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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Runden, Aomödianten und wilden Tieren

verspielt waren, und der vorgerückten Zeit wegen an ein weiteres Neppgeschäft nicht
zu denken war, verpfändete er seinen Kettenvorrat für 3 Mark. Aber auch diese
3 Mark gingen den Weg alles Geldes, und so kam dann sein Überzieher daran,
für den ihm der Wirt 6 Mark vorschoß. Dem Überzieher folgte der Rock, für
den er wieder 4 Mark erhielt, die ihm ebenso schnell wieder abgenommen wurden.
Aber auch jetzt geriet er nicht in Verlegenheit, sondern wandelte die Gaststube in
eine Bühne samt Zuschauerraum um und veranstaltete komische Vorträge in jüdischem
Dialekt, die ihm wenigstens so viel einbrachten, daß er seinen Rock wieder einlösen
konnte und noch einige Groschen Schlafgeld übrig behielt.

Über Pirmasens fuhren wir nach Gießen, wo wir des schlechten Wetters wegen
unsre diesjährige Tournee beendeten, und wo die Angestellten entlassen wurden,
während der Prinzipal mit seiner Familie und dem Geschäfte nach Harburg reiste.
Wir Angestellten fuhren über Kassel nach Hamburg. Ich machte bei dieser Ge¬
legenheit einen Abstecher nach Spangenberg zu meiner Braut, deren Vater in¬
zwischen gestorben war. In Hamburg war gerade der "Dom," der vom 4. Dezember
bis zum 1. Januar dauerte. Dort hoffte ich Anstellung zu finden und traf in
Se. Pauli außer meinen Kollegen auch den Juden wieder, der in Innsbruck mit
von Peter Böhmes Panorama weggegangen war. Der Jude verschaffte mir eine
Anstellung bei "Ben Ali Bey, das schwarze Kabinett" in Kieles Gesellschaftsgarten.
Das schwarze Kabinett war eine Illusion der orientalischen Zauberei. Die ganze
Bühne war mit schwarzem Samt ausgeschlagen, und der Zauberer, der darauf
arbeitete, trug ein phantastisches weißes Kostüm, das sich gegen den Hintergrund
wirkungsvoll abhob. Mit einem Zauberstab schien er alle Gegenstände, die er zu
seinen Kunststücken gebrauchte, aus der Luft zu holen, und es war in der Tat
überraschend, wie er zum Beispiel zwei Marmortischchen mit goldnen Füßen, ein
Paar Pokale in der Form von Straußeneiern und andre Dinge plötzlich in den
Händen hielt, ohne daß man gesehen hätte, woher sie gekommen waren. Er stellte
die beiden Tischchen rechts und links von sich auf, setzte auf jeden einen Pokal und
ließ sich aus dem Publikum eine Uhr und eine Zigarrenspitze reichen, von denen
er die Uhr in den rechten, die Zigarrenspitze in den linken Pokal legte. Hierauf
richtete er einige Worte an das Publikum und erklärte, daß die Uhr jetzt in dem
linken und die Zigarrenspitze in dem rechten Pokal sei, und so war es auch. Sodann
zeichnete er mit Kreide auf eine schwarze Tafel, die auch dem Publikum gezeigt
wurde, ein Gerippe und meinte, als die Zeichnung fertig war, die zeichnerische
Leistung sei für einen Dilettanten nicht übel, aber es komme nun darauf an, dem
Gerippe auch Leben einzuflößen. Er blies nun die Zeichnung an, und zum Er¬
staunen der Zuschauer begann das Gerippe mit Armen und Beinen zu zappeln.
