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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Schriftstellers ein Brotberuf geworden ist, nimmt es immer mehr überHand, sodaß
es nicht nur die bürgerliche, sondern auch schon die literarische Seite des Berufs
ausdrückt und das alte edle Wort Dichter immer mehr zu verdrängen droht. Es
heißt heute nicht mehr: "Ein neues Werk des berühmten Bühnendichters Soundso
ist erschienen," sondern: "Ein neues Werk aus der Feder des berühmten Theater¬
schriftstellers Soundso usw." Oder: "Der bekannte Romanschriftsteller . . .
hat ein neues Werk unter der Feder," anstatt: "Der bekannte Romandichter ...
arbeitet an einem neuen Werk." Als ob Schrift und Feder die Hauptsache bei
der Entstehung eines Dichtwerkes wären, und der geistige Prozeß des Dichtens nur
Nebensache! Nach dieser Auffassung müßte man folgerichtig von einem erst kon¬
zipierten Werke sagen, der Schriftsteller habe es "in der Tinte." Was unterscheidet
dann noch den Dichter vom Schreiber, wenn Tinte, Feder -und Papier erst seine
Hauptattribute sind? Diese "vergeistigte" Anwendung rein mechanischer Tätigkeits¬
bezeichnungen ist auch darum unpassend, weil ja sehr viele Dichter die Gewohnheit
haben, ihre Werke zu diktieren. Es ist übrigens sehr bezeichnend für die Art
unsrer literarischen Produktion, daß diese Übertragung vom Werkzeug auf den Geist
nur auf die Schriftstellerei beschränkt ist, während in der Malerei, wo Farbe,
Pinsel und Leinwand eine so viel größere Rolle spielen, niemals die Rede ist von
einem Werk, das ein Maler "unter dem Pinsel" hat. Das Banausische der Wen¬
dung fällt hier sofort in die Augen, und man denkt unwillkürlich an einen Stuben¬
maler. Die Malerei ist also offenbar doch noch nicht in dem Maße zum Gewerbe
geworden wie die Schriftstellerei. Wendet man aber das Wort Schriftsteller auf
den nicht eigentlich schöpferischen Geistesarbeiter an, so kann man nichts dagegen
haben. Nur die echte hohe Kunst möchten wir davon verschont und für sie wieder
das Wort Dichter mehr zu Ehren gebracht wissen; dabei ist natürlich die Be¬
dingung, daß der Schöpfer des Werkes -- Verfasser hat auch einen etwas biblio¬
thekarischen Beigeschmack -- ein wirklicher Dichter ist. Aber wie viele sind das,
die sich heute unter der Maske des Schriftstellers verbergen? Wir möchten also
für eine umgekehrte Anwendung des Wortes eintreten, wie sie heute üblich ist:
gewöhnlich versteht man unter einem Schriftsteller einen Belletristen, während es
an einer feststehenden Bezeichnung für den mehr wissenschaftlich tätigen Darsteller
fehlt. Gerade für diesen aber erscheint uns das Wort Schriftsteller geeigneter als
für den Schöpfer von Werken der Phantasie. Für den gewerbsmäßigen Tages¬
U, D. schriftsteller könnte man dünn "Literat" sagen.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marquart in Leipzig





