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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

ihm Kreuz und Beine schmerzte", wozu tue ich diese Kuechtsarbeit? Warum kündige
ich nicht mein Kapital und gehe davon? Mag Mary sehen, wie sie sich heraus¬
wickelt. Ich bin doch ihr Vormund nicht. Ich baue mir irgendwo mein Nest,
rufe meine Eva und bin aus aller Not. Statt dessen mühe ich mich um eine
hoffnungslose Aufgabe und habe das Vergnügen, mich mit dem alten Querkopf
um seine Tochter herumbalgen zu müssen. So sagte Ramborn wohl manchesmal
zu sich, aber er wußte auch ganz genau, daß er nicht tun werde, daß er nicht tun
könne, was er sagte. Warum nicht? Ja, wer darauf hätte Antwort geben können.

Der Prozeß gegen Heinemann oder, richtiger gesagt, gegen dessen Deckmann,
einen Winkeladvokaten in N., an den Heinemann seine Forderung abgetreten hatte,
war in erster Instanz verloren gegangen. Der Richter hatte, da das Original des
Kontrakts fehlte, bloß auf Grund der Photographie nicht die Überzeugung gewinnen
können, daß zweifellos eine Fälschung vorliege, und hatte mit Bedauern gegen
Frau Van Tereu entscheiden müssen. Der Kerl sei zweifellos ein Halunke, hatte
er gesagt, aber es sei, so lange der Kontrakt fehle, nichts zu machen. Natürlich
legte der Doktor sogleich Berufung ein, aber es war wenig Hoffnung vorhanden,
in zweiter Instanz zu gewinnen, wenn es inzwischen nicht gelänge, neues Beweis¬
material zu finden.

Von Mary war aus Cannes ein Brief eingelaufen, worin sie meldete, daß
sie glücklich angelangt sei, aber schwerlich in Cannes bleiben werde. Von da an
hatte sie monatelang geschwiegen. Es war unbegreiflich, warum sie nicht schrieb.
Man hatte in Cannes angefragt und die Antwort erhalten, die russischen Herr¬
schaften und Frau Van Term seien mit dem Dampfschiff abgereist, man wisse aber
nicht, wohin. So mußte man sich also in Geduld fassen. Nun lief gerade in
dieser Zeit ein Brief aus Brindisi ein, der nichts weiter enthielt als Blumen für
Wolf und tausend Grüße für alle Lieben. Das war nun zwar ein Lebenszeichen,
aber für die Wißbegierde der Lieben waren die tausend Grüße doch etwas wenig.

Der Brief lag noch auf dem Tische, da ließ sich ein Herr Assessor melden,
in dessen Begleitung ein andrer Herr war, dessen Erscheinen in der Küche Sensation
hervorrief. Der Herr Assessor sah aus wie ein junger Greis. Er hatte dünne,
rötliche Haare auf dem Kopfe, die Andeutung eines Juristenbartes im Gesicht und
machte nicht gerade einen überwältigenden Eindruck; und der andre, ein großer und
breiter Mann, der mit einem Gemisch von Furcht und Frechheit breitbeinig unter
der Tür stehn geblieben war, war kein andrer als unser alter Freund Heinemann.
Der Herr Assessor trat steifbeinig und mit vorwärts gezogne" Schultern, wie es
der vornehme junge Mann vom Kavallerieoffizier zu lernen Pflegt, näher, stellte
sich ordnungsmäßig vor und präsentierte ein Aktenstück, demzufolge laut Versäumnis¬
urteil vom soundsovielten und nach Paragraph Soundso der Zivilprozeßordnung
erkannt war, daß das preußische Schlößchen in Verwaltung zu nehmen sei, da die
Besitzerin verschollen und Gefahr vorhanden sei, daß bei Verkauf oder Abtretung
des Gutes Personen, die Forderungen an die Besitzeritt hätten (nämlich bewußte
10000 Mark), um ihr Recht kommen könnten. Das Gericht habe ih", den Assessor,
beauftragt, ein Inventar aufzunehmen, und habe einen tüchtigen Landwirt, der
über die hiesigen Verhältnisse unterrichtet sei, als Verwalter bestellt -- Herrn
Heinemann. Demselben seien täglich zehn Mark zu zahlen.

Der Doktor hörte die Auseinandersetzung mit steigendem Erstaunen an.
Darauf griff er nach der Hundepeitsche, die neben der Tür am Nagel hing, und
sagte: Sie erlauben wohl, daß ich abgekürztes Verfahren einschlage. Damit ging
er, die Peitsche erhebend, auf die Tür zu. Der Herr Assessor erschrak, wich zurück,
wurde bleich und rief, das Aktenstück in gestreckten Armen vor sich haltend: Ich
muß doch sehr bitten -- Sie werden doch nicht so weit gehn! Aber Heinemann
verschwand schleunigst spurlos.