Sein Haupttrick war folgender: Er nahm einen Reisekorb aus der Luft, öffnete
ihn, rief sein Kind, ein kleines himmelblau gekleidetes Mädchen, und setzte es in
den Korb, der dann geschlossen und mit Stricken sorgfältig verschnürt wurde. Dann
zog er einen Degen und stach damit von allen Seiten und von oben tief in den
Korb hinein, wobei man das Gejammer des Kindes hörte. Als er den Korb
öffnete, war er leer. Dann schloß er den Korb wieder, verschnürte ihn noch einmal
und öffnete ihn zum zweitenmal, worauf er fragte: Mein Kind, wo bist du? Aus
dem Innern des Korbes hörte man die Stimme: Hier, Papa! und in der Tat
war das Kind, als der Korb geöffnet wurde, nun wirklich darin. Dieses und noch
viele ähnliche Kunststücke wirkten auf das Publikum geradezu verblüffend, aber die
Erklärung dieser Wunder war merkwürdig einfach. Der Zauberer hatte als Gehilfin
seine Frau neben sich, die vom Kopf bis zu den Füßen in schwarzen Samt ge¬
kleidet war, und die man wegen des schwarzen Hintergrundes, des schwarzen Fu߬
bodens und der schwarzen Decke nicht sehen konnte. Sie reichte ihm die Gegenstände
zu, die mit schwarzen Samtdecken verhüllt auf der Bühne gestanden hatten, befestigte,
ohne daß das Publikum eine Ahnung davon hatte, auf der Tafel einen Hampel¬
mann aus schwarzer Pappe, auf den ihr Mann das Gerippe zeichnete, und den sie


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verspielt waren, und der vorgerückten Zeit wegen an ein weiteres Neppgeschäft nicht
zu denken war, verpfändete er seinen Kettenvorrat für 3 Mark. Aber auch diese
3 Mark gingen den Weg alles Geldes, und so kam dann sein Überzieher daran,
für den ihm der Wirt 6 Mark vorschoß. Dem Überzieher folgte der Rock, für
den er wieder 4 Mark erhielt, die ihm ebenso schnell wieder abgenommen wurden.
Aber auch jetzt geriet er nicht in Verlegenheit, sondern wandelte die Gaststube in
eine Bühne samt Zuschauerraum um und veranstaltete komische Vorträge in jüdischem
Dialekt, die ihm wenigstens so viel einbrachten, daß er seinen Rock wieder einlösen
konnte und noch einige Groschen Schlafgeld übrig behielt.

Über Pirmasens fuhren wir nach Gießen, wo wir des schlechten Wetters wegen
unsre diesjährige Tournee beendeten, und wo die Angestellten entlassen wurden,
während der Prinzipal mit seiner Familie und dem Geschäfte nach Harburg reiste.
Wir Angestellten fuhren über Kassel nach Hamburg. Ich machte bei dieser Ge¬
legenheit einen Abstecher nach Spangenberg zu meiner Braut, deren Vater in¬
zwischen gestorben war. In Hamburg war gerade der „Dom," der vom 4. Dezember
bis zum 1. Januar dauerte. Dort hoffte ich Anstellung zu finden und traf in
Se. Pauli außer meinen Kollegen auch den Juden wieder, der in Innsbruck mit
von Peter Böhmes Panorama weggegangen war. Der Jude verschaffte mir eine
Anstellung bei „Ben Ali Bey, das schwarze Kabinett" in Kieles Gesellschaftsgarten.
