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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Holland und die Holländer

früherer Zeit geschehene und darum politisch ganz anders wirkende Beimischung
deutlich zu spüren. Das am südlichsten liegende halbinselförmig vorspringende
Limburg muß überhaupt für Betrachtungen über das Wesen von Holland ganz
unberücksichtigt bleiben, da es nur infolge von unwesentlichen Umständen daran
hängen geblieben ist und seinem ganzen Wesen nach entschieden nach Belgien
gravitiert. Die übrigen acht Provinzen, auch Brabant noch zum größern Teile,
sind so gut wie ganz germanisch, von der nicht ganz unbedeutenden Bei¬
mischung von überseeischen Blute in den großen Handelsstädten abgesehen,
wobei namentlich von den Jsraeliten und den Portugiesen in Amsterdam zu
sprechen wäre.

Unter den germanischen Stämmen, die Holland bevölkert haben, find vor
allem die Bataver, die Franken, die Flamingen, die Niedersachsen und die
Friesen zu erwähnen. Außerdem wird auch, jedoch ohne deutlichen Nachweis
dieses Einflusses, noch von Goten und Vandalen gesprochen.

Die Bataver, deren schon die Römer gedachten, sitzen in der Mitte des
Landes, die Franken und die Flamingen, denen die holländische Sprache ihre
Diminutiv" verdankt, im Süden, die Niedersachsen im Osten (Groningen,
Overijssel und Drente) und die Friesen, verwandt mit den Angelsachsen (was
noch im friesischen Dialekte sehr wahrnehmbar ist), im Norden (Friesland und
Nordholland). Eine befriedigende Charakterisierung der Wohl nirgends mehr
rein auftretenden, sich später mit fränkischem Blute amalgamierenden Bataver
dürfte wohl kaum gelingen. Dagegen sind der Franke und der Flaminge mehr
leicht beweglich, die Friesen und die Riedcrsachsen aber zähe, eigensinnig, kunst¬
feindlich, wie ja das ?risia nov. oantg-t des Tacitus sprichwörtlich geworden
ist. Es muß offenbar auf die Bildung des holländischen Volkscharakters von
großem Einfluß sein, daß diese letzten Stämme einen so großen Beitrag zum
Ganzen geliefert haben.

Andrerseits wäre auch eines Unterschieds zu gedenken, den Frenssen in
seinem Jörn Abt zum Gegenstande seiner dichterischen Darstellung gemacht hat.
Man erinnert sich aus diesem viel gelesnen Roman des Gegensatzes der "Asien"
und der "Kraien." Die ersten die trotzigen Bewohner der fetten Marschen,
und daneben die beweglichen, findigen Kraien, die auf dem von jenen übrig
gelassenen armen Geestboden angesiedelt sind und diesem in ihrer Anspruchs¬
losigkeit noch einigen Ertrag abgewinnen. Derselbe Unterschied findet sich auch
in Holland, und zwar wiederholt im Groninger gegenüber dem Drentener, dem
Bewohner der Provinzen Holland gegenüber dem Brabanter, und sogar in einer
und derselben Provinz im Bewohner der Betuwe, der alten Insula Batavorum
des Tacitus, mit ihrem schweren Boden gegenüber den Bewohnern des Heide¬
landes, der sogenannten Veluwe in Gelderland.

Hier wird aber gewöhnlich nicht so ausschließlich der Charakterunterschied
der Verschiedenheit des Stammes zugeschrieben wie bei Frenssen, der die Asien
von friesischen, die Kraien von wendischen, also slawischen Stamme herleitet.
Die Wahrheit wird wohl sein, daß die Wirkung von Land auf Leute und von
Leuten auf die Wahl des Landes wechselseitig ist, und daß die niederdeutschen
Volksstümme schon von Hause aus die trotzigen zur Überhebung neigenden


Holland und die Holländer

früherer Zeit geschehene und darum politisch ganz anders wirkende Beimischung
deutlich zu spüren. Das am südlichsten liegende halbinselförmig vorspringende
Limburg muß überhaupt für Betrachtungen über das Wesen von Holland ganz
unberücksichtigt bleiben, da es nur infolge von unwesentlichen Umständen daran
hängen geblieben ist und seinem ganzen Wesen nach entschieden nach Belgien
gravitiert. Die übrigen acht Provinzen, auch Brabant noch zum größern Teile,
sind so gut wie ganz germanisch, von der nicht ganz unbedeutenden Bei¬
mischung von überseeischen Blute in den großen Handelsstädten abgesehen,
wobei namentlich von den Jsraeliten und den Portugiesen in Amsterdam zu
sprechen wäre.

Unter den germanischen Stämmen, die Holland bevölkert haben, find vor
allem die Bataver, die Franken, die Flamingen, die Niedersachsen und die
Friesen zu erwähnen. Außerdem wird auch, jedoch ohne deutlichen Nachweis
dieses Einflusses, noch von Goten und Vandalen gesprochen.

Die Bataver, deren schon die Römer gedachten, sitzen in der Mitte des
Landes, die Franken und die Flamingen, denen die holländische Sprache ihre
Diminutiv« verdankt, im Süden, die Niedersachsen im Osten (Groningen,
Overijssel und Drente) und die Friesen, verwandt mit den Angelsachsen (was
noch im friesischen Dialekte sehr wahrnehmbar ist), im Norden (Friesland und
Nordholland). Eine befriedigende Charakterisierung der Wohl nirgends mehr
rein auftretenden, sich später mit fränkischem Blute amalgamierenden Bataver
dürfte wohl kaum gelingen. Dagegen sind der Franke und der Flaminge mehr
leicht beweglich, die Friesen und die Riedcrsachsen aber zähe, eigensinnig, kunst¬
feindlich, wie ja das ?risia nov. oantg-t des Tacitus sprichwörtlich geworden
ist. Es muß offenbar auf die Bildung des holländischen Volkscharakters von
großem Einfluß sein, daß diese letzten Stämme einen so großen Beitrag zum
Ganzen geliefert haben.

Andrerseits wäre auch eines Unterschieds zu gedenken, den Frenssen in
seinem Jörn Abt zum Gegenstande seiner dichterischen Darstellung gemacht hat.
Man erinnert sich aus diesem viel gelesnen Roman des Gegensatzes der „Asien"
und der „Kraien." Die ersten die trotzigen Bewohner der fetten Marschen,
und daneben die beweglichen, findigen Kraien, die auf dem von jenen übrig
gelassenen armen Geestboden angesiedelt sind und diesem in ihrer Anspruchs¬
losigkeit noch einigen Ertrag abgewinnen. Derselbe Unterschied findet sich auch
in Holland, und zwar wiederholt im Groninger gegenüber dem Drentener, dem
Bewohner der Provinzen Holland gegenüber dem Brabanter, und sogar in einer
und derselben Provinz im Bewohner der Betuwe, der alten Insula Batavorum
des Tacitus, mit ihrem schweren Boden gegenüber den Bewohnern des Heide¬
landes, der sogenannten Veluwe in Gelderland.

Hier wird aber gewöhnlich nicht so ausschließlich der Charakterunterschied
der Verschiedenheit des Stammes zugeschrieben wie bei Frenssen, der die Asien
von friesischen, die Kraien von wendischen, also slawischen Stamme herleitet.
Die Wahrheit wird wohl sein, daß die Wirkung von Land auf Leute und von
Leuten auf die Wahl des Landes wechselseitig ist, und daß die niederdeutschen
Volksstümme schon von Hause aus die trotzigen zur Überhebung neigenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/518>, abgerufen am 27.09.2024.