daß ein Mitglied des
Kaiserlichen Statistischen Amtes mit seinem Namen und nnter voller Verwendung
seines Amtstitels öffentlich gegen jede weitere russische Anleihe an deutschen Börsen
Einspruch erhoben hat." Aber wenn schon der Verfasser es für gut befunden hat,
sich mit besondern, Nachdruck als Beamter des Kaiserlichen Statistischen Amtes in
die Öffentlichkeit einzuführen, also mit dem wohlbegründeten wissenschaftlichen Ruf
dieser Behörde für sein Werk Propaganda zu machen sucht, dann wird er sich auch
nicht wundern dürfen, daß man das pomphafte Buch recht genau darauf prüft, ob
es den wissenschaftlichen Anforderungen, die man an ein Mitglied einer solchen
Behörde stellen muß, gerecht wird. Das Ergebnis einer solchen Prüfung ist freilich
ein andres, als der Verleger in dem Ankündigungsschreiben mitteilt: an „strenger
Wissenschaftlichkeit des Buches" können wir wenig finden! Schon das ungewöhnlich
starke Maß von Druckerschwärze, das zu der Hervorhebung der Schlagworte, namentlich
in dem letzten Abschnitt: „Deutschland am Scheidewege" aufgetragen ist, die ganze
äußere Ausstattung, die wuchtige Art des buchhändlerischen Vertriebs erinnern eher
an einen Sensationsroman als an eine wissenschaftliche Arbeit. Die Art der Beweis¬
führung entspricht keineswegs der bei wissenschaftlichen Büchern üblichen Art und
Gründlichkeit. Für viele Behauptungen bleibt der Verfasser den Beweis einfach
schuldig. Viele anekdotenhafte Einschaltungen und entbehrliche Exkurse, billige nach¬
trägliche Ratschläge, wie man vor hundert und mehr Jahren hätte handeln müssen,
eine sonderbare Auffassung des Charakters der französischen Revolution: „Die fran¬
zösische Revolution wird in der Weltgeschichte künftig bezeichnet werden als die kurze
Revolution oder die Revolution der kleinen Gegensätze," zeigen den wenig wissen¬
schaftlichen Charakter des Werkes. Von entscheidender Bedeutung für die Frage,
ob es sich um ein Werk von wissenschaftlichem Werte handelt, ist die Tatsache, daß
die Art der Beweisführung wissenschaftlichen Grundsätzen in keiner Weise entspricht.
Wer, wie der Verfasser, das Zeug in sich fühlt, die künftige Entwicklung eines großen
Staatswesens uicht etwa für wenig Jahre sondern auf hundert und hundertundfunfzig


Grenzboten III 1905 71
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[0569] Maßgebliches und Unmaßgebliches gekommen erachtet, zu erklären, daß auch Kanada in die Einflußsphäre des Sternen¬ banners falle. Vielleicht wird man bis dahin noch erfahren, ob das englisch¬ japanische Bündnis nicht noch geheime Abmachungen wegen Amerikas enthält. Einige Blätter regen sich darüber auf, daß Prinz Heinrich nach Flensburg gereist ist, um dort den Besuch des englischen Admirals Wilson zu empfangen und zu erwidern, und sehen darin eine Änderung der Haltung des Kaisers gegen¬ über dem Flottenbesuch. Tatsächlich ist Prinz Heinrich doch Chef der Ostseestation, und Flensburg liegt, viel mehr als Swinemünde und Danzig, gleichsam vor den Toren von Kiel in seinem Befehlsbereich. Es ist wohl eigentlich selbstverständlich, daß der Chef der Ostseestation, wenn eine so starke fremde Flotte in einem nnter ihn gestellten Hafen in der Nähe seines Dienstsitzes erscheint, die Meldung des Admirals empfängt und seinen Besuch erwidert. Zudem ist Prinz Heinrich ebenso wie der Kaiser Ehrenadmiral der britischen