Bitte um Entschuldigung, sagte der Doktor, die Peitsche wieder aussaugend,
wenn ich Sie erschreckt haben sollte, aber mit diesem Menschen verkehre ich nur


Herrenmenschen

ihm Kreuz und Beine schmerzte», wozu tue ich diese Kuechtsarbeit? Warum kündige
ich nicht mein Kapital und gehe davon? Mag Mary sehen, wie sie sich heraus¬
wickelt. Ich bin doch ihr Vormund nicht. Ich baue mir irgendwo mein Nest,
rufe meine Eva und bin aus aller Not. Statt dessen mühe ich mich um eine
hoffnungslose Aufgabe und habe das Vergnügen, mich mit dem alten Querkopf
um seine Tochter herumbalgen zu müssen. So sagte Ramborn wohl manchesmal
zu sich, aber er wußte auch ganz genau, daß er nicht tun werde, daß er nicht tun
könne, was er sagte. Warum nicht? Ja, wer darauf hätte Antwort geben können.

Der Prozeß gegen Heinemann oder, richtiger gesagt, gegen dessen Deckmann,
einen Winkeladvokaten in N., an den Heinemann seine Forderung abgetreten hatte,
war in erster Instanz verloren gegangen. Der Richter hatte, da das Original des
Kontrakts fehlte, bloß auf Grund der Photographie nicht die Überzeugung gewinnen
können, daß zweifellos eine Fälschung vorliege, und hatte mit Bedauern gegen
Frau Van Tereu entscheiden müssen. Der Kerl sei zweifellos ein Halunke, hatte
er gesagt, aber es sei, so lange der Kontrakt fehle, nichts zu machen. Natürlich
legte der Doktor sogleich Berufung ein, aber es war wenig Hoffnung vorhanden,
in zweiter Instanz zu gewinnen, wenn es inzwischen nicht gelänge, neues Beweis¬
material zu finden.

Von Mary war aus Cannes ein Brief eingelaufen, worin sie meldete, daß
sie glücklich angelangt sei, aber schwerlich in Cannes bleiben werde. Von da an
hatte sie monatelang geschwiegen. Es war unbegreiflich, warum sie nicht schrieb.
Man hatte in Cannes angefragt und die Antwort erhalten, die russischen Herr¬
schaften und Frau Van Term seien mit dem Dampfschiff abgereist, man wisse aber
nicht, wohin. So mußte man sich also in Geduld fassen. Nun lief gerade in
dieser Zeit ein Brief aus Brindisi ein, der nichts weiter enthielt als Blumen für
Wolf und tausend Grüße für alle Lieben. Das war nun zwar ein Lebenszeichen,
aber für die Wißbegierde der Lieben waren die tausend Grüße doch etwas wenig.

Der Brief lag noch auf dem Tische, da ließ sich ein Herr Assessor melden,
in dessen Begleitung ein andrer Herr war, dessen Erscheinen in der Küche Sensation
hervorrief. Der Herr Assessor sah aus wie ein junger Greis. Er hatte dünne,
rötliche Haare auf dem Kopfe, die Andeutung eines Juristenbartes im Gesicht und
machte nicht gerade einen überwältigenden Eindruck; und der andre, ein großer und
breiter Mann, der mit einem Gemisch von Furcht und Frechheit breitbeinig unter
der Tür stehn geblieben war, war kein andrer als unser alter Freund Heinemann.
Der Herr Assessor trat steifbeinig und mit vorwärts gezogne» Schultern, wie es
der vornehme junge Mann vom Kavallerieoffizier zu lernen Pflegt, näher, stellte
sich ordnungsmäßig vor und präsentierte ein Aktenstück, demzufolge laut Versäumnis¬
urteil vom soundsovielten und nach Paragraph Soundso der Zivilprozeßordnung
erkannt war, daß das preußische Schlößchen in Verwaltung zu nehmen sei, da die
Besitzerin verschollen und Gefahr vorhanden sei, daß bei Verkauf oder Abtretung
des Gutes Personen, die Forderungen an die Besitzeritt hätten (nämlich bewußte
10000 Mark), um ihr Recht kommen könnten. Das Gericht habe ih», den Assessor,
beauftragt, ein Inventar aufzunehmen, und habe einen tüchtigen Landwirt, der
über die hiesigen Verhältnisse unterrichtet sei, als Verwalter bestellt — Herrn
Heinemann. Demselben seien täglich zehn Mark zu zahlen.

Der Doktor hörte die Auseinandersetzung mit steigendem Erstaunen an.
Darauf griff er nach der Hundepeitsche, die neben der Tür am Nagel hing, und
sagte: Sie erlauben wohl, daß ich abgekürztes Verfahren einschlage. Damit ging
er, die Peitsche erhebend, auf die Tür zu. Der Herr Assessor erschrak, wich zurück,
wurde bleich und rief, das Aktenstück in gestreckten Armen vor sich haltend: Ich
muß doch sehr bitten — Sie werden doch nicht so weit gehn! Aber Heinemann
verschwand schleunigst spurlos.

