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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Junge Herzen

Stadt Lamm ab mit dem Prager Universitätssüngerverein Liedertafel, der von
der Brüxer Bürgerschaft eingeladen war, nach Brüx. Am Bahnhof in Laun
blieb das lustige Studentenvölkchen natürlich unbeachtet -- wie änderte sich
aber die Situation, als wir an der Haltestelle des ersten deutschen Dorfes
ankamen. Da waren hier wie an den folgenden Stationen die Mitglieder
der deutschen Gesangvereine mit Zylinder und im schwarzen Rock, sogar zum
Teil von weißgekleideten Ehrenjungfrauen begleitet, aufgestellt und begrüßten
die einfahrenden deutschen Studenten mit einem harmonischen Hoch; und der
Obmann benutzte die zwei Minuten, wahrend deren der Zug hielt, schlichte,
aber um so tiefer wirkende Worte an die zu richten, die das Deutschtum an
ganz besonders exponierter Stelle vertreten helfen und dereinst berufen sein
sollen, geistige Führer im Kampfe der Nationalitäten zu sein. Ein begeistertes
Hoch klang dem wieder davoneilenden Zuge nach. Und dann, als wir in
Brüx einfuhren, da kannte der Jubel keine Grenzen. Das war nicht bloß die
Freude der Wirte, die die Gäste willkommen hießen -- hier kam eben noch
das Gefühl edler Begeisterung hinzu von Männern, die der gemeinsame
Kampf für ihr Volkstum und für den durch die Arbeit ihrer Ahnen geheiligten
Boden eng zusammenschließt. Manch kräftig schönes Wort wurde bei der
Begrüßung in dieser Beziehung gesprochen.

Von den oben genannten Städten bietet Aussig innerhalb seiner Mauern
vielleicht am wenigsten. Es hat eine schöne gotische Kirche, von der der Chor
mit seinen auffallend rein gotischen Formen und der Turm aus ziemlich früher
Zeit, das Schiff aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts stammt. Im
Innern ist der Hochaltar und die aus einem einzigen Sandsteinblock gemeißelte
Kanzel beachtenswert. Als ein vom Lokalpatriotismus ganz besonders hoch
gehaltnes Kleinod wird eine Madonna, "die Aussiger Madonna," gezeigt, die
jedoch nichts weiter als die Kopie eines Bildes von Carlo Dolce ist, die von
dem Aussiger Ismael Mengs, dem Vater des bekannten Rafael Mengs, an¬
gefertigt worden ist. ,^ - , .>^ (Schluß folgt)




Junge Herzen
E Lhristovher Boeck rzählung von
(Fortsetzung)
7. Der erste 5chultag

chlag acht Uhr trat Helene in das Eßzimmer, wo sie die ganze
Familie mit Ausnahme von Großmutter versammelt fand.

Frau Lönberg schenkte selbst den Tee ein, den Stine umher¬
reichte.l-WM

Haben Sie gut geschlafen, Fräulein Rvrby? fragte der Apotheker.

Selbstverständlich! Nach einer Reise schläft man immer gut!
agte Frau Lönberg.

Ja, ich habe wundervoll geschlafen und gar nichts geträumt, antwortete Helene.


Junge Herzen

Stadt Lamm ab mit dem Prager Universitätssüngerverein Liedertafel, der von
der Brüxer Bürgerschaft eingeladen war, nach Brüx. Am Bahnhof in Laun
blieb das lustige Studentenvölkchen natürlich unbeachtet — wie änderte sich
aber die Situation, als wir an der Haltestelle des ersten deutschen Dorfes
ankamen. Da waren hier wie an den folgenden Stationen die Mitglieder
der deutschen Gesangvereine mit Zylinder und im schwarzen Rock, sogar zum
Teil von weißgekleideten Ehrenjungfrauen begleitet, aufgestellt und begrüßten
die einfahrenden deutschen Studenten mit einem harmonischen Hoch; und der
Obmann benutzte die zwei Minuten, wahrend deren der Zug hielt, schlichte,
aber um so tiefer wirkende Worte an die zu richten, die das Deutschtum an
ganz besonders exponierter Stelle vertreten helfen und dereinst berufen sein
sollen, geistige Führer im Kampfe der Nationalitäten zu sein. Ein begeistertes
Hoch klang dem wieder davoneilenden Zuge nach. Und dann, als wir in
Brüx einfuhren, da kannte der Jubel keine Grenzen. Das war nicht bloß die
Freude der Wirte, die die Gäste willkommen hießen — hier kam eben noch
das Gefühl edler Begeisterung hinzu von Männern, die der gemeinsame
Kampf für ihr Volkstum und für den durch die Arbeit ihrer Ahnen geheiligten
Boden eng zusammenschließt. Manch kräftig schönes Wort wurde bei der
Begrüßung in dieser Beziehung gesprochen.