Flotte. Das Unterlassen einer Be¬ gegnung mit der Kanalflotte innerhalb seines Befehlsbereichs würde mithin eine di rekte UnHöflichkeit gewesen sein. _ Die „angebliche Zukunft Rußlands und Japans." Unter Posaunen¬ stößen der Reklame hat ein Beamter des Kaiserlichen Statistischen Amtes, Regierungsrat Rudolf Martin, ein Werk im Buchhandel erscheinen lassen, das seinem Titel „Die Zukunft Rußlands und Japans" den Aufsehen erregenden Untertitel: „Soll Deutschland die Zeche bezahlen?" und „Die deutschen Milliarden in Gefahr!" hin¬ zufügt, und dessen Inhalt dahin ausmündet, daß der Verfasser „aus nationalen und sozialen Gründen öffentlich Einspruch erhebt gegen die Zulassung neuer russischer Anleihen an deutschen Börsen." Wir wollen nicht erörtern, ob es geschmackvoll war, daß Herr Martin seinem Buche eine reklmnehafte äußere Ausstattung verliehen, und daß er zugelassen hat, daß sein Verleger in der Ankündigung des Werkes verkündet, „es dürfte in der ganzen Welt das größte Aufsehen erregen, daß ein Mitglied des Kaiserlichen Statistischen Amtes mit seinem Namen und nnter voller Verwendung seines Amtstitels öffentlich gegen jede weitere russische Anleihe an deutschen Börsen Einspruch erhoben hat." Aber wenn schon der Verfasser es für gut befunden hat, sich mit besondern, Nachdruck als Beamter des Kaiserlichen Statistischen Amtes in die Öffentlichkeit einzuführen, also mit dem wohlbegründeten wissenschaftlichen Ruf dieser Behörde für sein Werk Propaganda zu machen sucht, dann wird er sich auch nicht wundern dürfen, daß man das pomphafte Buch recht genau darauf prüft, ob es den wissenschaftlichen Anforderungen, die man an ein Mitglied einer solchen Behörde stellen muß, gerecht wird. Das Ergebnis einer solchen Prüfung ist freilich ein andres, als der Verleger in dem Ankündigungsschreiben mitteilt: an „strenger Wissenschaftlichkeit des Buches" können wir wenig finden! Schon das ungewöhnlich starke Maß von Druckerschwärze, das zu der Hervorhebung der Schlagworte, namentlich in dem letzten Abschnitt: „Deutschland am Scheidewege" aufgetragen ist, die ganze äußere Ausstattung, die wuchtige Art des buchhändlerischen Vertriebs erinnern eher an einen Sensationsroman als an eine wissenschaftliche Arbeit. Die Art der Beweis¬ führung entspricht keineswegs der bei wissenschaftlichen Büchern üblichen Art und Gründlichkeit. Für viele Behauptungen bleibt der Verfasser den Beweis einfach schuldig. Viele anekdotenhafte Einschaltungen und entbehrliche Exkurse, billige nach¬ trägliche Ratschläge, wie man vor hundert und mehr Jahren hätte handeln müssen, eine sonderbare Auffassung des Charakters der französischen Revolution: „Die fran¬ zösische Revolution wird in der Weltgeschichte künftig bezeichnet werden als die kurze Revolution oder die Revolution der kleinen Gegensätze," zeigen den wenig wissen¬ schaftlichen Charakter des Werkes. Von entscheidender Bedeutung für die Frage, ob es sich um ein Werk von wissenschaftlichem Werte handelt, ist die Tatsache, daß die Art der Beweisführung wissenschaftlichen Grundsätzen in keiner Weise entspricht. Wer, wie der Verfasser, das Zeug in sich fühlt, die künftige Entwicklung eines großen Staatswesens uicht etwa für wenig Jahre sondern auf hundert und hundertundfunfzig Grenzboten III 1905 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/569>, abgerufen am 27.09.2024.