Das schwarze Kabinett war eine Illusion der orientalischen Zauberei. Die ganze
Bühne war mit schwarzem Samt ausgeschlagen, und der Zauberer, der darauf
arbeitete, trug ein phantastisches weißes Kostüm, das sich gegen den Hintergrund
wirkungsvoll abhob. Mit einem Zauberstab schien er alle Gegenstände, die er zu
seinen Kunststücken gebrauchte, aus der Luft zu holen, und es war in der Tat
überraschend, wie er zum Beispiel zwei Marmortischchen mit goldnen Füßen, ein
Paar Pokale in der Form von Straußeneiern und andre Dinge plötzlich in den
Händen hielt, ohne daß man gesehen hätte, woher sie gekommen waren. Er stellte
die beiden Tischchen rechts und links von sich auf, setzte auf jeden einen Pokal und
ließ sich aus dem Publikum eine Uhr und eine Zigarrenspitze reichen, von denen
er die Uhr in den rechten, die Zigarrenspitze in den linken Pokal legte. Hierauf
richtete er einige Worte an das Publikum und erklärte, daß die Uhr jetzt in dem
linken und die Zigarrenspitze in dem rechten Pokal sei, und so war es auch. Sodann
zeichnete er mit Kreide auf eine schwarze Tafel, die auch dem Publikum gezeigt
wurde, ein Gerippe und meinte, als die Zeichnung fertig war, die zeichnerische
Leistung sei für einen Dilettanten nicht übel, aber es komme nun darauf an, dem
Gerippe auch Leben einzuflößen. Er blies nun die Zeichnung an, und zum Er¬
staunen der Zuschauer begann das Gerippe mit Armen und Beinen zu zappeln.
Sein Haupttrick war folgender: Er nahm einen Reisekorb aus der Luft, öffnete
ihn, rief sein Kind, ein kleines himmelblau gekleidetes Mädchen, und setzte es in
den Korb, der dann geschlossen und mit Stricken sorgfältig verschnürt wurde. Dann
zog er einen Degen und stach damit von allen Seiten und von oben tief in den
Korb hinein, wobei man das Gejammer des Kindes hörte. Als er den Korb
öffnete, war er leer. Dann schloß er den Korb wieder, verschnürte ihn noch einmal
und öffnete ihn zum zweitenmal, worauf er fragte: Mein Kind, wo bist du? Aus
dem Innern des Korbes hörte man die Stimme: Hier, Papa! und in der Tat
war das Kind, als der Korb geöffnet wurde, nun wirklich darin. Dieses und noch
viele ähnliche Kunststücke wirkten auf das Publikum geradezu verblüffend, aber die
Erklärung dieser Wunder war merkwürdig einfach. Der Zauberer hatte als Gehilfin
seine Frau neben sich, die vom Kopf bis zu den Füßen in schwarzen Samt ge¬
kleidet war, und die man wegen des schwarzen Hintergrundes, des schwarzen Fu߬
bodens und der schwarzen Decke nicht sehen konnte. Sie reichte ihm die Gegenstände
zu, die mit schwarzen Samtdecken verhüllt auf der Bühne gestanden hatten, befestigte,
ohne daß das Publikum eine Ahnung davon hatte, auf der Tafel einen Hampel¬
mann aus schwarzer Pappe, auf den ihr Mann das Gerippe zeichnete, und den sie


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[0493] Unter Runden, Aomödianten und wilden Tieren verspielt waren, und der vorgerückten Zeit wegen an ein weiteres Neppgeschäft nicht zu denken war, verpfändete er seinen Kettenvorrat für 3 Mark. Aber auch diese 3 Mark gingen den Weg alles Geldes, und so kam dann sein Überzieher daran, für den ihm der Wirt 6 Mark vorschoß. Dem Überzieher folgte der Rock, für den er wieder 4 Mark erhielt, die ihm ebenso schnell wieder abgenommen wurden. Aber auch jetzt geriet er nicht in Verlegenheit, sondern wandelte die Gaststube in eine Bühne samt Zuschauerraum um und veranstaltete komische Vorträge in jüdischem Dialekt, die ihm wenigstens so viel einbrachten, daß er seinen Rock wieder einlösen konnte und noch einige Groschen Schlafgeld übrig behielt. Über Pirmasens fuhren wir