Maßgebliches und Unmaßgebliches

Schriftstellers ein Brotberuf geworden ist, nimmt es immer mehr überHand, sodaß
es nicht nur die bürgerliche, sondern auch schon die literarische Seite des Berufs
ausdrückt und das alte edle Wort Dichter immer mehr zu verdrängen droht. Es
heißt heute nicht mehr: „Ein neues Werk des berühmten Bühnendichters Soundso
ist erschienen," sondern: „Ein neues Werk aus der Feder des berühmten Theater¬
schriftstellers Soundso usw." Oder: „Der bekannte Romanschriftsteller . . .
hat ein neues Werk unter der Feder," anstatt: „Der bekannte Romandichter ...
arbeitet an einem neuen Werk." Als ob Schrift und Feder die Hauptsache bei
der Entstehung eines Dichtwerkes wären, und der geistige Prozeß des Dichtens nur
Nebensache! Nach dieser Auffassung müßte man folgerichtig von einem erst kon¬
zipierten Werke sagen, der Schriftsteller habe es „in der Tinte." Was unterscheidet
dann noch den Dichter vom Schreiber, wenn Tinte, Feder -und Papier erst seine
Hauptattribute sind? Diese „vergeistigte" Anwendung rein mechanischer Tätigkeits¬
bezeichnungen ist auch darum unpassend, weil ja sehr viele Dichter die Gewohnheit
haben, ihre Werke zu diktieren. Es ist übrigens sehr bezeichnend für die Art
unsrer literarischen Produktion, daß diese Übertragung vom Werkzeug auf den Geist
nur auf die Schriftstellerei beschränkt ist, während in der Malerei, wo Farbe,
Pinsel und Leinwand eine so viel größere Rolle spielen, niemals die Rede ist von
einem Werk, das ein Maler „unter dem Pinsel" hat. Das Banausische der Wen¬
dung fällt hier sofort in die Augen, und man denkt unwillkürlich an einen Stuben¬
maler. Die Malerei ist also offenbar doch noch nicht in dem Maße zum Gewerbe
geworden wie die Schriftstellerei. Wendet man aber das Wort Schriftsteller auf
den nicht eigentlich schöpferischen Geistesarbeiter an, so kann man nichts dagegen
haben. Nur die echte hohe Kunst möchten wir davon verschont und für sie wieder
das Wort Dichter mehr zu Ehren gebracht wissen; dabei ist natürlich die Be¬
dingung, daß der Schöpfer des Werkes — Verfasser hat auch einen etwas biblio¬
thekarischen Beigeschmack — ein wirklicher Dichter ist. Aber wie viele sind das,
die sich heute unter der Maske des Schriftstellers verbergen? Wir möchten also
für eine umgekehrte Anwendung des Wortes eintreten, wie sie heute üblich ist:
gewöhnlich versteht man unter einem Schriftsteller einen Belletristen, während es
an einer feststehenden Bezeichnung für den mehr wissenschaftlich tätigen Darsteller
fehlt. Gerade für diesen aber erscheint uns das Wort Schriftsteller geeigneter als
für den Schöpfer von Werken der Phantasie. Für den gewerbsmäßigen Tages¬
U, D. schriftsteller könnte man dünn „Literat" sagen.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig





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[0512] Maßgebliches und Unmaßgebliches Schriftstellers ein Brotberuf geworden ist, nimmt es immer mehr überHand, sodaß es nicht nur die bürgerliche, sondern auch schon die literarische Seite des Berufs ausdrückt und das alte edle Wort Dichter immer mehr zu verdrängen droht. Es heißt heute nicht mehr: „Ein neues Werk des berühmten Bühnendichters Soundso ist erschienen," sondern: „Ein neues Werk aus der Feder des berühmten Theater¬ schriftstellers Soundso usw." Oder: „Der bekannte Romanschriftsteller . . . hat ein neues Werk unter der Feder," anstatt: „Der bekannte Romandichter ... arbeitet an einem neuen Werk." Als ob Schrift und Feder die Hauptsache bei der Entstehung eines Dichtwerkes wären, und der geistige Prozeß des Dichtens nur Nebensache! Nach dieser Auffassung müßte man folgerichtig von einem erst kon¬ zipierten Werke sagen, der Schriftsteller habe es „in der Tinte." Was unterscheidet dann noch den Dichter vom Schreiber, wenn Tinte, Feder -und Papier erst seine Hauptattribute sind? Diese „vergeistigte" Anwendung rein mechanischer Tätigkeits¬ bezeichnungen ist auch darum unpassend, weil ja sehr viele Dichter die Gewohnheit haben, ihre Werke zu diktieren. Es ist übrigens sehr bezeichnend für die Art unsrer literarischen Produktion, daß diese Übertragung vom Werkzeug auf den Geist nur auf die Schriftstellerei beschränkt ist, während in der Malerei, wo Farbe, Pinsel und Leinwand eine so viel größere Rolle spielen, niemals die Rede ist von einem Werk, das ein Maler „unter dem Pinsel" hat. Das Banausische der Wen¬ dung fällt hier sofort in die Augen, und man denkt unwillkürlich an einen Stuben¬ maler. Die Malerei ist also offenbar doch noch nicht in dem Maße zum Gewerbe geworden wie die Schriftstellerei. Wendet man aber das Wort Schriftsteller auf den nicht eigentlich schöpferischen Geistesarbeiter an, so kann man nichts dagegen haben. Nur die echte hohe Kunst möchten wir davon verschont und für sie wieder das Wort Dichter mehr zu Ehren gebracht wissen; dabei ist natürlich die Be¬ dingung, daß der Schöpfer des Werkes — Verfasser hat auch einen etwas biblio¬ thekarischen Beigeschmack — ein wirklicher Dichter ist. Aber wie viele sind das, die sich heute unter der Maske des Schriftstellers verbergen? Wir möchten also für eine umgekehrte Anwendung des Wortes eintreten, wie sie heute üblich ist: gewöhnlich versteht man unter einem Schriftsteller einen Belletristen, während es an einer feststehenden Bezeichnung für den mehr wissenschaftlich tätigen Darsteller fehlt. Gerade für diesen aber erscheint uns das Wort Schriftsteller geeigneter als für den Schöpfer von Werken der Phantasie. Für den gewerbsmäßigen Tages¬ U, D. schriftsteller könnte man dünn „Literat" sagen. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/512>, abgerufen am 27.09.2024.