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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

der Kaiser zu einer Begegnung bereit wäre. Nachdem die englische Presse ihren
Monarchen für eine Zusammenkunft mit dem deutschen Kaiser nahezu festgelegt
hatte, werden zunächst in England mancherlei Erwartungen enttäuscht sein. Wir
sagen ausdrücklich "in England," denn in Deutschland hat man sich gegen die von
London aus so fleißig betriebne Ankündigung einer Begegnung von Anfang an
recht skeptisch Verhalten, da trotz der so positiven Ankündigung jede Mitteilung des
englischen Hofes oder der englischen Regierung ausblieb. König Eduard ist dem
deutschen Kaiser einen Besuch in Berlin schuldig, und bevor dieser nicht geleistet
wird, werden alle gelegentlichen Berührungen nicht ausreichen, die Beziehungen
zwischen den beiden Ländern in das richtige Fahrwasser zu bringen. Seit der
vorjährigen Kieler Begegnung und den dort unter Kanonendonner gewechselten
Trinksprüchen ist wenig mehr als ein Jahr verflossen. König Eduard sagte da¬
mals (25. Juni) beim Festmahl an Bord der "Hohenzollern," nachdem er den
Wunsch geäußert hatte, "die innigen verwandtschaftlichen Beziehungen, welche
Unsre Häuser seit so lauger Zeit verbunden haben, durch erneuerten persönlichen
Verkehr womöglich noch enger zu knüpfen": "Möchten Unsre beiden Flaggen bis
in die fernsten Zeiten ebenso wie heute nebeneinander wehen zur Aufrechterhaltung
des Friedens und der Wohlfahrt nicht allein Unsrer Länder, sondern auch aller
andern Nationen." Der König sagte das in deutscher Sprache, die er bekanntlich
uicht nur gut, sondern auch gern spricht. Der weitere Verlauf des Jahres hat
diesen guten Wünschen wenig entsprochen, die deutsch-englischen Beziehungen haben
seitdem einen Tiefstand erreicht wie nie zuvor; sie waren bis in die jüngste Zeit
von einer in London ausgegebnen und ziemlich auf dem gesamten Erdball befolgten
Parole der Unfreundlichkeit beherrscht, von der neuen Dislokation der englischen Flotte
ganz abgesehen, die sich nicht notwendig gegen Deutschland allein zu richten braucht.
Wenn das nach dem sechstägigen Besuch in Kiel möglich war, so ist nicht an¬
zunehmen, daß eine flüchtige Begegnung von wenig Stunden hinreichen werde,
durch eine Aussprache von Monarch zu Monarch den Beziehungen beider Reiche
zueinander ein andres Gepräge zu verleihen. Dazu gehören doch Handlungen,
gehört namentlich von englischer Seite eine wesentlich andre Lenkung des Staats¬
schiffes, ein andrer politischer Kurs. Im übrigen ist es durchaus begreiflich, daß der
König auf der Reise nach Marienbad nicht gleich aus der französischen Umarmung
in die deutsche eilen konnte. Aber auch wenn es auf der Rückreise unterbleiben
sollte, wird man gut tun, das so wenig zu überschätzen, wie jetzt das Unterbleiben
nicht überschätzt werden darf. Ist doch von Londoner Blättern schon ausgesprochen
worden, die ganze Nachricht sei von Deutschland (!) erfunden, um die Bedeutung
des französischen Flottenbesuchs in Portsmouth abzuschwächen und die französisch-
englische Entente zu stören. Was Deutschland wohl ruhig dem Lauf der Dinge
überlassen wird! Wird doch schon von Paris aus daran erinnert, daß die Welt
schon mehr französisch-englische Flottenbegegnungen gesehen hat. nach denen die
schärfsten Gegensätze nicht ausgeblieben sind.

Die Rechnung der englischen Politik ist dahin gegangen, Frankreich, das an
Rußland keine Stütze mehr findet und nicht in der Vereinsamung bleiben will,
durch englische Umarmung zu verhindern, sich Deutschland zu nähern. Es ist das
König Eduards Persönliche und von ihm persönlich betriebne Politik, die ihm, wie
der französische Botschafter in London noch eben in einem zu Cowes ausgebrachten
Toast ausdrücklich versichert hat, in Frankreich "nicht vergessen werden wird."
Aber -- derlei internationale Tischreden sind doch nur rednerische Momentphoto¬
graphien, Stimmungsbilder des Augenblicks. Wie wenig sie auf die Dauer für
die praktische Politik zu bedeuten haben, dafür ist die Erinnerung an die vorjährige
Kieler Woche ein sehr naheliegendes Beispiel. Wer sich übrigens die Mühe nimmt,
Kaiser Wilhelms vorjährigen Toast nachzulesen, auf den König Eduard in der oben
erwähnten Weise erwiderte, wird finden, daß der Kaiser Wort für Wort sorgfältig
abgewogen hatte, man blickt rückschauend wie in einen Spiegel hinein, der das