Bitte um Entschuldigung, sagte der Doktor, die Peitsche wieder aussaugend,
wenn ich Sie erschreckt haben sollte, aber mit diesem Menschen verkehre ich nur


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[0047] Herrenmenschen ihm Kreuz und Beine schmerzte», wozu tue ich diese Kuechtsarbeit? Warum kündige ich nicht mein Kapital und gehe davon? Mag Mary sehen, wie sie sich heraus¬ wickelt. Ich bin doch ihr Vormund nicht. Ich baue mir irgendwo mein Nest, rufe meine Eva und bin aus aller Not. Statt dessen mühe ich mich um eine hoffnungslose Aufgabe und habe das Vergnügen, mich mit dem alten Querkopf um seine Tochter herumbalgen zu müssen. So sagte Ramborn wohl manchesmal zu sich, aber er wußte auch ganz genau, daß er nicht tun werde, daß er nicht tun könne, was er sagte. Warum nicht? Ja, wer darauf hätte Antwort geben können. Der Prozeß gegen Heinemann oder, richtiger gesagt, gegen dessen Deckmann, einen Winkeladvokaten in N., an den Heinemann seine Forderung abgetreten hatte, war in erster Instanz verloren gegangen. Der Richter hatte, da das Original des Kontrakts fehlte, bloß auf Grund der Photographie nicht die Überzeugung gewinnen können, daß zweifellos eine Fälschung vorliege, und hatte mit Bedauern gegen Frau Van Tereu entscheiden müssen. Der Kerl sei zweifellos ein Halunke, hatte er gesagt, aber es sei, so lange der Kontrakt fehle, nichts zu machen. Natürlich legte der Doktor sogleich Berufung ein, aber es war wenig Hoffnung vorhanden, in zweiter Instanz zu gewinnen, wenn es inzwischen nicht gelänge, neues Beweis¬ material zu finden. Von Mary war aus Cannes ein Brief eingelaufen, worin sie meldete, daß sie glücklich angelangt sei, aber schwerlich in Cannes bleiben werde. Von da an hatte sie monatelang geschwiegen. Es war unbegreiflich, warum sie nicht schrieb. Man hatte in Cannes angefragt und die Antwort erhalten, die russischen Herr¬ schaften und Frau Van Term seien mit dem Dampfschiff abgereist, man wisse aber nicht, wohin. So mußte man sich also in Geduld fassen. Nun lief gerade in dieser Zeit ein Brief aus Brindisi ein, der nichts weiter enthielt als Blumen für Wolf und tausend Grüße für alle Lieben. Das war nun zwar ein Lebenszeichen, aber für die Wißbegierde der Lieben waren die tausend Grüße doch etwas wenig. Der Brief lag noch auf dem Tische, da ließ sich ein Herr Assessor melden, in dessen Begleitung ein andrer Herr war, dessen Erscheinen in der Küche Sensation hervorrief. Der Herr Assessor sah aus wie ein junger Greis. Er hatte dünne, rötliche Haare auf dem Kopfe, die Andeutung eines Juristenbartes im Gesicht und machte nicht gerade einen überwältigenden Eindruck; und der andre, ein großer und breiter Mann, der mit einem Gemisch von Furcht und Frechheit breitbeinig unter der Tür stehn geblieben war, war kein andrer als unser alter Freund Heinemann. Der Herr Assessor trat steifbeinig und mit vorwärts gezogne» Schultern, wie es der vornehme junge Mann vom Kavallerieoffizier zu lernen Pflegt, näher, stellte sich ordnungsmäßig vor und präsentierte ein Aktenstück, demzufolge laut Versäumnis¬ urteil vom soundsovielten und nach Paragraph Soundso der Zivilprozeßordnung erkannt war, daß das preußische Schlößchen in Verwaltung zu nehmen sei, da die Besitzerin verschollen und Gefahr vorhanden sei, daß bei Verkauf oder Abtretung des Gutes Personen, die Forderungen an die Besitzeritt hätten (nämlich bewußte 10000 Mark), um ihr Recht kommen könnten. Das Gericht habe ih», den Assessor, beauftragt, ein Inventar aufzunehmen, und habe einen tüchtigen Landwirt, der über die hiesigen Verhältnisse unterrichtet sei, als Verwalter bestellt — Herrn Heinemann. Demselben seien täglich zehn Mark zu zahlen. Der Doktor hörte die Auseinandersetzung mit steigendem Erstaunen an. Darauf griff er nach der Hundepeitsche, die neben der Tür am Nagel hing, und sagte: Sie erlauben wohl, daß ich abgekürztes Verfahren einschlage. Damit ging er, die Peitsche erhebend, auf die Tür zu. Der Herr Assessor erschrak, wich zurück, wurde bleich und rief, das Aktenstück in gestreckten Armen vor sich haltend: Ich muß doch sehr bitten — Sie werden doch nicht so weit gehn! Aber Heinemann verschwand schleunigst spurlos. Bitte um Entschuldigung, sagte der Doktor, die Peitsche wieder aussaugend, wenn ich Sie erschreckt haben sollte, aber mit diesem Menschen verkehre ich nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/47>, abgerufen am 27.09.2024.