nach Gießen, wo wir des schlechten Wetters wegen unsre diesjährige Tournee beendeten, und wo die Angestellten entlassen wurden, während der Prinzipal mit seiner Familie und dem Geschäfte nach Harburg reiste. Wir Angestellten fuhren über Kassel nach Hamburg. Ich machte bei dieser Ge¬ legenheit einen Abstecher nach Spangenberg zu meiner Braut, deren Vater in¬ zwischen gestorben war. In Hamburg war gerade der „Dom," der vom 4. Dezember bis zum 1. Januar dauerte. Dort hoffte ich Anstellung zu finden und traf in Se. Pauli außer meinen Kollegen auch den Juden wieder, der in Innsbruck mit von Peter Böhmes Panorama weggegangen war. Der Jude verschaffte mir eine Anstellung bei „Ben Ali Bey, das schwarze Kabinett" in Kieles Gesellschaftsgarten. Das schwarze Kabinett war eine Illusion der orientalischen Zauberei. Die ganze Bühne war mit schwarzem Samt ausgeschlagen, und der Zauberer, der darauf arbeitete, trug ein phantastisches weißes Kostüm, das sich gegen den Hintergrund wirkungsvoll abhob. Mit einem Zauberstab schien er alle Gegenstände, die er zu seinen Kunststücken gebrauchte, aus der Luft zu holen, und es war in der Tat überraschend, wie er zum Beispiel zwei Marmortischchen mit goldnen Füßen, ein Paar Pokale in der Form von Straußeneiern und andre Dinge plötzlich in den Händen hielt, ohne daß man gesehen hätte, woher sie gekommen waren. Er stellte die beiden Tischchen rechts und links von sich auf, setzte auf jeden einen Pokal und ließ sich aus dem Publikum eine Uhr und eine Zigarrenspitze reichen, von denen er die Uhr in den rechten, die Zigarrenspitze in den linken Pokal legte. Hierauf richtete er einige Worte an das Publikum und erklärte, daß die Uhr jetzt in dem linken und die Zigarrenspitze in dem rechten Pokal sei, und so war es auch. Sodann zeichnete er mit Kreide auf eine schwarze Tafel, die auch dem Publikum gezeigt wurde, ein Gerippe und meinte, als die Zeichnung fertig war, die zeichnerische Leistung sei für einen Dilettanten nicht übel, aber es komme nun darauf an, dem Gerippe auch Leben einzuflößen. Er blies nun die Zeichnung an, und zum Er¬ staunen der Zuschauer begann das Gerippe mit Armen und Beinen zu zappeln. Sein Haupttrick war folgender: Er nahm einen Reisekorb aus der Luft, öffnete ihn, rief sein Kind, ein kleines himmelblau gekleidetes Mädchen, und setzte es in den Korb, der dann geschlossen und mit Stricken sorgfältig verschnürt wurde. Dann zog er einen Degen und stach damit von allen Seiten und von oben tief in den Korb hinein, wobei man das Gejammer des Kindes hörte. Als er den Korb öffnete, war er leer. Dann schloß er den Korb wieder, verschnürte ihn noch einmal und öffnete ihn zum zweitenmal, worauf er fragte: Mein Kind, wo bist du? Aus dem Innern des Korbes hörte man die Stimme: Hier, Papa! und in der Tat war das Kind, als der Korb geöffnet wurde, nun wirklich darin. Dieses und noch viele ähnliche Kunststücke wirkten auf das Publikum geradezu verblüffend, aber die Erklärung dieser Wunder war merkwürdig einfach. Der Zauberer hatte als Gehilfin seine Frau neben sich, die vom Kopf bis zu den Füßen in schwarzen Samt ge¬ kleidet war, und die man wegen des schwarzen Hintergrundes, des schwarzen Fu߬ bodens und der schwarzen Decke nicht sehen konnte. Sie reichte ihm die Gegenstände zu, die mit schwarzen Samtdecken verhüllt auf der Bühne gestanden hatten, befestigte, ohne daß das Publikum eine Ahnung davon hatte, auf der Tafel einen Hampel¬ mann aus schwarzer Pappe, auf den ihr Mann das Gerippe zeichnete, und den sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/493>, abgerufen am 27.09.2024.