Grenzboten III 1905 49
Maßgebliches und Unmaßgebliches

der Kaiser zu einer Begegnung bereit wäre. Nachdem die englische Presse ihren
Monarchen für eine Zusammenkunft mit dem deutschen Kaiser nahezu festgelegt
hatte, werden zunächst in England mancherlei Erwartungen enttäuscht sein. Wir
sagen ausdrücklich „in England," denn in Deutschland hat man sich gegen die von
London aus so fleißig betriebne Ankündigung einer Begegnung von Anfang an
recht skeptisch Verhalten, da trotz der so positiven Ankündigung jede Mitteilung des
englischen Hofes oder der englischen Regierung ausblieb. König Eduard ist dem
deutschen Kaiser einen Besuch in Berlin schuldig, und bevor dieser nicht geleistet
wird, werden alle gelegentlichen Berührungen nicht ausreichen, die Beziehungen
zwischen den beiden Ländern in das richtige Fahrwasser zu bringen. Seit der
vorjährigen Kieler Begegnung und den dort unter Kanonendonner gewechselten
Trinksprüchen ist wenig mehr als ein Jahr verflossen. König Eduard sagte da¬
mals (25. Juni) beim Festmahl an Bord der „Hohenzollern," nachdem er den
Wunsch geäußert hatte, „die innigen verwandtschaftlichen Beziehungen, welche
Unsre Häuser seit so lauger Zeit verbunden haben, durch erneuerten persönlichen
Verkehr womöglich noch enger zu knüpfen": „Möchten Unsre beiden Flaggen bis
in die fernsten Zeiten ebenso wie heute nebeneinander wehen zur Aufrechterhaltung
des Friedens und der Wohlfahrt nicht allein Unsrer Länder, sondern auch aller
andern Nationen." Der König sagte das in deutscher Sprache, die er bekanntlich
uicht nur gut, sondern auch gern spricht. Der weitere Verlauf des Jahres hat
diesen guten Wünschen wenig entsprochen, die deutsch-englischen Beziehungen haben
seitdem einen Tiefstand erreicht wie nie zuvor; sie waren bis in die jüngste Zeit
von einer in London ausgegebnen und ziemlich auf dem gesamten Erdball befolgten
Parole der Unfreundlichkeit beherrscht, von der neuen Dislokation der englischen Flotte
ganz abgesehen, die sich nicht notwendig gegen Deutschland allein zu richten braucht.
Wenn das nach dem sechstägigen Besuch in Kiel möglich war, so ist nicht an¬
zunehmen, daß eine flüchtige Begegnung von wenig Stunden hinreichen werde,
durch eine Aussprache von Monarch zu Monarch den Beziehungen beider Reiche
zueinander ein andres Gepräge zu verleihen. Dazu gehören doch Handlungen,
gehört namentlich von englischer Seite eine wesentlich andre Lenkung des Staats¬
schiffes, ein andrer politischer Kurs. Im übrigen ist es durchaus begreiflich, daß der
König auf der Reise nach Marienbad nicht gleich aus der französischen Umarmung
in die deutsche eilen konnte. Aber auch wenn es auf der Rückreise unterbleiben
sollte, wird man gut tun, das so wenig zu überschätzen, wie jetzt das Unterbleiben
nicht überschätzt werden darf. Ist doch von Londoner Blättern schon ausgesprochen
worden, die ganze Nachricht sei von Deutschland (!) erfunden, um die Bedeutung
des französischen Flottenbesuchs in Portsmouth abzuschwächen und die französisch-
englische Entente zu stören. Was Deutschland wohl ruhig dem Lauf der Dinge
überlassen wird! Wird doch schon von Paris aus daran erinnert, daß die Welt
schon mehr französisch-englische Flottenbegegnungen gesehen hat. nach denen die
schärfsten Gegensätze nicht ausgeblieben sind.

Die Rechnung der englischen Politik ist dahin gegangen, Frankreich, das an
Rußland keine Stütze mehr findet und nicht in der Vereinsamung bleiben will,
durch englische Umarmung zu verhindern, sich Deutschland zu nähern. Es ist das
König Eduards Persönliche und von ihm persönlich betriebne Politik, die ihm, wie
der französische Botschafter in London noch eben in einem zu Cowes ausgebrachten
Toast ausdrücklich versichert hat, in Frankreich „nicht vergessen werden wird."
Aber — derlei internationale Tischreden sind doch nur rednerische Momentphoto¬
graphien, Stimmungsbilder des Augenblicks. Wie wenig sie auf die Dauer für
die praktische Politik zu bedeuten haben, dafür ist die Erinnerung an die vorjährige
Kieler Woche ein sehr naheliegendes Beispiel. Wer sich übrigens die Mühe nimmt,
Kaiser Wilhelms vorjährigen Toast nachzulesen, auf den König Eduard in der oben
erwähnten Weise erwiderte, wird finden, daß der Kaiser Wort für Wort sorgfältig
abgewogen hatte, man blickt rückschauend wie in einen Spiegel hinein, der das