Von den oben genannten Städten bietet Aussig innerhalb seiner Mauern
vielleicht am wenigsten. Es hat eine schöne gotische Kirche, von der der Chor
mit seinen auffallend rein gotischen Formen und der Turm aus ziemlich früher
Zeit, das Schiff aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts stammt. Im
Innern ist der Hochaltar und die aus einem einzigen Sandsteinblock gemeißelte
Kanzel beachtenswert. Als ein vom Lokalpatriotismus ganz besonders hoch
gehaltnes Kleinod wird eine Madonna, „die Aussiger Madonna," gezeigt, die
jedoch nichts weiter als die Kopie eines Bildes von Carlo Dolce ist, die von
dem Aussiger Ismael Mengs, dem Vater des bekannten Rafael Mengs, an¬
gefertigt worden ist. ,^ - , .>^ (Schluß folgt)




Junge Herzen
E Lhristovher Boeck rzählung von
(Fortsetzung)
7. Der erste 5chultag

chlag acht Uhr trat Helene in das Eßzimmer, wo sie die ganze
Familie mit Ausnahme von Großmutter versammelt fand.

Frau Lönberg schenkte selbst den Tee ein, den Stine umher¬
reichte.l-WM

Haben Sie gut geschlafen, Fräulein Rvrby? fragte der Apotheker.

Selbstverständlich! Nach einer Reise schläft man immer gut!
agte Frau Lönberg.

Ja, ich habe wundervoll geschlafen und gar nichts geträumt, antwortete Helene.


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[0556] Junge Herzen Stadt Lamm ab mit dem Prager Universitätssüngerverein Liedertafel, der von der Brüxer Bürgerschaft eingeladen war, nach Brüx. Am Bahnhof in Laun blieb das lustige Studentenvölkchen natürlich unbeachtet — wie änderte sich aber die Situation, als wir an der Haltestelle des ersten deutschen Dorfes ankamen. Da waren hier wie an den folgenden Stationen die Mitglieder der deutschen Gesangvereine mit Zylinder und im schwarzen Rock, sogar zum Teil von weißgekleideten Ehrenjungfrauen begleitet, aufgestellt und begrüßten die einfahrenden deutschen Studenten mit einem harmonischen Hoch; und der Obmann benutzte die zwei Minuten, wahrend deren der Zug hielt, schlichte, aber um so tiefer wirkende Worte an die zu richten, die das Deutschtum an ganz besonders exponierter Stelle vertreten helfen und dereinst berufen sein sollen, geistige Führer im Kampfe der Nationalitäten zu sein. Ein begeistertes Hoch klang dem wieder davoneilenden Zuge nach. Und dann, als wir in Brüx einfuhren, da kannte der Jubel keine Grenzen. Das war nicht bloß die Freude der Wirte, die die Gäste willkommen hießen — hier kam eben noch das Gefühl edler Begeisterung hinzu von Männern, die der gemeinsame Kampf für ihr Volkstum und für den durch die Arbeit ihrer Ahnen geheiligten Boden eng zusammenschließt. Manch kräftig schönes Wort wurde bei der Begrüßung in dieser Beziehung gesprochen. Von den oben genannten Städten bietet Aussig innerhalb seiner Mauern vielleicht am wenigsten. Es hat eine schöne gotische Kirche, von der der Chor mit seinen auffallend rein gotischen Formen und der Turm aus ziemlich früher Zeit, das Schiff aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts stammt. Im Innern ist der Hochaltar und die aus einem einzigen Sandsteinblock gemeißelte Kanzel beachtenswert. Als ein vom Lokalpatriotismus ganz besonders hoch gehaltnes Kleinod wird eine Madonna, „die Aussiger Madonna," gezeigt, die jedoch nichts weiter als die Kopie eines Bildes von Carlo Dolce ist, die von dem Aussiger Ismael Mengs, dem Vater des bekannten Rafael Mengs, an¬ gefertigt worden ist. ,^ - , .>^ (Schluß folgt) Junge Herzen E Lhristovher Boeck rzählung von (Fortsetzung) 7. Der erste 5chultag chlag acht Uhr trat Helene in das Eßzimmer, wo sie die ganze Familie mit Ausnahme von Großmutter versammelt fand. Frau Lönberg schenkte selbst den Tee ein, den Stine umher¬ reichte.l-WM Haben Sie gut geschlafen, Fräulein Rvrby? fragte der Apotheker. Selbstverständlich! Nach einer Reise schläft man immer gut! agte Frau Lönberg. Ja, ich habe wundervoll geschlafen und gar nichts geträumt, antwortete Helene.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/556>, abgerufen am 27.09.2024.