Grenzboten III 1905 49
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[0393] Maßgebliches und Unmaßgebliches der Kaiser zu einer Begegnung bereit wäre. Nachdem die englische Presse ihren Monarchen für eine Zusammenkunft mit dem deutschen Kaiser nahezu festgelegt hatte, werden zunächst in England mancherlei Erwartungen enttäuscht sein. Wir sagen ausdrücklich „in England," denn in Deutschland hat man sich gegen die von London aus so fleißig betriebne Ankündigung einer Begegnung von Anfang an recht skeptisch Verhalten, da trotz der so positiven Ankündigung jede Mitteilung des englischen Hofes oder der englischen Regierung ausblieb. König Eduard ist dem deutschen Kaiser einen Besuch in Berlin schuldig, und bevor dieser nicht geleistet wird, werden alle gelegentlichen Berührungen nicht ausreichen, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern in das richtige Fahrwasser zu bringen. Seit der vorjährigen Kieler Begegnung und den dort unter Kanonendonner gewechselten Trinksprüchen ist wenig mehr als ein Jahr verflossen. König Eduard sagte da¬ mals (25. Juni) beim Festmahl an Bord der „Hohenzollern," nachdem er den Wunsch geäußert hatte, „die innigen verwandtschaftlichen Beziehungen, welche Unsre Häuser seit so lauger Zeit verbunden haben, durch erneuerten persönlichen Verkehr womöglich noch enger zu knüpfen": „Möchten Unsre beiden Flaggen bis in die fernsten Zeiten ebenso wie heute nebeneinander wehen zur Aufrechterhaltung des Friedens und der Wohlfahrt nicht allein Unsrer Länder, sondern auch aller andern Nationen." Der König sagte das in deutscher Sprache, die er bekanntlich uicht nur gut, sondern auch gern spricht. Der weitere Verlauf des Jahres hat diesen guten Wünschen wenig entsprochen, die deutsch-englischen Beziehungen haben seitdem einen Tiefstand erreicht wie nie zuvor; sie waren bis in die jüngste Zeit von einer in London ausgegebnen und ziemlich auf dem gesamten Erdball befolgten Parole der Unfreundlichkeit beherrscht, von der neuen Dislokation der englischen Flotte ganz abgesehen, die sich nicht notwendig gegen Deutschland allein zu richten braucht. Wenn das nach dem sechstägigen Besuch in Kiel möglich war, so ist nicht an¬ zunehmen, daß eine flüchtige Begegnung von wenig Stunden hinreichen werde, durch eine Aussprache von Monarch zu Monarch den Beziehungen beider Reiche zueinander ein andres Gepräge zu verleihen. Dazu gehören doch Handlungen, gehört namentlich von englischer Seite eine wesentlich andre Lenkung des Staats¬ schiffes, ein andrer politischer Kurs. Im übrigen ist es durchaus begreiflich, daß der König auf der Reise nach Marienbad nicht gleich aus der französischen Umarmung in die deutsche eilen konnte. Aber auch wenn es auf der Rückreise unterbleiben sollte, wird man gut tun, das so wenig zu überschätzen, wie jetzt das Unterbleiben nicht überschätzt werden darf. Ist doch von Londoner Blättern schon ausgesprochen worden, die ganze Nachricht sei von Deutschland (!) erfunden, um die Bedeutung des französischen Flottenbesuchs in Portsmouth abzuschwächen und die französisch- englische Entente zu stören. Was Deutschland wohl ruhig dem Lauf der Dinge überlassen wird! Wird doch schon von Paris aus daran erinnert, daß die Welt schon mehr französisch-englische Flottenbegegnungen gesehen hat. nach denen die schärfsten Gegensätze nicht ausgeblieben sind. Die Rechnung der englischen Politik ist dahin gegangen, Frankreich, das an Rußland keine Stütze mehr findet und nicht in der Vereinsamung bleiben will, durch englische Umarmung zu verhindern, sich Deutschland zu nähern. Es ist das König Eduards Persönliche und von ihm persönlich betriebne Politik, die ihm, wie der französische Botschafter in London noch eben in einem zu Cowes ausgebrachten Toast ausdrücklich versichert hat, in Frankreich „nicht vergessen werden wird." Aber — derlei internationale Tischreden sind doch nur rednerische Momentphoto¬ graphien, Stimmungsbilder des Augenblicks. Wie wenig sie auf die Dauer für die praktische Politik zu bedeuten haben, dafür ist die Erinnerung an die vorjährige Kieler Woche ein sehr naheliegendes Beispiel. Wer sich übrigens die Mühe nimmt, Kaiser Wilhelms vorjährigen Toast nachzulesen, auf den König Eduard in der oben erwähnten Weise erwiderte, wird finden, daß der Kaiser Wort für Wort sorgfältig abgewogen hatte, man blickt rückschauend wie in einen Spiegel hinein, der das Grenzboten III 1905 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/393>, abgerufen am 27.09.2024.